50 Seiten, die es in sich haben

Finanzausgleichsverhandlungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sind immer wieder ein kurioses Politikum: Immerhin geht es dabei um nichts weniger als die Frage, wie die Steuergelder verteilt werden. Und das wird im Artikel 15a der Verfassung für vier Jahre festgeschrieben. Und dabei geht es um mehr als 35 Milliarden Euro. Gefeilscht wird dabei wie am Markt: Wohnbaumittel werden getauscht mit Geld für Kindergärten, Straßenbau mit Gesundheit.
Gerade bei der Gesundheit schlagen dann immer wieder die Begehrlichkeiten der Verhandler die Vernunft. Länder und Gemeinden betreiben in Österreich ja die Krankenhäuser und bekommen dafür von den Krankenkassen nur einen gedeckelten Pauschalbetrag. Offiziell sitzen die Kassen nicht am Verhandlungstisch beim Finanzausgleich und waren bisher nur Trittbrettfahrer der Bund-Länder-Verhandlungen. Doch diesmal wird gleich im ersten Satz des 50-seitigen Gesundheitsteiles des Finanzausgleichs fixiert, dass die Sozialversicherungen „gleichberechtigte Partner“ sind. Und die haben den Ländern nun auch offenbar zusammen mit dem Ministerium für die Zusage zusätzlicher Mittel einiges abgerungen.
Weil die Länder alles, was über die Zahlungen der Kassen hinausgeht, selbst in den Spitalstopf zahlen müssen und letztlich auch die Defizite der Spitäler abdecken, forderten sie rund 500 Millionen Euro mehr. Bekommen haben sie 200 Millionen – aber nur gegen die Zusage bei den Kosten zu bremsen. Konkret hat man sich auf sogenannte Kostendämpfungspfade in Sachen Gesundheit und Pflege verständigt. So dürfen die Gesundheitsausgaben künftig jährlich um 3,2% steigen, derzeit sind es 3,6%, jene für die Pflege um 4,6%.
Festgehalten wird in der Vereinbarung explizit auch eine gezielte Stärkung des Sachleistungsprinzips und damit einer Deckung der Behandlungskosten durch die soziale Krankenversicherung und die öffentlichen Spitäler. Ebenso heißt es gleich zu Beginn, dass der niederschwellige Zugang zur „bedarfsgerechten Gesundheitsversorgung und deren hohe Qualität langfristig zu sichern und auszubauen“ sind. Wie sich die Verhandler das im Detail vorstellen, wird dann auf weiteren 49 Seiten deutlich: „Abbau des akutstationären Bereichs bei gleichzeitigem Ausbau der ambulanten Versorgung unter Sicherstellung des Zugangs zu und der Verfügbarkeit von allen notwendigen Leistungen“ heißt es da. Und weiter: „Im Bereich der Primärversorgung sind Primärversorgungseinheiten gemäß bundesgesetzlicher Grundlage zu schaffen.“ Dazu ist das „für die Versorgung der Bevölkerung erforderliche Gesundheitspersonal sicherzustellen, bei gleichzeitiger Neuausrichtung der Aufgabenteilung in Hinblick auf die Aufgabenprofile der Gesundheitsberufe und gleichzeitiger Aufrechterhaltung einer hohen Behandlungsqualität“. Die Finanzierungs- und Honorierungssysteme seien dafür „stärker am Versorgungsbedarf auszurichten“.
Deutlich wird das Papier dann bei der Beschreibung, wie die neuen Primärversorgungseinheiten auszusehen haben: als Gruppenpraxis, als Ambulatorium oder als Netzwerk von ausschließlich „freiberuflich tätigen Ärzten und Ärztinnen, anderen nichtärztlichen Angehörigen von Gesundheits- und Sozialberufen oder deren Trägerorganisationen“. Den Rahmen und die Kriterien dafür schaffen der Österreichische Strukturplan Gesundheit und die regionalen Gesundheitspläne (RSG). Dort ist der jeweiligen Landesärztekammer und anderen betroffenen gesetzlichen Interessenvertretungen „mindestens vier Wochen vor Beschlussfassung im RSG in der jeweiligen Zielsteuerungskommission die Möglichkeit zur Stellungnahme einzuräumen“.

Angst vor Konzernen

Ein Punkt, der den Ärzten in allen Bundesländern sauer aufstößt. „Wir werden dafür kämpfen, die Qualität unseres Gesundheitssystems hochzuhalten. Wir Ärzte wissen, wo der Schuh drückt und müssen daher in die politische Diskussion eingebunden werden“, fordert Dr. Artur Wechselberger, Präsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK). Im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage werde dabei die Ärzteschaft aus dem Planungsprozess gänzlich ausgeschlossen, weil scheinbar „ärztlicher Sachverstand und medizinisches Wissen bei der Gesundheitsplanung irrelevant sind“, heißt es auch in einem Schreiben der Wiener Ärztekammer, das vom Präsidenten der Ärztekammer für Wien, Thomas Szekeres, sowie den beiden Vizepräsidenten Johannes Steinhart und Hermann Leitner unterzeichnet ist. Sie befürchten auch, dass die neuen Primärversorgungszentren vor allem von großen Unternehmen betrieben werden, die schon jetzt Ambulatorien führen. Die Sorge ist, dass man als „Nebeneffekt“ die freie Ärzteschaft ausschaltet. „Hier sollen niedergelassene Haus- und Fachärzte durch größere Einheiten verdrängt und ersetzt werden“, sagt Steinhart. In der Realität bedeute das eine Konzentration von unternehmens- und investorengeführten Ambulatorien auf wenige Standorte. „Das Ende des wohnortnahen Vertrauensarztes wäre damit eingeläutet“. Es dürfe nicht geschehen, dass ein Angebotsmonopol für Kassenplanstellen bei den Ländern und Krankenkassen festgeschrieben werde, betont auch Präsident Wechselberger: „Schließlich waren es die Ärztekammern, die immer auf die Notwendigkeit neuer Kassenstellen gedrängt haben. Die Krankenkassen hingegen blockieren seit Jahren die 1.400 dringend notwendigen zusätzlichen Stellen.“
In einem Schreiben der Wiener Ärztekammer an Bundeskanzler Christian Kern, alle weiteren Regierungsmitglieder sowie an Wiens Bürgermeister Michael Häupl hat auch die Wiener Ärztekammer ihre massiven Bedenken gegen die Finanzausgleichsvereinbarung geäußert. Die Ärztekammer spricht dabei wörtlich vom „unsozialen Kaputtsparen“ des österreichischen Gesundheitssystems. „Statt die medizinische Versorgung für die Patienten zu verbessern, werden im Finanzausgleich die Mittel für die Versorgung der Bevölkerung um weitere 4,5 Milliarden Euro gekürzt.“

Die Ärzte Krone wird in den kommenden Ausgaben über die Details der Artikel der 15a-Vereinbarungen berichten.