Adipositas bei Frau und Mann

Adipositas, definiert durch einen BMI über 30 kg/m2, nimmt weltweit dramatisch zu. Seit den 1980er-Jahren kam es zu mehr als einer Verdoppelung der Betroffenen.
Auch in Österreich ist bereits fast die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung übergewichtig oder adipös: 2014 waren laut Weltgesundheitsorganisation in Österreich 39 % der Männer und 40 % der Frauen übergewichtig sowie 11 % der Männer und 15 % der Frauen adipös.
Abbildung 1 zeigt grafisch Daten zur Adipositasprävalenz in Österreich nach Bundesländern, wobei geografische Unterschiede, ein Ost-West-Gefälle, klar erkennbar sind1. Insgesamt nimmt Übergewicht vor allem bei jüngeren Männern und Adipositas besonders bei älteren Frauen zu. Neuen Berechnungen zufolge wird die globale Adipositasprävalenz mit dem Jahr 2025 18 % bei Männern und über 21 % bei Frauen erreichen. Schwere Adipositas werden mehr als 6 % der Männer und 9 % der Frauen haben.
Genomweite Assoziationsstudien zeigen zwar, dass der Großteil des genetisch bedingten Übergewichtes noch ungeklärt ist, legen aber nahe, dass vor allem Genvarianten, die mit dem Phänotyp eines erhöhten Bauchumfanges in Zusammenhang stehen, geschlechtsspezifische Unterschiede aufweisen und einen stärkeren Effekt bei Frauen haben2. Neben Genen, die Appetit, die neuroendokrine Steuerung und den Energiehaushalt beeinflussen, sind auch epigenetische Effekte, die sich bereits im Mutterleib geschlechtsspezifisch auswirken können, sowie eine obesogene Umwelt für die Zunahme der Adipositas verantwortlich.

 

 

Adipositas vermindert Fertilität und Konzeptionsrate

Die Rate an Adipositas steigt sowohl bei jungen Frauen im reproduktiven Alter als auch insbesondere bei postmenopausalen Frauen an, parallel mit dem Abfall der weiblichen Sexualhormone und dem Anstieg orexigener Hormone. Adipositas vermindert auch die Fertilität und Konzeptionsrate bei Kinderwunsch. Nahezu die Hälfte aller übergewichtigen und adipösen Frauen hat Zyklusanomalien3. Viele adipöse Frauen zeigen höhere Androgenspiegel und verminderte SHBG-Werte, wobei eine Gewichtsreduktion günstige Effekte hat. Auch bei IVF-Behandlungen ist die Erfolgsrate bei adipösen Frauen geringer. Adipöse Männer leiden öfter unter Störungen der Spermienqualität wie Oligo- oder Azoospermie oder verminderter Spermienmobilität. Adipöse zeigen oft eine Adipositas-assoziierte Gonadendysfunktion, Frauen öfter ein polyzystisches Ovarsyndrom, Männer einen sekundären Hypogonadismus und eine erektile Dysfunktion. Eine Gewichtsreduktion durch Lebensstilmaßnahmen oder insbesondere durch bariatrische Chirurgie führt oft zur Normalisierung der hormonellen Störung mit deutlichem Anstieg der Fertilität.
Im Fall einer Schwangerschaft findet sich eine deutlich erhöhte Rate an Schwangerschaftskomplikationen. Zwischen 7 und 25 % der Schwangeren in Europa sind adipös. Das Risiko für Gestationsdiabetes, Makrosomie, Kaiserschnittentbindungen, Schwangerschaftshypertonie, Frühgeburten, postoperative Komplikationen, neonatale Morbidität, fetalen oder neonatalen Tod und kongenitale Fehlbildungen ist um das 2- bis 3-Fache erhöht. Eine ausgeprägte Insulinresistenz, Lipotoxizität, vermehrter oxidativer Stress und veränderte Plazentafunktionen könnten für diese Komplikationen verantwortlich sein. Zusätzlich dürfte Adipositas, ebenso wie eine übermäßige Gewichtszunahme in der Schwangerschaft, zu fetalen Fehlprogrammierungen der Nachkommen führen, die teilweise auch geschlechtsdimorph auftreten. Makrosome Neugeborene haben nicht nur schon bei der Geburt mehr Fettmasse, sondern auch später ein höheres Risiko für Übergewicht und Stoffwechselprobleme.

Nach Menopause oft Vollbilddes metabolischen Syndroms

Adipositas nimmt aber besonders nach der Menopause zu, oft mit einem Vollbild des metabolischen Syndroms. Die Fettverteilung unterscheidet sich bei jüngeren Menschen ab der Pubertät deutlich zwischen den Geschlechtern4, wobei Männer – unabhängig vom Gewicht – mehr viszerales und mehr Leberfett aufweisen, niedrigere Adiponektinspiegel sowie eine ausgeprägtere Insulinresistenz zeigen und dadurch auch durch ein höheres kardiovaskuläres und Krebsrisiko als Frauen charakterisiert sind (Abb. 2)5. Frauen weisen deshalb auch öfter einen „metabolisch gesunden Übergewichtstyp“ auf als Männer. Nach der Menopause und dem Östrogenverlust gleichen sich die Frauen dem androgenen Bild der Fettverteilung an – Bauch- und Leberfett nehmen zu. Gleichzeitig steigt auch ihr kardiometabolisches Risiko. Verlaufsstudien legen allerdings nahe, dass auch ein beträchtlicher Anteil der „gesunden Übergewichtigen“ beider Geschlechter später kardiometabolische Risikofaktoren aufweisen, wobei vermehrtes Leberfett sowie besonders bei Frauen ein höherer Bauchumfang wichtige prädiktive Faktoren sein können.
Allerdings haben Frauen auch mehr braunes Fettgewebe, das auch eine höhere Aktivität aufweist, als dies bei Männern der Fall ist, was in Zukunft möglicherweise auch therapeutisch genutzt werden kann, wenn es gelingt, weißes in braunes Fettgewebe umzuwandeln.
Für die Zunahme der Adipositas sind viele Faktoren verantwortlich, biologische Faktoren, wie die Gene und die Sexualhormone, aber auch gesellschaftliche, kulturelle, Lebensstil- und Umweltfaktoren. Bei Frauen sind ein niedriges Bildungsniveau und ein niedriges Einkommen stärker mit Adipositas assoziiert als bei Männern, bei denen im Gegenteil in manchen Ländern der sozioökonomische Status und Übergewicht sogar einen positiven Zusammenhang zeigen.

 

 

Stigmatisierung junger,adipöser Frauen

Vor allem junge adipöse Frauen werden stärker durch ihr Aussehen stigmatisiert6. Sie leiden öfter unter Angstzuständen und Depressionen als adipöse Männer. So verwundert es auch nicht, dass bei Gewichtsreduktionsprogrammen und klinischen Studien zur Gewichtsabnahme großteils Frauen teilnehmen. 80 % dieser PatientInnen sind weiblich; das gilt auch für jene Patienten, die sich zu einer bariatrischen Operation anmelden. Frauen haben einen größeren Leidensdruck aufgrund ihres Körperbildes und den starken Wunsch, den weiblichen gesellschaftlichen – medial verbreiteten – Schönheitsvorgaben zu entsprechen. Männer suchen meist erst beim Auftreten medizinischer Komplikationen wie Impotenz, schwerer Bluthochdruck, Diabetes, Gonarthrose oder anderen körperlichen Beeinträchtigungen, ärztliche Hilfe. Tatsächlich sind auch Unterschiede in der Wahrscheinlichkeit für bestimmte Erkrankungen bei Übergewicht und Adipositas beschrieben (Tabelle)1. So ist in Österreich insgesamt das Risiko für Typ-2-Diabetes, Hypertonie, Rückenschmerzen und Arthrosen bei beiden Geschlechtern, das Risiko für Depressionen nur bei Frauen und das für einen Herzinfarkt nur bei Männern signifikant erhöht. In vielen Studien wird auch ein Zusammenhang zwischen Krebsrisiko und Adipositas gezeigt. International ist Adipositas neben Komplikationen wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bestimmten Krebserkrankungen und degenerativen Veränderungen des Bewegungsapparates auch mit einer höheren Rate an neurodegenerativen Erkrankungen beschrieben, wobei geschlechtsspezifische Unterschiede in der Inzidenz und dem Outcome beobachtet wurden. Bei starker Adipositas ist schließlich auch eine kürzere Lebenserwartung, bei Männern noch mehr als bei Frauen, berichtet worden.
Stress und eine Störung der Chronobiologie, wie durch Nacht- und Schichtdienste sowie Schlafentzug, können durch neuroendokrinologische Fehlanpassungen sowie durch Veränderungen in der Ernährung auch eine Gewichtszunahme begünstigen, wobei Frauen für diese Veränderungen insgesamt vulnerabler scheinen. „Emotional eating“ spielt bei Frauen eine größere Rolle bei der Entstehung von Adipositas und den assoziierten Komplikationen.

 

 

Genderrollen beeinflussenEss- und Bewegungsverhalten

Bewegungsmangel, ein Überangebot an hochkalorischer Nahrung und ein vermehrter Konsum von Softdrinks tragen zur Adipositasepidemie bei. Sowohl das Ausmaß an körperlicher Aktivität als auch die Vorliebe für bestimmte Nahrungsmittel sind durch Geschlechterrollen beeinflusst, was sich meist bereits in der Kindheit zeigt7. Obwohl sich Frauen meist gesünder ernähren und mehr Gemüse, Salat, Obst und weniger rotes Fleisch konsumieren, weisen sie oft einen höheren Konsum an Zucker auf. Lebensmittel mit einem hohen glykämischen Index bei niedrigem Bewegungsausmaß führen bei Frauen zu einer größeren Gewichtszunahme im Vergleich zu Männern. Eine geringere körperliche Aktivität ist bereits ab der Pubertät bei Frauen im Vergleich zu gleichaltrigen Männern anzutreffen8. Genderrollen beeinflussen unser Ess- und Bewegungsverhalten, weswegen auch geschlechtersensible Beratung sowie Zielgruppen- und Lebensphasen-spezifische Angebote wichtig sind.
Um dieser epidemischen Entwicklung entgegenzuwirken, muss bereits früh das Gesundheitsbewusstsein der Jugendlichen gestärkt sowie ihre Freude an sportlicher Betätigung und ihr Wissen um gesunde Ernährung erhöht werden. Dabei ist bei Mädchen besonders auf ausreichende Bewegung zu achten und bei Burschen besonders auf gesunde Ernährung, um geschlechterstereotypen ungesunden Verhaltensweisen entgegenzuwirken. „Health in all policies“-Programme sind zur Bekämpfung der Adipositas bei beiden Geschlechtern notwendig. Erste geschlechtssensitive Modellprogramme und spezifische Angebote von Frauen- und Männergesundheitszentren sind erfolgversprechend.

 

Literatur:

1 Dorner TE, Adipositasepidemiologie in Österreich. Wien Med Wochenschr. 2016; 166(3–4):79–87

2 Kronenberg F, Paulweber B, Lamina C, Genomweite Assoziationsstudien zu Adipositas und was wir daraus lernen. Wien Med Wochenschr. 2016; 166(3–4):88–94

3 Harreiter J, Kautzky-Willer A, Gender Obesity Report – Einfluss von Adipositas auf Reproduktion und Schwangerschaft. Wien Med Wochenschr. 2016; 166(3–4):129–38

4 Kautzky-Willer A, Brennpunkt Adipositas: what gender has to do with …! Wien Med Wochenschr. 2016; 166(3–4):75–8

5 Kautzky-Willer A, Harreiter J, Pacini G, Sex and Gender Differences in Risk, Pathophysiology and Complications of Type 2 Diabetes Mellitus. Endocr Rev. 2016; 37(3):278–316

6 Kinzl J, Adipositas: Stigmatisierung, Diskrimination, Körperimage. Wien Med Wochenschr. 2016; 166(3–4):117–20

7 Dämon S, Schindler K, Rittmannsberger B, Schätzer M, Hoppichler F, Ernährung bei Übergewicht und Adipositas unter besonderer Berücksichtigung von Genderaspekten. Wien Med Wochenschr. 2016; 166(3–4):95–101

8 Haider S, Lamprecht T, Dick D, Lackinger C, Alltagsaktivität und gesundheitswirksame körperliche Aktivität bei erwachsenen Menschen mit Adipositas. Wien Med Wochenschr. 2016; 166(3–4):102–10