Alle pilgern nach Mariazell

Gesundheitsexperten pilgern derzeit nach Mariazell – allerdings nicht, um für eine gute Umsetzung der Gesundheitsreform zu beten, sondern um ein dortiges Pilotprojekt in Sachen Primärversorgungszentrum zu analysieren. Neben Mariahilf in Wien und Enns in Oberösterreich gibt es hier ein weiteres Projekt – entstanden aus einem ehemaligen Krankenhaus.

Lokalaugenschein der Ärzte Krone: Es wirkt ausgestorben am großen Platz vor der Magna Mater Austriae – der Marienbasilika zur Schutzfrau Österreichs. Nur die geschlossenen Devotionalienstände erinnern daran, dass jährlich 750.000 Pilger in den Bergort zwischen der Steiermark und Niederösterreich kommen. Inklusive Zweitwohnsitzbesitzer wohnen in Mariazell und Umgebung rund 6.000 Menschen. Dennoch gab es hier ein Krankenhaus. In den vergangenen Jahren wurde es allerdings von der steirischen Spitalsgesellschaft KAGes auf einen Ambulanzbetrieb heruntergefahren – und die Patienten mit der Rettung in die 51, 57 und 73 Kilometer entfernten Spitäler in Bruck an der Mur, Mürzzuschlag oder Lilienfeld in Niederösterreich gebracht.

„Wir haben hier drei Allgemeinmediziner. Einer hat gerade seinen Kassenvertrag zurückgelegt, ein anderer geht heuer noch in Pension. Als Bürgermeister ist mir wichtig, dass die Menschen und auch unsere Gäste medizinisch versorgt werden. Das Spital war zuletzt noch eine Pflasterl-Station und sollte geschlossen werden“, sagt Bürgermeister Manfred Seebacher. Als sich mit OA Dr.Patrick Killmaier und Dr. Magdalena Griessler zwei junge Ärzte, die immer wieder Notarzt in Mariazell fuhren und Vertretungsdienste bei den Praktikern machten, für die Versorgung interessierten, setzte der Bürgermeister alle Hebel in Bewegung, um ein Pilotprojekt zu realisieren.

Lücken in der Versorgung

„Ich komme aus der Region und wusste um die prekäre Situation. Es war klar, dass es Lücken und keine tragfähige Struktur für die Versorgung geben wird“, sagt Killmaier, der als Oberarzt im Krankenhaus Lillienfeld arbeitet. Zusammen mit Griessler hat er eine OG gegründet, das Land stellt die Infrastruktur zur Verfügung und bezahlt auch das Personal, die Gemeinde das in ihrem Besitz befindliche Gebäude. Killmaier: „Der Patient soll hier gut und interdisziplinär versorgt werden. Wir machen zudem eine Basistriage als Partner für die Krankenhäuser in der Umgebung.“ Das Pilotprojekt funktioniert auf Basis eines Kooperationsvertrages zwischen der OG und der KAGes und soll drei Jahre laufen. In dieser Zeit wird es evaluiert und der Bedarf erhoben. „Die Kosten werden zu je 50 Prozent von der Krankenversicherung und dem Gesundheitsfonds bezahlt, die Kages stellt Pflegekräfte und Infrastruktur. Wir gehen davon aus, dass wir die Kosten, die wir für das Spital hatten, von zwei auf eine Million Euro pro Jahr reduzieren. Gleichzeitig schaffen wir mehr Versorgungswirksamkeit“, sagt Dr. Bernd Leinich, Geschäftsführer des Gesundheitsfonds Steiermark. Formal sei das Projekt noch kein Primärversorgungszentrum, soll es aber nach Ablauf der Pilotphase werden. Ein ähnliches Projekt überlege man auch mit dem Krankenhaus Eisenerz. Generell sei der Pilot aber nicht übertragbar, meint Leinich.

 

 

Die Probleme seien allerdings in vielen Regionen ähnlich, betont Bürgermeister Seebacher und kritisiert die Akteure im Gesundheitswesen, die seiner Meinung nach den ländlichen Raum vergessen. „Der Fehler im Gesundheitswesen ist, dass jede Institution für sich nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten gut arbeitet, aber insgesamt enorme Kosten verursacht“, sagt Seebacher. Die Ärztekammer wiederum maße sich an, Retter des Gesundheitswesens zu sein. „Dabei kapiert man dort nicht, was sich im ländlichen Raum wirklich abspielt“, formuliert er provokant.

 

 

Keine Immobilienprojekte

Dr. Josef Probst, Generaldirektor im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, pocht in jedem Fall auf die Verbesserung der Versorgung, sieht aber ebenfalls eine große Bandbreite bei der Realisierung von PVE. „Es wird einerseits Einrichtungen und andererseits Netzwerke geben. Unser Ziel ist in jedem Fall, bestehende Standorte aufrechtzuerhalten. Wir wollen keine Zentralisierung.“ Es müsse aber das Leistungsangebot übersichtlich und verbindlich sein, längere Öffnungszeiten bringen und die Versorgung der Menschen verbessern. Den Ärzten sage er, formuliert Probst im Ärzte Krone-Interview, „Die neuen Primärversorgungseinheiten werden kommen. Genauso wie die e-card gekommen ist“.

 

 

Nicht ganz begeistert ist Probst allerdings, wenn es zu Entwicklungen wie beim Wiener SMZ-Ost kommt. Eigentlich ist für das dortige PVE alles auf Schiene: Nachdem im März 2016 ein Team aus drei Ärztinnen für das Primärversorgungszentrum SMZ Ost gefunden werden konnte, sollte die Eröffnung ganz in der Nähe des Donauspitals bereits im Herbst 2016 stattfinden. Doch ein Bremsklotz steht dem Pilotprojekt nach wie vor im Weg: Es gibt noch Probleme mit dem Vermieter. Da sich das Zentrum in einem von Stadt und WGKK vorgeschriebenen Radius befinden muss, kommt aktuell nur eine einzige Immobilie in Frage. „Das bringt eine fragwürdige Monopolstellung für den Vermieter mit sich und die Ärzte damit in eine nachteilige Verhandlungsposition“, kritisiert Ärztekammerpräsident Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres. Dass Primärversorgungszentren gerade in Ballungszentren zum Immobilien-Spekulationsobjekt werden könnten, sieht Probst nicht, verweist aber auf die Zuständigkeit der WGKK – Nachsatz: „Umsicht ist aber immer gut.“