Alternative Konzepte: Der japanische Weg zur Gesundheit

Das Gesprächsklima im heimischen Gesundheitswesen war schon besser. Alternativen könnte ein Blick über den Tellerrand in andere Länder und auf verschiedene Managementkonzepte zeigen. Gerade von der Industrie könnte die Gesundheitspolitik manches abschauen. Das Beispiel Japan zeigt etwa, wie eine langjährige Zusammenarbeit mit Geschäftspartnern funktionieren kann.

Nirgendwo auf der Welt werden die Menschen so alt wie auf der japanischen Insel Okinawa. Über 900 der 1,3 Millionen Menschen dort sind 100 Jahre und älter. Ein untypisch hoher Wert, der selbst unter Japanern einzigartig ist, obwohl diese im globalen Vergleich eine weit überdurchschnittliche Lebenserwartung haben. Beinahe 40 Jahre lang hat der selbst schon 80-jährige Kardiologe Makoto Suzuki beobachtet, was an den Ältesten in Okinawa besonders ist. Am wichtigsten sei die Ernährung, sagt er. „Das traditionelle Essen enthält viel Obst und Gemüse und eher wenig Fleisch, Fisch und Eier. Es ist fettarm und kohlehydratreicher als die Gerichte vom japanischen Festland“, berichtet er gegenüber japanischen Medien. Zudem gilt auf Okinawa das Gebot „hara hachi bu“: Man möge mit dem Essen aufhören, sobald der Magen zu vier Fünftel voll ist. Das verhindert Fettleibigkeit. Auch der soziale Zusammenhalt ist sehr eng, Alte werden geehrt und sind stark eingebunden.Letzteres gilt in ganz Japan als wichtiges kulturelles Element: Wertschätzung und Zusammenhalt. Und diese Punkt sind nicht zuletzt auch ein Kernpunkt des wirtschaftlichen Erfolges der Japaner: langjährige Zusammenarbeit mit Geschäftspartnern, Entscheidungen auf Konsensbasis und der Fokus auf kontinuierliche Verbesserungen. Würde das heimische Gesundheitswesen nach Prinzipien japanischer Unternehmensführung gesteuert, ließen sich möglicherweise manche der aktuellen Probleme anders gestalten. Ein Vergleich von Systemen und deren Arbeitsweisen zeigt, dass die generellen Probleme wie die demografische Entwicklung und steigende Ausgaben durchaus ähnlich sind in vielen Staaten. Wie damit von den Stakeholdern und der Politik umgegangen wird, unterscheidet sich aber doch stark.

 

 

Die japanische Managementphilosophie zeichne sich durch einen respektvollen Umgang mit allen Geschäftspartnern aus, sagt Miroslaw Jan Lubecki, Geschäftsführer von Astellas Pharma in Österreich. „Der respektvolle Umgang mit anderen Kulturen inklusive einer gewissen Flexibilität sind ein Unterschied; es gibt keinen ‚One Size fits all‘ approach“, sagt er. Entscheidungen würden eher vorsichtig getroffen, nach ausführlichen Diskussionen.

Der wichtigste Unterschied zwischen japanischen und westlichen Managementkonzepten besteht darin, dass in japanischen Unternehmen durch umfassende Qualitätskontrollen ein prozessorientiertes Denken eingeführt wurde gegenüber dem westlichen innovations- und ergebnis­orientierten Denken. Sehr verbreitet in Unternehmen ist die Philosophie Kaizen (Kai: „Veränderung“; Zen „zum Besseren“). Dabei ist kontinuierliche, unendliche Verbesserung in allen Bereichen unter Einbeziehung aller Mitarbeiter von der Geschäftsleitung über Führungskräfte bis zu Arbeitern anzustreben. Nicht zuletzt deshalb gilt das rohstoffarme Land in vielen Bereichen als innovationsführend.

 

 

Gefördert wurde das auch durch historische und geografische Entwicklungen: Die Kultur Japans vereint vielerlei Einflüsse aus Asien, Ozeanien und China sowie der westlichen Welt. Die zwischenzeitliche freiwillige Isolierung Japans und die besondere geografische Lage haben einige kulturelle Besonderheiten betont. Auch wenn die Abschließung Japans bei Weitem nicht so dicht war wie oft angenommen, spielt sie eine wichtige Rolle im Selbstbild der Japaner.

Sehr deutlich wird das auch in der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung, die auf den ersten Blick Überraschendes zu bieten hat. Denn die drittgrößte Wirtschaftsnation der Welt gilt als hochverschuldet. Während etwa in Österreich bereits von einer schwierigen Situation gesprochen wird, wenn die Staatsverschuldung bei über 80% des BIP liegt und Griechenland mit knapp 180% des BIP die Pleite drohte, kommen die Japaner auf beinahe 250%. Infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise schrumpfte die japanische Wirtschaft 2008 um 1,04 und 2009 sogar um 5,53%. Dennoch stieg die Arbeitslosenquote in Japan während der Wirtschaftskrise nur leicht an: Lag sie 2007 bei 3,8% gelegen, so stieg sie im Verlauf der Krise auf knapp über 5%. 2014 rechnet der IWF mit einem leichten Rückgang der Arbeitslosenquote auf 3,9%. Japanische Staatsanleihen liegen trotz der hohen Staatsverschuldung international immer noch im Spitzenwert, während etwa Griechenland längst auf Ramschniveau steht.

Dass der japanische Staat trotz der hohen Schulden an den Märkten nicht unter Druck gerät, liegt daran, dass die Schulden weitgehend im eigenen Land gehalten werden: Mehr als 90 Prozent der japanischen Staatsanleihen befinden sich in den Händen japanischer Sparer und Investoren – und inzwischen auch in den Händen der Zentralbank. Anders als ihre europäischen und US-amerikanischen Pendants ist die Bank of Japan (BoJ) nicht einmal formal unabhängig, sondern folgt ganz offen Weisungen der Regierung, berichten Analysten. Ein nicht offen kommuniziertes Ziel des Aufkaufprogramms soll es beispielsweise auch sein, den Lebensversicherern und Pensionskassen des Landes die Staatspapiere abzunehmen. Ende kommenden Jahres soll die BoJ bereits die Hälfte der gesamten Staatsschulden halten. Die Bank finanziert auf diese Weise bereits das gesamte aktuelle Haushaltsdefizit des Staats. Dass der japanische Staat seine Schulden jemals zurückzahlen wird, gilt für Beobachter als unwahrscheinlich. Ein Schuldenschnitt aber auch. Zu sehr gelte in der japanischen Kultur das Prinzip, dass man sich an Zusagen und Vereinbarung hält. Wahrscheinlichere und elegantere Lösung: Die Rückzahlung wird weit in die Zukunft verschoben, was auch einem Schuldenschnitt gleich käme.

 

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Die Struktur des japanischen Gesundheitswesens ist der des österreichischen sehr ähnlich, betonte erst im Sommer der inzwischen abgelöste japanische Botschfter in Wien, SE Makoto Taketoshi. Allerdings gibt es kaum ein Land, wo die Alterung der Gesellschaft so rasch voranschreitet wie in Japan. Das führt zu Problemen mit steigenden Gesundheitsausgaben, aber auch stagnierenden Staatseinnahmen. Wie sich die Zukunft entwickeln wird, ist offen.

 

 

Zusatznutzen mit innovativen Ideen

Das Management in japanischen Unternehmen hat zwei Hauptaufgaben: Erhaltung und Verbesserung. Kaizen treibt als Methode die Wirtschaft an.

Die Unternehmensphilosophie von Takeda, dem größten japanischen Pharmaunternehmen, wird als bunter Garten mit vielen zusammenhängenden Ökozonen visualisiert. Anlass genug für eine Gruppe von österreichischen Takeda-Mitarbeitern, sich erst kürzlich im Anschluss an einen internen Philosophie-Workshop in Schönbrunn auch gärtnerisch zu betätigen. Das Unternehmen hat mit Kirsten Detrick erst seit Kurzem eine neue Geschäftsführerin in Österreich. Ihr Ziel beschreibt sehr passend den Zugang japanischer Unternehmen: Sie will die „vertrauensvolle Position, die sich Takeda im Gesundheitswesen und in der österreichischen Wirtschaft erarbeitet hat, weiter ausbauen. Es ist mir ein großes Anliegen, das Konzept des Patienten im Mittelpunkt unseres Denkens und Handelns mit Leben zu erfüllen und zu beweisen, dass wir mit innovativen Ideen Zusatznutzen schaffen.“

In den international agierenden japanischen Unternehmen haben sich euopäische und angloamerikanische Managementmethoden längst vermischt. Dennoch besteht der wichtigste Unterschied zwischen japanischen und westlichen Managementkonzepten darin, dass in japanischen Unternehmen durch umfassende Qualitätskontrollen ein prozessorientiertes Denken eingeführt wurde gegenüber dem westlichen innovations- und ergebnisorientierten Denken. Die Managementmethode Kaizen geht von der Erkenntnis aus, dass es keinen Betrieb ohne Probleme gibt. Diese Probleme werden durch die Etablierung einer Unternehmenskultur gelöst, in der jeder ungestraft das Vorhandensein von Problemen eingestehen kann. Verbesserungen von Qualität und Produktionsplanung sowie Senkung der Kosten münden schließlich in eine erhöhte Kundenzufriedenheit. Das Management hat zwei Hauptaufgaben: Erhaltung und Verbesserung. Unter Erhaltung sind jene Aktivitäten zu verstehen, die auf Aufrechterhaltung bestehender technologischer, arbeits- und ablaufmäßiger Standards abzielen. Zur Verbesserung führen all jene Aktivitäten, die zur Optimierung dieser bestehenden Standards beitragen. Die Arbeit eines Mitarbeiters beruht in jedem Betrieb auf gegebenen, vom Management festgesetzten Standards. Sie werden mittels Training und Disziplin aufrechterhalten. Im Gegensatz dazu bezieht sich Verbesserung auf das Verbessern dieser Standards. Standards verbessern heißt höhere Standards setzen. Nachdem dies geschehen ist, ist es die erhaltende Aufgabe des Managements, auf die Befolgung dieser Standards zu achten.

 

 

Das Vorschlagswesen gilt als integraler Bestandteil des etablierten Managementsystems, und die Anzahl der von seinen Mitarbeitern eingereichten Verbesserungsvorschläge ist ein wichtiges Kriterium zur Leistungsbeurteilung. In den meisten japanischen Betrieben mit Kaizen-Programmen arbeiten Qualitätskontrolle und Vorschlagswesen eng zusammen. Die Rolle der QC-Zirkel wird verständlicher, wenn man diese insgesamt als gruppenorientiertes Vorschlagswesen in Richtung Verbesserung betrachtet. Außerdem gibt es die noch vor allem in Europa weit verbreiteten Einzelvorschläge. Oft findet man an den einzelnen Arbeitsplätzen auf Tafeln Angaben über die Zahl der hier abgegebenen Verbesserungsvorschläge, um den Wettbewerb unter den Arbeitern bzw. Arbeitsgruppen zu fördern.