Diabetes: neue Wirkstoffe mit überraschenden Effekten

Lange Zeit war die Therapie des Typ-2-Diabetes eine Sequenz weniger oraler Therapien, die meist nach kurzer Zeit in eine Insulinisierung mit allen damit verbundenen Unannehmlichkeiten (Hypoglykämien, Gewichtszunahme, mehrmalige Injektionen pro Tag) für den Patienten mündeten. Mit dem zunehmenden Wissen über die pathologischen Stoffwechselvorgänge ist in den letzten 15 Jahren jedoch eine Vielzahl neuer Präparate mit unterschiedlichen Wirkansätzen auf den Markt gekommen. Die bereits jetzt sehr weite Verbreitung dieser Präparate zeigt, dass es auf diesem Gebiet einen großen Bedarf an neuen, sicheren Therapieoptionen gibt.

Antidiabetika müssen mehr können

Nachdem 2010 Rosiglitazon aufgrund von Bedenken hinsichtlich einer erhöhten kardiovaskulären Morbidität und Mortalität weitgehend vom Markt genommen wurde, wurden berechtigte Forderungen laut, neu zugelassene Antidiabetika genauer auf ihre Sicherheit zu überprüfen. Die Gesundheitsbehörden der USA reagierten daraufhin mit einer Verschärfung der Zulassungsbedingungen, die in der Praxis darauf hinauslaufen, dass für fast alle neuen Präparate eine kardiovaskuläre Langzeitstudie („cardiovascular outcome trial“ – CVOT) durchgeführt werden muss. Für behandelnde Ärzte sind diese Studien von besonderer Bedeutung, da hier das Präparat in einem Setting angewendet wird, welches unseren Alltag viel besser widerspiegelt: die Studienteilnehmer sind oftmals Patienten mit vielen – vor allem atherosklerotischen und renalen – Vorerkrankungen, und das Medikament wird über einen längeren Zeitraum gegeben. Wichtig zu erwähnen ist, dass bei CVOT nicht die glykämische Überlegenheit des Prüfpräparats demonstriert werden soll (dazu dienen die übrigen Phase-III-Studien) – Therapieanpassungen in der Placebogruppe sind ausdrücklich erwünscht, sodass am Ende der CVOT idealerweise kein klinisch bedeutsamer HbA1c -Unterschied zwischen Präparat und Placebo erkennbar ist. Da solche Studien sehr langwierig und teuer sind, sind die meisten als sog. Nichtinferioritätsstudien konzipiert, d. h. der primäre Endpunkt ist zu zeigen, dass das getestete Medikament im Vergleich zu Placebo keine negativen kardiovaskulären Effekte ausübt. Ist dieses Ziel erreicht, wird im Anschluss eine Superioritätsanalyse durchgeführt – d. h.: „Gibt es zusätzliche positive Effekte verglichen mit Placebo?“.

Wie werden CVOT durchgeführt?

Um in diesen Studien statistisch belastbare Aussagen treffen zu können, muss eine Mindestzahl an kardiovaskulären Events stattfinden. Damit die Studiendauer nicht in unrealistische Längen gezogen wird, wählt man als primären Endpunkt in der Regel die Kombination aus „nichttödlichem Herzinfarkt“, „nichttödlichem Insult“ sowie „kardiovaskulärem Tod“. Diese Events werden als sog. „major adverse cardiovascular events“ (MACE) bezeichnet. Als Patientenpopulation wählt man diejenigen, die das höchste Risiko haben, diese MACE zu erleiden, und an denen man demzufolge einen kardiovaskulären Benefit am deutlichsten demonstrieren kann. Dies sind in allen CVOT Patienten mit bereits stattgehabter kardiovaskulärer Erkrankung, d. h. Myokardinfarkten, koronaren oder zerebrovaskulären Revaskularisierungen, hämodynamisch wirksamer KHK und Insulten. In manchen Studien wurden auch Patienten mit pAVK oder chronischer Niereninsuffizienz eingeschlossen; teils auch solche, die weichere Risikofaktoren aufwiesen (z. B. Linksventrikelhypertrophie, Mikroalbuminurie, Nikotinabusus etc.). Werfen wir einen Blick auf einige der bislang publizierten CVOT der letzten Jahre:

Ein flacher Start …

Die ersten Präparate, die Ergebnisse berichteten, waren zwei DPP4-Hemmer (Saxagliptin, Alogliptin). Beide konnten ein kardiovaskulär neutrales Profil vorweisen, jedoch fanden sich teils erhöhte Raten an kardialen Dekompensationen, v. a. bei Saxagliptin (Onglyza®). Später wurden auch Daten für Sitagliptin(Januvia®) publiziert. Hier zeigte sich sowohl für kardiovaskuläre Events als auch für kardiale Insuffizienz ein neutrales Ergebnis, d. h. die Anwendung ist sicher, führt aber zu keiner Risikoreduktion über die Blutzuckersenkung hinaus. Für Linagliptin (Trajenta®) sind entsprechende Studien noch nicht abgeschlossen. Ergebnisse werden für 2019 erwartet.

… gefolgt von einem Volltreffer

Als nächstes wurden die Resultate der Empa-Reg-Outcome-Studie der Fachwelt präsentiert. Untersucht wurde Empagliflozin(Jardiance®), ein SGLT2-Hemmer, bei einer Population von Typ-2-Diabetikern, die eine bestätigte vaskuläre Komplikation (KHK, cAVK, pAVK) hatten. Insgesamt handelte es sich um eine Population mit bereits recht ausgeprägten Komorbiditäten. Als Begleittherapie war jegliche Kombination aus OAD mit oder ohne Insulin erlaubt, der HbA1c musste anfangs zwischen 7,0 und 10,0 % liegen, die geforderte minimale eGFR lag bei 30 ml/min/1,73 m².
Grundsätzlich können SGLT2-Hemmer den HbA1c um etwa 0,5 bis 1 % senken, wenn man sie einer bestehenden Therapie hinzufügt (mehr bei höherem Ausgangs-HbA1c). Durch die Blockade des SGLT2-Transporters im proximalen Nierentubulus kommt es zu einer Verminderung der Rückresorption von Glukose aus dem Primärharn. Der osmotische Effekt dieser Glukose bewirkt in weiterer Folge eine milde Verstärkung der Diurese. Ausgehend von diesen Eigenschaften wurde ein ähnliches Ergebnis erwartet wie bei den DPP4-Hemmern.
Umso überraschender war dann die Tatsache, dass Empagliflozin nicht nur ein sicherer Wirkstoff ist, sondern auch eine beträchtliche Reduktion der kardiovaskulären Mortalität und Morbidität bot. Der primäre Endpunkt trat in der Verumgruppe um 14 % seltener auf als in der Placebogruppe. Dieses Ergebnis wurde in erster Linie getragen von einer um 38 % reduzierten kardiovaskulären Mortalität. Auch die Gesamtmortalität war in der Empagliflozingruppe um 32 % niedriger. Im Gegensatz zu manchen DPP4-Hemmern fand sich auch nicht nur keine erhöhte Rate an kardialen Dekompensationen, sondern sogar eine 35%ige Senkung (siehe Abb. 1). Zu guter Letzt konnte auch eine deutliche Reduktion der diabetischen Nephropathien (sowohl Neuauftreten als auch Fortschreiten) beobachtet werden. Ob es sich um einen Klasseneffekt handelt, wird man dieses Jahr bzw. 2019 erfahren, wenn die Ergebnisse für Canagliflozin (Invokana®) und Dapagliflozin (Forxiga®) veröffentlicht werden.

 

 

GLP-1 Analoga

Bislang konnten für zwei GLP-1-Analoga kardiovaskuläre Vorteile nachgewiesen werden: für Liraglutid (Victoza®) in LEADER und Semaglutid (noch nicht zugelassen) in SUSTAIN-6. Beide Studien hatten praktisch identische Einschlusskriterien. In der LEADER-Studie waren 9.340 Typ-2-Diabetiker inkludiert. Ein Drittel der Patienten entstammte hier einer Gruppe mit mittlerem CV-Risiko, d. h. sie hatten noch kein Ereignis, sondern lediglich einen positiven Risikomarker (z. B. LVH, diastolische Dysfunktion, Mikroalbuminurie) und waren zudem mind. 60 Jahre alt. Der Mindest-HbA1c betrug 7,0 %, als Vortherapie war jegliche Therapie bis auf DPP4-Hemmer, andere GLP-1-Präparate und kurz wirksame Insuline erlaubt. Der einzige deutliche Unterschied zwischen den beiden Studien lag in der Beobachtungsdauer: Mit 3,8 Jahren war diese in LEADER fast doppelt so lang wie in SUSTAIN-6 (2 Jahre).
In LEADER trat der kombinierte Endpunkt in der Verumgruppe um 13 % seltener auf als bei Placebopatienten, dies primär bedingt durch signifikant weniger kardiovaskuläre Tode (–22 %, Abb. 2). Im Gegensatz zur Empagliflozin-Studie, bei der die Insultrate numerisch (jedoch nicht signifikant) höher war, tendierten bei LEADER alle Endpunkte in die positive Richtung. Eine genaue Erklärung dafür ist noch nicht gefunden, der Unterschied könnte aber darin liegen, dass GLP-1-Analoga der Atherosklerose entgegenwirken, während SGLT2-Hemmer ihren Effekt eher über eine verstärkte Diurese entfalten dürften. Dies würde auch die unterschiedliche Dauer bis zum Eintreten der jeweiligen Effekte erklären: SGLT2-Hemmer wirken bereits nach wenigen Monaten vaskuloprotektiv, während der Effekt bei Liraglutid etwa nach 18 Monaten einsetzt.

 

 

SUSTAIN-6 ist die bislang letzte CVOT, die der Fachwelt präsentiert wurde. Bemerkenswerterweise war der primäre Endpunkt hier gar um 26 % reduziert. Für eine nennenswerte Reduktion der Todesfälle war die Studiendauer zu kurz, daher trat hier die Reduktion der Insulte in den Vordergrund (–39 %). Wieso es bei den beiden GLP-1-Analoga Unterschiede hinsichtlich der Outcomes gibt, ist derzeit nicht geklärt.
Auch bei den beiden GLP-1-Analoga konnte die pankreatische Sicherheit gezeigt werden. Auf Seiten der mikrovaskulären Folgen fand sich sowohl bei Lira- als auch bei Semaglutid eine reduzierte Rate an nephropathischen Komplikationen. Bei Retinopathien verhielt sich Liraglutid neutral, während es bei Semaglutid sogar zu einer signifikanten Erhöhung an Komplikationen kam. Wie dies zustande kam, ist derzeit Gegenstand von Untersuchungen, spekuliert wird ein – bei Typ-1-Diabetikern bekannter – negativer Effekt auf die retinalen Gefäße durch die relativ rasche und starke Blutzuckersenkung. Endpunktdaten für Exenatid (Bydureon®) und Dulaglutid (Trulicity®) werden 2017 bzw. 2019 präsentiert.

Fazit

Gegenüber den lange etablierten Sulfonylharnstoffen bieten neue Antidiabetika eine Reihe von Vorteilen, v. a. die erwiesene kardiovaskuläre Risikosenkung. Gleichzeitig fehlen auch die für Patienten teils sehr belastenden Nebenwirkungen der SU (Hypoglykämien, Gewichtszunahme). Ein breiterer Einsatz wäre angesichts der mittlerweile einfachen Verfügbarkeit (SGLT2-Hemmer und Liraglutid in Hellgelber Box) und der bestätigten Sicherheit für die meisten Patienten sinnvoll.