Die Schilddrüse: kleines Organ mit großer Wirkung

Schilddrüse hat einen Migrationshintergrund und vielseitige Wirkung

Die Schilddrüse wandert im Laufe ihrer Embryonalentwicklung vom Zungengrund abwärts, bis sie ihr Reiseziel vor dem Schildknorpel erreicht hat. Auf diesem Weg kann sie Spuren als versprengtes Schilddrüsengewebe hinterlassen, die ebenso funktionell sein und Hormone produzieren können (Abb. 1).
Die Thyreozyten verbinden sich zu Follikeln, in deren Lumen Hormone für einen Bedarf von mehreren Wochen gespeichert werden. Zwischen den Follikeln befinden sich die C-Zellen, die das Hormon Calcitonin produzieren. Die wichtigsten Schilddrüsenhormone sind allerdings Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3), wobei T3 durch Dejodierung in das aktive T3 umgewandelt wird. Dieser Vorgang wird durch Fasten oder bei schwerer Erkrankung unterdrückt. Die Produktion dieser Hormone wird durch einen negativen Feedback-Mechanismus von Hypothalamus (TRH) und Hypophyse (TSH) gesteuert.
Bereits im Mutterleib sind die Schilddrüsenhormone unerlässlich für eine normale Entwicklung des Gehirns des ungeborenen Kindes und mitverantwortlich für eine normale Entwicklung im Kindesalter und beim Heranwachsenden. Ansonsten sorgen sie für eine Aktivierung der Stoffwechselprozesse im gesamten Organismus.

 

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Jod für normale Funktionder Schilddrüse

Unentbehrlich für die Produktion der Schilddrüsenhormone ist das Jod, das aus der Nahrung aufgenommen wird. Der tägliche Jodbedarf beträgt laut WHO-Empfehlung 200 μg Jod, wobei dieser Bedarf bei Schwangeren am höchsten ist. Obwohl Jod in zahlreichen Nahrungsmitteln enthalten ist, kann der tägliche Bedarf an Jod nicht ausreichend gedeckt werden. In vielen Ländern wie auch in Österreich wird zur Vorbeugung des Jodmangels das Speisesalz seit Jahren zusätzlich mit Jodid angereichert. Der ernährungsbedingte Jodmangel ist dennoch nach wie vor die häufigste Ursache für die Entstehung eines Kropfes.
Die oxidative Vorbereitung und der Einbau des Jods ins Thyreoglobulin für die Hormonsynthese bedarf der Mitwirkung des Enzyms Schilddrüsenperoxydase (TPO), das wiederum ein beliebtes Angriffsziel bei Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse darstellt. Ein genetisch bedingter TPO-Enzymdefekt führt verständlicherweise zu einer mangelhaften Hormonsynthese.

Beschwerden bei Schilddrüsenvergrößerung oder Knotenbildung

In den Anfangsstadien einer diffusen oder knotigen Schilddrüsenvergrößerung sind die Beschwerden meist schleichend. Durch zunehmenden Druck auf die unmittelbar dahinter liegende Luft- sowie die Speiseröhre kann es zur Einengung dieser und zu Globusgefühl, Würgegefühl oder Atembeschwerden führen. Die Schilddrüsenfunktion ist oft noch normal, so dass eine normale Schilddrüsenfunktion eine strukturelle Anomalie nicht ausschließen kann.

Hyperthyreose

Bei einer Überfunktion entwickeln sich die Symptome ebenso allmählich. Anfangs treten vereinzelt Symptome wie Palpitationen, Unruhe, Schlafstörungen, Gewichtsabnahme sowie Haarausfall oder abnehmende Leistungsfähigkeit auf. Überfunktion kann sich auch durch vermehrtes Schwitzen und Hitzegefühl bemerkbar machen. Es können eine erhöhte Blutdruckamplitude und eine Beschleunigung der Muskeleigenreflexe auftreten. Bei Jüngeren ist in erster Linie eine Autoimmunhyperthyreose vom Typ Basedow mit eventuell begleitender endokriner Orbitopathie als Ursache dafür verantwortlich, bei Älteren eher eine funktionelle Autonomie (fokal, diffus), wobei auch Mischformen vorkommen können. Beweisend für M. Basedow ist der Nachweis von TRAK-Antikörpern (positiv in etwa 80% der Fälle) und/oder Vorliegen von endokriner Orbitopathie. Die Überfunktion ist in der Regel medikamentös mit Thyreostatika, bei Bedarf ß-Blockern und Einhaltung von Jodkarenz gut beherrschbar, in seltenen Fällen kann eine ablative Therapie in Form von Radiojodtherapie mit Jod 131I oder Operation erforderlich sein.

Hypothyreose

Wenn dem Körper zu wenig Schilddrüsenhormone zur Verfügung stehen, werden alle Stoffwechselvorgänge verlangsamt. Man fühlt sich müde, antriebslos, neigt zu Gewichtszunahme und Verstopfung, die Stimmung ist eher depressiv. Zusätzlich kann es zu Brüchigkeit der Haare, Hauttrockenheit und vermehrtem Haarausfall kommen. Das kann auch bei Kindern auftreten, die dann meistens übergewichtig sind und schlechte schulische Leistungen bringen. Die Muskeleigenreflexe sind verlangsamt. Die häufigste Ursache ist die chronische lymphozytäre Thyreoiditis Hashimoto, die Patienten müssen lebenslang mit Schilddrüsenhormon substituiert werden. Die Höhe der Anti-TPO-Antikörper hat keine Aussage in Bezug auf den Verlauf der Erkrankung. Bei negativem TPO-AK-Spiegel kann zusätzlich eine Tg-AK-Bestimmung diagnostische Hilfe beim Verdacht auf Hashimoto-Thyreoiditis liefern. Selengabe in den Anfangsstadien von Hashimoto kann den Verlauf verlangsamen.
Nur selten tritt eine sekundäre Hypothyreose auf, die durch unzureichende TSH- Produktion z.B. nach Hypophysenoperation bedingt ist. Differenzialdiagnostisch sollte hier auch an schweren, nichtthyreoidale Erkrankungen (NIT) gedacht werden, bei denen es ebenfalls zu einer verminderten TSH-Sekretion kommt.

Säulen der Schilddrüsendiagnostik

Beim Verdacht auf eine strukturelle Anomalie oder funktionelle Störung der Schilddrüse basiert die Abklärung auf verschiedenen Säulen.
Die klinische Untersuchung und die Blutuntersuchung geben die ersten Hinweise auf eine eventuell vorliegende Funktionsstörung der Schilddrüse. Die Laborbestimmung findet in einem Kaskadensystem statt, zuerst TSH und je nach Verdacht auf Unter- oder Überfunktion Erweiterung auf fT4- und zusätzlich Anti-TPO-Antikörper-Bestimmung zur Abklärung einer eventuellvorliegenden Immunthyreoiditis Hashimoto bzw. fT4- und fT3-Bestimmung (beim Verdacht auf M. Basedow zusätzlich TSH- Rezeptor-Antikörper[TRAK]-Spiegel). Der Stimulationstest mit TRH ist heutzutage durch die sehr sensitiven TSH-Tests kaum noch erforderlich.
Als nächster Schritt wird eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt, die Informationen über die Größe des Organs und eventuell knotige Veränderungen liefert. Es gibt einige Kriterien, die für eine nähere Charakterisierung in Bezug auf die Dignität eines Knotens herangezogen werden (Abb. 2).
Auch diffuse Veränderungen wie das Echomuster der Schilddrüse können dem Spezialisten Hinweise für mögliche Erkrankungen der Schilddrüsen liefern, wie es bei Immunthyreopathien oder subakuter Thyreoiditis de Quervain der Fall ist.
Die Szintigraphie gibt Auskunft über den regionalen Stoffwechsel (Abb. 2). Damit können so genannte „heiße“ (autonome) von „kalten“ Knoten, die eine vergleichsweise eine höhere Entartungstendenz haben, unterschieden werden. Schließlich gibt es die Möglichkeit der Feinnadelpunktion eines suspekten Knotens, die ultra-schallgezielt durchgeführt wird.

 

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Schilddrüse, Kinderwunsch und Schwangerschaft

Bei unerfülltem Kinderwunsch kann eine Schilddrüsendysfunktion sowohl bei der Frau als auch beim Mann eine wesentliche Rolle spielen, daher sollten die Schilddrüsenfunktion in solchen Fällen immer überprüft werden.
Bei bestehender Unterfunktion ist in der Schwangerschaft oft eine höhere Dosis an Schilddrüsenhormon erforderlich, bei Überfunktion ist man im Gegenteil mit der medikamentösen Therapie zurückhaltender, zumal hier oft andere hormonelle Ursachen (Cave: β-HCG) auch eine Rolle spielen können.
Bei Frauen mit erhöhten Schilddrüsenantikörpern kann es nach der Schwangerschaft durch eine überschießende Immunreaktion zum Auftreten einer „Postpartum Thyreoiditis“ mit Symptomen einer Hyperthyreose kommen, die keine oder lediglich eine kurzfristige symptomatische Therapie mit ß-Blockern benötigt. Bei Neugeborenen wird ein Screening mit TSH-Bestimmung auf angeborene Unterfunktion der Schilddrüse durchgeführt, die bei etwa 0,2% auftreten kann.

Interaktion mit Medikamenten und Schilddrüsenkarzinom

Wenn ein kleines Organ so mannigfaltige Wirkungen auf den Körper haben kann, ist es nicht verwunderlich, dass viele andere Umstände auch eine Wirkung auf die Schilddrüse haben können. Das reicht von einer subakuten Thyreoiditis de Quervain im Anschluss an einen HNO-Infekt bis hin zu destruierenden entzündlichen Vorgängen im Rahmen einer Therapie mit Amiodaron oder Interferon. Diese Sonderformen der Schilddrüsenaffektion bedürfen unterschiedlicher Therapieansätze mit demselben Ziel einer Wiederherstellung der euthyroiden Stoffwechsellage.
Nicht zu vergessen ist, dass auch ein Nebeneinander von Schilddrüsenerkrankungen auch vorkommen kann. Abbildung 2 zeigt das szintigraphische Bild eines Morbus Basedow mit einem kalten Knoten im Bereich des Isthmus, der im Ultraschall echoarm mit unscharfer Begrenzung (somit als suspekt einzustufen) erscheint. Die Feinnadelbiopsie ergab einen suspekten Befund (PN III) und die Histologie nach der Operation das typische Bild eines M. Basedow mit zusätzlich papillärem Karzinom.
Epitheliale Schilddrüsenkarzinome haben bis auf die glücklicherweise nur äußerst selten vorkommenden anaplastischen Karzinome eine sehr gute Prognose. Das beruht einerseits auf die langsame Wachstumstendenz der differenzierten Schilddrüsenkarzinome und neue radikale und gleichzeitig recurrensschonende Operationstechniken mit intraoperativem Neuromonitoring, und andererseits auf die gute Beherrschbarkeit der Erkrankung in der postoperativen Phase durch ablative Therapie. Der Thyreoglobulin(Tg)-Spiegel ist ein ausgezeichneter Tumormarker in der Nachsorge, der insbesondere nach endogener Stimulation (Aussetzen der Schilddrüsenhormontherapie für einige Wochen und dadurch TSH-Anstieg) oder nach exogener Stimulation mit einem rekombinanten humanen TSH (Thyrogen-Test) die beste Information auf ein Tumorrezidiv oder dessen Ausschluss bringt.
Die Risikoeinstufung der Patienten mit Schilddrüsenkrebs ist ein dynamischer Prozess und erfolgt am besten in den ersten sechs Monaten nach der Operation und ablativer Therapie mit Radiojod, wonach die Notwendigkeit einer Suppressionstherapie (TSH-Zielwert < 0,1 uU/ml) oder Substitutionstherapie mit einem TSH-Zielwert von 0,2–0,4 uU/ml angestrebt wird.

Normalwerte der Schilddrüsenhormone

Durch die Zugabe des Jods zum Speisesalz ist die Entstehung von großen „steirischen“ Strumen deutlich zurückgegangen. Da aber Jod das Öl im Motor der Schilddrüse darstellt, funktioniert die Schilddrüse nun anders als früher und dadurch haben sich die Normalwerte verändert. Nuklearmediziner aus Österreich und Deutschland haben sich gemeinsam mit einigen Kollegen von der Endokrinologie auf neue Normalbereiche (mehrheitlich auf TSH 0,3–3,0 uU/ml) geeinigt.
Die Mitglieder der nuklearmedizinischen Fachgesellschaft (www.ogn.at) in Zusammenarbeit mit der Fachgruppe Nuklearmedizin in der Ärztekammer und auch endokrinologisch tätige Chirurgen treffen sich in regelmäßigen Abständen, um entsprechende zeitgerechte Anpassungen der konservativen und chirurgischen Therapie-modalitäten vorzunehmen. Dazu gehören die Konsensuspapiere der Fachgruppe, die unter folgendem Link zu finden sind: http://www.bv-nuklearmedizin.at/.

Wien ist anders!

Bis auf Wien gibt es in allen Bundesländern Tarife für eine Schilddrüsenuntersuchung beim Facharzt für Nuklearmedizin. In Wien laufen seit Jahren diesbezügliche Verhandlungen mit der GKK, die heuer positiv zugunsten der Schilddrüsenpatienten abgeschlossen werden könnten.