„Die Situation der Schmerzpatienten ist beschämend!“

Die Österreichische Schmerzgesellschaft (ÖSG) macht auf eine inakzeptable Verschlechterung der schmerztherapeutischen Versorgungsmöglichkeiten in Österreich aufmerksam: „Es ist beschämend, dass es hierzulande noch nie möglich war, chronischen Schmerzpatienten eine State-of-the-art-Therapie im Sinne einer multimodalen interdisziplinären Versorgung anzubieten“, zeigt sich OA Dr. Wolfgang Jaksch, Abteilung für Anästhesie, Intensiv- und Schmerzmedizin, Wilhelminenspital, Wien, und Präsident der ÖSG, empört.
Mehr als 1,5 Millionen chronische Schmerzpatienten leben Schätzungen zufolge in Österreich. „Das in der Patientencharta – eine Vereinbarung zwischen Bund und allen Ländern nach Art. 15a der Bundesverfassung – gesetzlich verankerte Recht auf eine bestmögliche Schmerztherapie, bleibt für viele chronische Schmerzpatienten totes Recht, da die Schmerztherapie in unserem Gesundheitssystem nach wie vor nicht verankert ist und der Bereich zusätzlich unter massiven Einsparungen leidet“, so Jaksch.
Alleine zwischen 2010–2015 wurden neun Schmerzambulanzen geschlossen – ein Trend, der sich fortsetzt. Zusätzlich kam und kommt es zu einer massiven Reduzierung der Leistungen. Die vornehmlichen Gründe sind mangelnde personelle, zeitliche räumliche und finanzielle Ressourcen.*
Die etwa 40 noch bestehenden Ambulanzen werden mit sehr unterschiedlichen Öffnungszeiten geführt, teilweise mit nur drei Stunden täglich, maximal aber mit 32,5 Stunden pro Tag!
„Gerade einmal eine einzige Einrichtung, nämlich das im Rahmen eines zeitlich begrenzten Reformpoolprojekts finanzierte Zentrum für Interdisziplinäre Schmerztherapie, Onkologie und Palliativmedizin (ZISOP) in Klagenfurt, entspricht einem multimodalen Schmerzzentrum mit einem intensiven Spezialangebot für Patienten mit schwierigst zu behandelnder Schmerzchronifizierung“, betont Jaksch.
Durch die mangelhaften Versorgungsmöglichkeiten entstünden nicht nur Patientenleid und eine massive Reduktion der Lebensqualität. Unzureichend behandelte chronische Schmerzen führten auch zu steigenden direkten klinisch-medizinischen Behandlungskosten und hohen indirekten Kosten durch den Ausfall von Arbeitstagen und Produktivitätsverlust.

Top-down statt bottom-up

Die Engpässe, die durch die strukturellen Defizite entstehen, können auch im niedergelassenen Bereich nicht mehr aufgefangen werden. „Einerseits ist die Zahl der niedergelassenen Kassenärzte im Verhältnis zur Bevölkerung rückläufig. Andererseits sind Diagnostik und Therapie von Patienten mit chronischen Schmerzen sehr zeitintensiv – ein Aufwand, der von den Krankenkassen in keinster Weise adäquat abgegolten wird“, bemängelt der ÖSG-Präsident. Die Versorgungsengpässe im ambulanten Bereich dürften mit ein Grund sein, dass viele Patienten in der teuersten Versorgungsebene landen und stationär behandelt werden müssten, so Jaksch weiter. Um diesem Problem entgegenzuwirken, brauche es eine strukturierte Schmerzversorgungspyramide, in der eine sinnvoll abgestufte Versorgung vom Hausarzt bis in die bettenführende Schmerzabteilung oder das spezialisierte Schmerz-Rehazentrum abgebildet werde.
„Es ist unumgänglich, die Schmerztherapie im Gesundheitssystem endlich strukturell zu verankern. Viele der großartigen Initiativen, die es derzeit gibt, sind aufgrund der Initiative einzelner engagierter Kolleginnen und Kollegen ‚von unten‘ herauf entstanden. Diese Einzelinitiativen stehen in Zeiten von Ressourcenknappheit und Sparzwang allerdings auf verlorenem Posten“, wird von Jaksch befürchtet.

Prekäre Lage der Ausbildung

„Dass es in Österreich keine durchgehende Versorgung für Patienten mit chronischen Schmerzen gibt, liegt auch daran, dass nur rund 600 Ärzte ein Zusatzdiplom für Schmerztherapie der Österreichischen Ärztekammer haben“, gibt Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, Vorstand der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin sowie Leiter des ZISOP, Klinikum Klagenfurt, zu bedenken.
Das Schmerzdiplom setzt sich aus 120 Stunden Theorie und 80 Stunden Praxis zusammen. „Das Dilemma ist allerdings, dass in Österreich zu wenig Schmerzambulanzen und Schmerzkliniken für die Praxisausbildung zur Verfügung stehen. Dass immer mehr Schmerzambulanzen geschlossen werden, verschärft die Lage noch zusätzlich!“, betont Likar.
Sinnvoll wäre es aus Sicht des Experten, in Abstimmung mit allen Fachgesellschaften eine Zusatzweiterbildung in Schmerz einzuführen, um die Qualität in der Schmerzversorgung zu verbessern.

* Szilagyi I S, Bornemann-Cimenti H, Messerer B, Vittinghoff M, Sandner-Kiesling A. Der Schmerz 2015; 6:616–24

 

„Hausarzt ist erster Ansprechpartner für Schmerzpatienten“

Schmerzen sind ein häufiges Symptom unterschiedlichster Krankheitsbilder und unterschiedlicher Ätiologie mit völlig unterschiedlichen Behandlungsstrategien. Schmerzerkrankungen bedeuten für die Betroffenen nicht nur eine massive Einschränkung der Lebensqualität, sondern gehen auch volkswirtschaftlich mit direkten und indirekten Kosten einher. Als direkte Kosten sind krankheitsbedingte Fehltage zu verstehen. Zu den indirekten Kosten zählen Behandlungskosten, aber auch solche, die dadurch entstehen, dass manche Berufe aufgrund von Schmerzen nicht mehr ausgeübt werden können.
In der österreichischen Sozialversicherung verzeichnen wir derzeit mehr als zwölf Millionen Verordnungen, die Wirkstoffgruppen zur Schmerzbehandlung beinhalten. Das Kostenvolumen für die Sozialversicherung beträgt jährlich rund 150 Millionen Euro. Trotz dieser nicht unbeträchtlichen Zahlen geben 25% der Erwachsenen an, unter Schmerzen zu leiden.
Vor diesem Hintergrund ist und bleibt der Hausarzt für uns der erste Ansprechpartner für Schmerzpatienten. Mit der neuen Primärversorgung soll der Hausarzt in Zukunft als Manager ein Teil eines vernetzten Teams sein, wodurch eine noch bessere und effizientere Versorgung und auch mehr Zeit für Beratungsgespräche bleiben wird. Gleichzeitig müssen auch Anreize geschaffen werden, um die Thematik Schmerz nicht nur in der Ärzteausbildung zu verankern, sondern auch in der Honorierung im niedergelassenen Bereich. Wir alle wissen, dass schon aufgrund der aufgesplitterten Kompetenzen zwischen dem stationären und dem niedergelassenem Bereich grundlegende Veränderungen nicht so rasch möglich sind. Es sollte meines Erachtens ein besonderes Augenmerk auf die Schnittstellen zwischen beiden Bereichen gelegt werden. Beispielsweise hat die oberösterreichische Gebietskrankenkasse im Bereich Nahtstellenmanagement ein sehr innovatives Pilotprojekt mit dem Land und der Ärztekammer für Oberösterreich geschaffen. Dieses Projekt setzt neue Maßstäbe in der Koordination der Versorgung von Patienten. Spitäler, Alten- und Pflegeheime, mobile Dienste, Rettungsdienste und weitere 30 Anbieter von Gesundheits- und Sozialdiensten arbeiten eng zusammen, um organisatorische Grenzen zu überwinden. Ich glaube, dass Pilotprojekte in Modellregionen in der Schmerzversorgung künftig eine wichtige Rolle spielen werden. Auch darf in Bezug auf Schmerz die Prävention nicht außer acht gelassen werden. Besonders chronischer Schmerz hat seine Ursache meist in chronischen Erkrankungen. Kommen Begleiterscheinungen ins Spiel, lassen sich Schmerzen oft nicht mehr ihrer eigentlichen Ursache zuordnen. Daher ist für uns die Gesundheitsförderung und Prävention auch bei der Vermeidung von Schmerz unabdinglich.

Mag. Martin Schaffenrath, MBA, MBA, MPA