Freier Arztberuf in Gefahr!

Am 19. 12. 2012 war es soweit: im zähen Ringen um die Gesundheitsreform wurde bei einer außerordentlichen Tagung der Landeshauptleute in Innsbruck unter Vorsitz des Tiroler Landeshauptmannes Günther Platter sowie Gesundheitsminister Alois Stöger und Finanzministerin Maria Fekter für den Bund die §15a-Vereinbarung unterzeichnet. Die Protagonisten jubilierten, die Rede war von einer „historischen Wende“, einem „großen Wurf“, einem „echten Freudentag“ für Patienten und Steuerzahler. Unterzeichnet wurden zwei Staatsverträge: der Zielsteuerungsvertrag zwischen den Ländern und dem Bund und jener im Hinblick auf die Gesundheitsfinanzierung.
Doch was kann das alles – neben vielen anderen Konsequenzen – für die Ärzteschaft bedeuten? Die niedergelassenen Ärzte sind u.a. durch folgende Maßnahmen besonders betroffen:

  • Die Honorar- und Tarifautonomie der Ärztekammer hat sich an vorgegebenen Budgets zu orientieren. Möglichkeit zur Auflösung bestehender Ärzteverträge, potenzielle Unterwanderung des Gesamtvertragsrechtes nach ökonomischen Kriterien.
  • Mitentscheidung bei der Planung von Kassenstellen durch die Behörde – und damit auch darüber, welche Ärzte zu welchen Konditionen wie und wo arbeiten. Damit wird das bedarfsbasierte, von objektiven Kriterien getragene Auswahlverfahren von Krankenkassen und Ärztekammern ausgehebelt.
  • Ergänzt werden diese Ansätze zu ausgabengesteuerter Verstaatlichung und straffem Dirigismus durch potenziell auswuchernde Richtlinienmedizin, Leitlinien und enges Medikamentenregime, was zu einer Abkehr von individueller Behandlung der Patienten führt. Die Zukunft liegt in der preisgünstigen Einheitsbehandlung. Empfindliche Störung des höchstpersönlichen Vertrauensverhältnisses zwischen Patient und Arzt.
  • Die Spitäler sollen verstärkt für die ambulante Versorgung herangezogen werden. Damit kann den Krankenhäusern frisches Geld der Krankenkassen für neue „Geschäftsfelder“ zugeführt werden. Konsequenz: weitere Belastung der Spitalsambulanzen und der Spitalsärzte, Konkurrenzierung insbesondere der niedergelassenen Fachärzte.

Durch Bürokratie, Behandlungsdirigismus und auferlegte ökonomische Zwänge wird die Attraktivität, sich in einer fachärztlichen oder allgemeinmedizinischen Ordination niederzulassen, weiter sinken.

Beispiele aus der Wiener Praxis

In der Praxis wird schon seit Jahren gespart, wie OMR Dr. Rudolf Hainz, Wien, als Zeitzeuge aus langer Erfahrung zu berichten weiß: „In Wien müssen wir bei der Gebietskrankenkasse um jede Stelle betteln! Das einzig Wichtige scheint der GKK zu sein, die Kopfzahl zu reduzieren. Seit 2003 wurden in Wien – trotz Zunahme der Bevölkerungszahl – laufend Allgemeinmediziner eingespart.“ In den letzten zwei bis drei Jahren sei die Wiener Gebietskrankenkasse so weit gegangen, dass Ordinationen mit 700–800 „Scheinen“ nicht nachbesetzt werden sollen. „Das ist eine glatte Katastrophe“, meint Hainz. „Viele Stellen kommen in eine so genannte „Strukturreserve“, aus der sie aber nie wieder herauskommen.“
Nicht nachvollziehbar sei auch das Vorgehen der WGKK im psychiatrischen Fachbereich – obwohl hier ein deutlich steigender Bedarf vorhanden sei.
Hainz: „Ein striktes Festhalten am derzeitigen RSG ist hier sicher nicht zielführend. In Wien gibt es außerdem noch keinen einzigen Kinderpsychiater mit Krankenkassen!“

Eine weitere Baustelle sei der überabeitete Großgeräteplan im stationären Bereich: die derzeit in Wien vorhandenen zwölf Koronareinheiten sollen im neuen Plan um zwei reduziert werden. Hainz: „Dadurch wird es zu einer Konfliktsituation zwischen akuten Koronarangiographien und peripheren Klappenoperationen (die ebenfalls in den Koronareinheiten durchgeführt werden und ca. drei bis fünf Stunden dauern) kommen. Unter Umständen müssen dann Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom warten, weil der Raum gerade besetzt ist.“
Bekannt ist auch die Problematik der Deckelungen bei CT- und MR-Untersuchungen, was speziell zu Jahresende zu wochen- bis monatelangen Wartezeiten führt. 
Einen weiteren Angriff sieht Hainz durch drei Projekte (MED 22 in SMZ-Ost-Nähe, MARS bei KH Nord und KES-Nachfolgeprojekt), die als ambulante Versorgungszentren von Gemeinde Wien und GKK geplant sind – damit werden eigene Verträge unter Umgehung der Ärztekammer ermöglicht. „Der Niederlassungsplan soll ausgehebelt werden!“
Das Fazit von Hainz: „Das Vorgehen der Wiener Gebietskrankenkasse lässt insgesamt den Verdacht aufkommen, dass kein Interesse daran besteht, dass es den Versicherten gut geht. Wo bleibt die sozialpolitische Verantwortung?!“

Angriff auf denfreien Arztberuf

Auch Univ.-Prof. Dr. Klaus Firlei, Professor für Arbeits-, Wirtschafts- und Europarecht an der Universität Salzburg, schätzt die Entwicklung äußerst problematisch ein: „Die Freien Berufe sichern den Bürgern den Zugang zu den elementaren Lebensbereichen wie etwa Gesundheit, Recht und Sicherheit. Sie decken Grundansprüche und Grundrechte des Bürgers ab. Die zukünftigen Einschränkungen gehen ins Berufsrecht der Ärzte hinein, die nach dem Ärztegesetz den Auftrag haben, in Eigenverantwortung nach bestem Wissen und Gewissen unter Anwendung der medizinischen Wissenschaft zu behandeln. Die Ärzteschaft wird aber unter Bedingungen gesetzt, die das quasi unmöglich machen. Das ist meines Erachtens nicht nur eine problematische, sondern auch äußerst unethische Vorgangsweise.“ Die Grundsätze der Freien Berufe (s. Kasten) würden angegriffen.
„Man will offensichtlich – das zeigt sich schon seit dem Erstattungskodex – die Medizin standardisieren. Ärzte sollen mit Vorgaben und Leitlinien arbeiten, die aber nicht zur Qualitätssicherung beitragen, sondern rein ökonomischen Hintergrund haben – u.U. mit dem Effekt, dass eine Behandlung nur am untersten Niveau möglich ist. Will das ein Arzt nicht, werden große bürokratische Hürden errichtet – notwendige ausführliche Begründungen usw. Meine Vermutung ist, dass man genau für diese Kontrollfunktionen und für die Umsetzung einer an sich unserem Ärztegesetz widersprechenden standardisierten Medizin die ELGA braucht, mit der alles schnell und effizient kontrolliert werden kann – man sieht sofort, ob eine Behandlung nicht den Standards entspricht und „zu viel“ ist und es kann mit Sanktionen eingegriffen werden. Das ist meines Erachtens die Hauptintention von ELGA.“
Firlei meint auch, dass die Vertragsposition der Ärztekammer bereits in einigen Reformen geschwächt wurde. Er übt prinzipiell schwere Kritik an der Gesundheitsreform: „Es ist eine deutliche Begrenzung von Mitteln vorgesehen – ein Einsparvolumen von mehreren Milliarden Euro –, was auf jeden Fall zu Rationierungseffekten führen wird. Damit wird das gegenwärtige Leistungsniveau nicht gehalten werden können. Auch aufgrund der verschiedenen Hintergrundfaktoren wie Alterungsprozesse, zunehmende Multimorbidität bei älteren Menschen, Zunahme der chronischen Krankheiten, Zunahme der psychischen Krankheiten und der medizinische Fortschritt geht der Trend dahin, dass man eher mehr Geld braucht. In den Bereich der Prävention werden nur lächerliche Summen investiert, die nicht der Rede wert sind. Es wird im psychischen Bereich nichts getan, es wird im Bereich der Arbeitswelt nichts getan – die Dynamik bleibt also aufrecht.“
Firleis nächster Kritikpunkt von Firlei sind die so genannten Effizienzgewinne: „Es ist von einer besseren Kooperation die Rede, von einer Vermeidung von Doppeluntersuchungen und dass es Effizienzreserven gibt – die gibt es auch, z.B. die oft angesprochene Frage der Verlagerung von Leistungen aus den Krankenanstalten in den niedergelassenen Bereich. Das muss auch passieren, aber da fehlt eine Feinabstimmung, wer nun was zu tun hat. Es gibt keine Regelungen, welche Leistungen vom Ambulanzbereich in den niedergelassenen Bereich verschoben werden sollen. Um diese Effizienzreserven zu erschließen, müsste man Maßnahmen setzen, die in der ersten Phase auch etwas kosten – z.B. der Ausbau des Hausarztsystems: Wenn der Hausarzt etwa auch gewisse präventive Funktionen übernehmen soll, kostet das zuerst einmal etwas, bis es sich rechnet.
Es besteht sogar eher die Gefahr, dass die Ambulanzstruktur aufrecht bleibt und im niedergelassenen Bereich eine zweite Struktur aufgebaut wird.
Firlei kritisiert als weiteren Punkt, dass ausschließlich die Zahler, also die Länder, die Sozialversicherungen und der Bund, in den Steuerungsgremien sitzen. „Das bedeutet, dass die Interessen, die dort vertreten sind, völlig einseitig sind. Es sollten Experten, natürlich mit den Anbietern von Gesundheitsdienstleistern, also insbesondere Ärzte, eingebunden werden. Die Patienteninteressen werden von den Zahlern nicht vertreten.“ Firlei fordert u.a. die Etablierung einer eigenen, starken Patientenschiene, die in den Steuerungsgremien vertreten sein sollte. „Die Patientenanwälte helfen in Einzelfällen, aber im Grunde machen sie keine Gesundheitspolitik und sind offensichtlich auch nicht in der Lage, bestimmte Probleme zu sehen. Wenn ich von Patientenanwälten höre, dass ELGA in Ordnung ist und dass diese Reform ein Fortschritt ist, dann können sie sich das nicht genau angesehen haben.“

 

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Grundsätze der Freien Berufe
Charakteristisch für die Freien Berufe ist ihre Tätigkeit im unmittelbaren Interesse des Bürgers; sie garantieren die Durchsetzung seiner Grundbedürfnisse wie z. B. Recht auf Gesundheit, Zugang zum Recht etc. Aus dieser Funktion heraus sind sie Mittler zwischen Bürger und Staat und garantieren so dem Einzelnen Freiheit im Staat und Freiheit vom Staat.
Um ihren Patienten, Klienten und Auftraggebern die für die Erfüllung solcher Aufgaben notwendige Qualität zu garantieren, unterliegen die Freien Berufe einem eigenen Berufsrecht. Der klar definierte Aufgabenbereich und strenge Standesregeln unterscheiden sie vom Gewerbe.
Definition der Freien Berufe:
Angehörige Freier Berufe erbringen auf Grund besonderer Qualifikation
  • persönlich
  • eigenverantwortlich und
  • fachlich unabhängig

geistige Leistungen im Interesse ihrer Auftraggeber und der Allgemeinheit. Ihre Berufsausübung unterliegt spezifischen berufs- und standesrechtlichen Bedingungen nach Maßgabe der staatlichen Gesetzgebung und des von der jeweiligen Berufsvertretung autonom gesetzten Rechts, welche Professionalität, Qualität und das zum Auftraggeber bestehende besondere Vertrauensverhältnis gewährleisten und fortentwickeln.