Gefährlicher Krach um die Drogenersatztherapie

Den Anfang machte die Ressortchefin – an sich nur für den Anteil der Exekutive an der österreichischen Drogenpolitik zuständig – viel mehr dafür niedergelassene Ärztinnen und Ärzte – Ende vergangenen Jahres. „Die Anzeigen sind kontinuierlich gestiegen (…), wir sehen akuten Handlungsbedarf“, sagte sie bei einer Pressekonferenz am 13. November 2012. Die Zahl der jungen „Drogeneinsteiger“ im Alter von 14–18 Jahren habe sich fast verdoppelt (2009: 395; 2011: 670). Dann ging’s auch gleich um die „Haaranalyse“ bei „Drogenlenkern“ und schließlich – um Drogenkranke, ihre medizinische Therapie und die Substitutionsbehandlung insgesamt. Man wolle die Drogenersatztherapie nicht abschaffen, aber …

Die Fakten: Im Jahr 2012 gab es in Österreich laut Gesundheitsministerium 16.782 Drogenkranke, die in Substitutionstherapie kamen oder sich darin schon länger befanden. Die Sache ist eine Erfolgsstory, wenn medizinische Behandlung für Opiatabhängige als vorrangig akzeptiert wird.
Wurden 1987 laut den Zahlen des Gesundheitsministeriums 220 Personen behandelt, waren es 1996 bereits 2.186, 2005 dann 7.585, mit dem Jahr 2011 schließlich 16.782, davon allein rund 7.000 in Wien. Damit dürfte in Österreich mittlerweile rund die Hälfte der in Österreich zwischen 30.000 und 34.000 Opiatabhängigen mit problematischem Konsum in Behandlung sein, in Wien sind es rund 75%.
Die verwendeten Medikamente: Retardiertes Morphin hatte einen Anteil bei den Patienten von 55%, Methadon einen von 21% und Buprenorphin einen von 18%. Beim retardierten Morphin gibt es schon Erfahrungen mit mehr als 600.000 Behandlungsmonaten.

Ein Teil der Ärzte engagiert

Mit Stichtag 30. Juni 2011 gab es in Wien 359 Ärzte mit der entsprechenden Ausbildung (274 versorgungswirksam). In Niederösterreich waren es 62 Ärzte mit Ausbildung (191 versorgungswirksam), Burgenland: 24/59, Steiermark: 39/50, Oberösterreich: 81/68, Salzburg: 10/17, Kärnten: 16/9, Tirol: 44/35 und Vorarlberg: 17/10. Am weißesten sind die „Flecken“ nach Bundesländern in Vorarlberg, in Salzburg und in Kärnten. Auch in Tirol, Oberösterreich und der Steiermark ist die Decke „dünn“.
„Es ist sehr schwierig, Zahlen zu nennen, wie viele niedergelassene Ärzte in der Substitutionsbehandlung wirklich aktiv sind. Es wird um die 800 geben, die einmal die Ausbildung absolviert haben. Doch ich schätze, dass in Österreich insgesamt 400–450 aktiv sind. In Wien sind es um die 270. Durch diese Diskussionen werden die Kollegen auf jeden Fall verunsichert“, sagte Dr. Norber Jachimowicz, Leiter des Referats für Substitutionsfragen der ÖÄK. In der Datenbank des Gesundheitsministeriums finden sich jedenfalls derzeit 616 zur Substitution berechtigte Ärzte. 548 sind dazu berechtigt, auch neue Patienten einzustellen, 68 sind als „Weiterbehandler“ vermerkt.

 

 

Keine Honorarposition

Wobei das ganze Umfeld in einigen Bundesländern offenbar ausgesprochen schlecht für die Substitutionstherapie ist. Dr. Jörg Pruckner, steirischer Allgemeinmedizin-Veteran: „Bei uns ist die Situation katastrophal. Es gibt vielleicht 13, 14 niedergelassene Ärzte in der Steiermark, die da mitmachen. Und ich kann’s niemandem verdenken, wenn er nicht mitmacht. Die steirische Gebietskrankenkasse zahlt nichts dafür. Es ist eine schwierige Klientel.“ Und dann stehe man als Arzt noch mit einem Fuß im Kriminal.
Skurril ist die Situation in Vorarlberg. Dr. Harald Schlocker, Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte: „Bei uns wird Wahlärzten ein Honorar für die Versorgung von Substitutionspatienten vom Land gezahlt. Die Kassenärzte bekommen nichts.“

Lobbyismus-Vorwurf

Es konnte ja nicht lange dauern, bis man mehr oder minder unterschwellig den beteiligten Ärzten auch noch finanzielle Motive bei ihrem Engagement in der Drogensubstitution unterstellte und ein „Pharma-Krieg“ von Herstellern als Hintergrund auftauchte. Die Fakten zu der Debatte über die retardierten Morphine:
Dass – wie Kritiker anmerkten – „nur noch“ in Österreich retardierte Morphine in der Substitutionstherapie verwendet würden, ist offenbar eine Umkehrung der Realität. Retardierte Morphine sind in der EU in drei Ländern zugelassen. Das entscheidet immer das jeweilige Land, hat aber nichts mit „nur noch“ etc. zu tun. Dr. Hans Haltmayer, jetzt Referent für Substitution und Drogentherapie in der Wiener Ärztekammer, korrigiert: „Die Schweiz ist dabei, ein retardiertes Morphinpräparat zuzulassen. Und die Schweiz kann man nicht als rückschrittlich in der Behandlung von Drogenkranken ansehen.“ In Deutschland gebe es ähnliche Bestrebungen.
Haltmayer: „Diese Behandlung reduziert die Sterblichkeit um zwei Drittel. Die Substitutionstherapie bedeutet auch eine enorme Kostenersparnis. Jeder in die Behandlung investierte Euro erspart dem Gesundheitswesen zwölf Euro. Hundert Euro täglicher Haftkosten stehen rund fünf Euro an Medikamentenkosten gegenüber.“

Debatte über Medikamente

Warum retardierte Morphine von den behandelten Patienten offenbar bevorzugt eingenommen werden, lässt sich leicht auf die Pharmakologie zurückführen. Heroin wirkt ausschließlich am My-Morphin-Rezeptor im Gehirn. Das tut eben auch exakt das retardierte Morphin. Morphin hat eine leicht dämpfende Wirkung. Methadon wirkt neben seinem Effekt auf den My-Rezeptor auch auf die Noradrenalin- und auf die Serotonin-Rezeptoren. Das führt zu einer ständigen „Benebelung“, welche viele Patienten nicht tolerieren. Buprenorphin wiederum ist offenbar nur für wenige Patienten geeignet. Sie bleiben kognitiv „glasklar“ – was wiederum manche Betroffenen nicht tolerieren, wie bei Fachleuten argumentiert wird.
Aus den Zahlen des Innenministeriums über die Sicherstellung von suchtgifthaltigen Arzneimitteln lässt sich jedenfalls kein echter Trend ablesen. 2002 waren es 392, 2006 schließlich 1.571, 2008 wiederum 1.015 und 2011 schließlich 1.712. Setzt man das in Relation zur Zahl der Substitutionspatienten (2002: 4.883; 2006: 8.656; 2011: 16.782), wird es noch undurchsichtiger.
Auch die Zahl der sichergestellten suchtgifthaltigen Tabletten ist eher im Sinken begriffen: 2002 waren es pro Sicherstellung im Durchschnitt zehn, 2003 dann 24,33, seit 2005 jeweils unter zehn, im Jahr 2011 schließlich im Durchschnitt 7,30 pro Sicherstellung. Weiters fiel auch die Zahl der durchschnittlich bei Aufgriffen sichergestellten Kapseln mit retardierten Morphinen: bei einem der Präparate von durchschnittlich 4,6 je Aufgriff auf 3,6 im Jahr 2011. Wenn im Jahr 2011 beispielsweise 8.231.040 Kapseln eines der Präparate mit retardiertem Morphin in Österreich ausgeliefert wurden, machten die Sicherstellungen laut Berechnungen 0,07% dieser Menge aus.

Andere Themen wichtiger

Dabei wären laut Jachimowicz andere Themen viel wichtiger: „Wir haben in Wien erstmals ein System geschaffen, wo das Gesundheitswesen von der Polizei sofort erfährt, wenn jemand mit einer größeren Menge aufgegriffen wird. Dann wird nachgeschaut, ob sich der Betroffene in Substitutionstherapie befindet. Wenn da Handel mit den Präparaten vorliegt, bekommt der behandelnde Arzt eine Nachricht. Dann wird eben mit der Abgaberegelung etc. reagiert.“
Offenbar eine Erfolgsstory: Die Verschärfung der Verschreibungsmodalitäten für schnell anflutende Benzodiazepine hat den Umsatz mit den Mitteln seit Mitte Dezember 2012 auf 45% des damaligen Wertes fallen lassen. Jachimowicz: „Die Diskussion, welches Substitutionsmittel verwendet wird, ist ein Scheingefecht. Die Drogentoten sterben vor allem, wenn sie aus dem Gefängnis kommen und glauben, sie könnten die Dosis injizieren, die sie vorher verwendet haben. Die zweite Gruppe sind diejenigen, die Mischkonsum mit Benzodiazepinen und Alkohol betreiben.“

 

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