„Genug gespart!“

Für die Ärzte ist klar: Sie wollen künftig in der Gesundheitspolitik wieder stärker mitreden. Die jüngste Vollversammlung der Österreichischen Ärztekammer forderte deshalb im Hinblick auf die kommende Nationalratswahl alle politischen Parteien auf, Ärzte an wählbare Stelle zu nominieren. „Ärztinnen und Ärzte haben die bei Weitem längste Ausbildung aller Gesundheitsberufe und tragen für die Gesundheit der Bevölkerung die Hauptverantwortung. Sie sind Expertinnen und Experten in diesem Gesellschaftsbereich, verfügen aufgrund ihrer tagtäglichen Tätigkeit über eine hohe soziale Kompetenz und kennen auch die Stärken, Schwächen und Entwicklungschancen des Systems“, sagt der Präsident der Österreichischen Ärztekammer, Dr. Thomas Szekeres.
Da das Gesundheitswesen fast elf Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmache, Hunderttausende von Arbeitsplätzen – vor allem von Frauen – sichere, von der gesamten Bevölkerung täglich in hohem Maße in Anspruch genommen werde und für den Wirtschaftsstandort Österreich von zentraler Bedeutung sei, sollte die politische Verantwortlichkeit durch Experten in diesem System wahrgenommen werden, ist die Ärzteschaft überzeugt. Szekeres: „Die Einbeziehung von Ärztinnen und Ärzten in die politische Weiterentwicklung beziehungsweise Stabilisierung des Gesundheitswesens sollte – abgesehen von der Standespolitik – daher auch in den politischen Parteien direkt erfolgen.“ Der Ärztekammerpräsident wünscht sich aber auch ein Ende der Spardiskussionen und die Sicherstellung der finanziellen Ressourcen. Eine schnell wachsende und älter werdende Bevölkerung müsse medizinisch versorgt werden. „Ausgabendeckel bedeuten Rationierung, obwohl die Gesundheitsausgaben in den vergangenen Jahren kaum gestiegen sind, muss mit Ausgabensteigerungen künftig gerechnet werden.“ Dafür müsse auch das Sozialversicherungssystem besser finanziert werden, insbesondere finanzschwache Gebiete und ihre Gebietskrankenkassen – etwa auch durch eine Finanzierung aus einer Hand zumindest des niedergelassenen und ambulanten Bereiches. Nicht zuletzt, weil auch der niedergelassene Bereich ausgebaut werden müsse. Szekeres: „Zentren zu entwickeln ist nur scheinbar eine Lösung, es braucht eine praxistaugliche Vielfalt an Modellen – Stichwort: Anstellung von Ärzten bei Ärzten –, damit wir unseren internationalen Rückstand in der Primärversorgung aufholen können.“ Insgesamt wünscht sich der Ärztekammerpräsident mehr Wertschätzung für die Ärzte und eine Attraktivierung der Ausbildung, um Absolventen des Studiums in Österreich zu halten. „Dazu gehören Lehrpraxisfinanzierung, Forcierung der Ausbildung für Allgemeinmedizin sowie gezielte Förderungsprogramme, unterstützt von Bund, Ländern, Gemeinden und den Kassen, um vor allem die Landmedizin attraktiv auszubauen.“ Grundlegende Änderungen fordert auch Ursula Frohner, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes (ÖGKV): „Insbesondere die Versorgung chronisch Kranker und der steigende Bedarf am Sektor Langzeitpflege fordern dringend dazu auf, grundlegende Änderungen vorzunehmen.“ Es sei evident, dass die Anwendung von umfangreichen Therapiekonzepten, beispielsweise bei Menschen, die an Diabetes und an Demenz leiden, nicht mehr nur durch pflegende Angehörige oder Betreuungskräfte geleistet werden könne. Frohner: „Die mobile Hauskrankenpflege ist dringend mit gut ausgebildetem Gesundheits- und Krankenpflegepersonal weiter auszubauen. Darüber hinaus gilt es unbedingt das Fachwissen von Pflegekräften im Rahmen der Primärversorgung, und zwar auch per Visitentätigkeit, flankierend zur Allgemeinmedizin zu nutzen.“ Der Blick in andere europäische Länder zeige sehr deutlich, welche positiven Effekte auf das Gesundheitswesen die vermehrte Einbindung von Kompetenzen des Fachpflegepersonals im niedergelassenen Bereich hinsichtlich Erbringung von tatsächlich bedarfsorientierten Gesundheitsleistungen haben könnte.

Apotheker wollen mitreden

Mehr Einbindung wünscht sich auch der Dachverband der medizinisch-technischen Dienste (MTD) – nicht zuletzt im Hinblick auf die Umsetzung der Neuregelung der Primärversorgung. Es brauche allerdings auch zusätzliche Mittel für die Aus- und Fortbildung, betont MTD-Austria-Präsident Gabriele Jaksch und eine Aktualisierung der Berufsbilder. Im Verband MTD-Austria sind der Berufsverband der Biomedizinischen AnalytikerInnen, der Verband der Diaetologen, der Bundesverband der ErgotherapeutInnen, der Berufsverband der österreichischen Logopädinnen und Logopäden, der Verband der OrthoptistInnen, der Bundesverband der PhysiotherapeutInnen und der Berufsfachverband für Radiologietechnologie zusammengefasst.
Die Forderung nach einer Aufwertung der Primärversorgung mit einer stärkeren Einbindung der Apotheker kommt vom Österreichischen Apothekerverband, der sich eine Forcierung der Apotheken als Erstanlaufstelle bei gesundheitlichen Fragen zur Entlastung der Ordinationen und Ambulanzen wünscht. Das Know-how der akademisch ausgebildeten Pharmazeutinnen und Pharmazeuten werde im aktuellen System viel zu wenig genutzt. „In Zukunft sollen die Apotheken mit diesen Maßnahmen verstärkt als Erstanlauf- und Präventionsstelle genutzt werden“, sagt Verbandspräsident Mag. pharm. Jürgen Rehak. Er wünscht sich, dass die Filter- beziehungsweise Triagefunktion der Apotheken bei Befindlichkeitsstörungen und Bagatellerkrankungen gestärkt wird und auch OTC-Arzneimittel besser sowie vermehrter zum Einsatz kommen.
Parallel brauche es eine Qualitätssicherung im Einsatz und in der Nutzung durch standardisierte Abläufe, fordert Rehak. „Die sichere sowie effiziente Anwendung und Therapieumsetzung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die baldige Genesung erkrankter Menschen. Der falsche Medikamenteneinsatz führt ebenso wie die Polymedikation oft zu unerwünschten Verzögerungen der Genesung, zu neuen Problemen und belastet die Menschen sowie das Gesundheitssystem.“ Der Verbandspräsident wünscht sich zudem eine Sicherung und den Ausbau „der besten Arzneimittelversorgung Europas – insbesondere durch standardisierte Nutzung der bestehenden digitalen Infrastruktur der Apotheken zur Verbesserung der sicheren Arzneimittelverwendung“.

Industrie gegen Panikmache

Ein Wegkommen von reinen Spardebatten und eine Hinwendung zu mehr Transparenz im System wünscht sich die Pharmaindustrie. „Aussagen der Krankenversicherungen über angeblich steigende Arzneimittelpreise und -ausgaben sind in keiner Weise nachvollziehbar und entbehren jeglicher Realität“, sagt Dr. Jan Oliver Huber, Generalsekretär des Branchenverbandes Pharmig. „Man versucht bewusst, Panik zu schüren und spricht von explodierenden Arzneimittelkosten sowie unrealistischer Preisbildung. Die Arzneimittelausgaben sind aber keineswegs aus dem Ruder gelaufen.“ Ein politisches Commitment und der Mut zu Reformen seien gefragt, denn: Jede Minute länger warten koste Geld. Geld, das im Gesundheitssystem versickere und dort nicht ankommt, wo es gebraucht wird: beim Patienten. Die Modernisierung der Strukturen im System, auch im Bereich der Sozialversicherungsträger, müsse endlich stattfinden, um Effizienzpotenziale heben zu können und ein Maximum in der Gesundheitsversorgung der Patienten zu erreichen. „Das heimische Gesundheitssystem muss ohne Scheuklappen betrachtet werden, hierfür müssen alle Systempartner ihre Strukturen durchleuchten und Defizite heben. Die Effizienzstudie zur Kassenstruktur ist ein wichtiger Anfang, um Löcher im Gesundheitssystem zu stopfen“, ist auch Pharmig-Präsident Mag. Martin Munte überzeugt.