Gesundheitsreform: Was die Ärzte wollen

Im Rahmen der Gesundheitsreform gibt es viele Themen, die neu geregelt werden müssen. So wurde z.B. die Ausbildung der Ärzte in Angriff genommen oder auch die Neustrukturierung der Primärversorgung beschlossen. Ziel dieser Maßnahme ist die bessere Vernetzung von Ärzten, Pflegern und Krankenschwestern, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden, Psychologen, Hebammen, Sozialarbeitern etc. Damit soll für Patienten die wohnortnahe möglichst umfassende Erstversorgung geboten werden.
Umstritten war zunächst die Frage, was es bedeutet, dass ärztliche und nicht-ärztliche Gesundheitsberufe auf Augenhöhe zusammenarbeiten sollen. Nach weiteren Verhandlungen zwischen Gesundheitsministerium, Hauptverband und Ärztekammer wurde im Hinblick auf diese Frage ein geschärftes Konzept zur Primary Health Care entwickelt, in dem ärztliche und nicht-ärztliche Gesundheitsberufe unter medizinischer Leitung eines Arztes zusammenarbeiten. Ob diese Zusammenarbeit innerhalb von „Ambulanten Versorgungszentren“ (AVZ), in Ärzte-Netzwerken oder in Gruppenpraxen erfolgt, bleibt den Ärzten überlassen. Für die AVZ sowie die Gruppenpraxen stehen die rechtlichen Rahmenbedingungen, eine dritte Form der Zusammenarbeit ist legistisch derzeit noch offen.

Fragebogenaktion der Ärzte Krone und Krone Gesund

Im Juli starteten die Ärzte Krone und die „Krone Gesund & Familie“ eine Fragebogenaktion unter den Lesern. Die Ärzte waren aufgefordert, sich über ihre Meinung zur Gesundheitsreform Luft zu machen. Wir wollten wissen, wie gut sie sich über die Gesundheitsreform und das Konzept der Primary-Health-Care-Zentren informiert fühlen. Außerdem fragten wir, wie zufrieden Österreichs Ärzte mit dem beruflichen Alltag und der Honorierung sind. Die zahlreichen Antworten geben einen Überblick über die Wünsche und Befürchtungen der österreichischen Ärzteschaft hinsichtlich der Reform und zeigen Punkte, an denen dringend gearbeitet werden muss, deutlich auf.

Reform ist dringend notwendig!

Ganz eindeutig: Österreichs Ärzte wollen eine Reform des Gesundheitssystems. Drei von vier Befragten erachten sie als notwendig beziehungsweise sehr notwendig (Abb. 1)!
Über die bisherigen Vorgänge informiert fühlen sich die wenigsten der Befragten. Sieben von zehn Ärzten geben an, unzureichend über die geplante Gesundheitsreform informiert zu sein. Ähnlich das Ergebnis für den Informationstand über das Thema Primärversorgung: 40,2% der Teilnehmer fühlen sich schlecht informiert, 25,7% bewerteten ihr bisheriges Wissen als „mittel“. Nur einer von zehn Ärzten sagt, er sei sehr gut darüber informiert (Abb. 2).
Wir wollten auch wissen, was ihrer Meinung nach die wichtigsten Ziele der Reform sind. Jeder vierte Befragte meinte dazu: Einsparungen!
Eine ebenfalls häufig geäußerte Sorge war, dass die Reform darauf abzielt, dass der freie Arztberuf zu Grunde gerichtet werden soll, die Rede ist von „Demontage des derzeitigen Systems“ und „Vernichtung der selbstständigen Medizin“. Andere Befürchtungen sind, dass die staatliche Kontrolle zunimmt – auch über ELGA. Begrüßt wird hingegen, dass die Lehrpraxis in der Ausbildung implementiert wird.

 

Vorschläge en masse

An wie vielen Ecken es Verbesserungsbedarf gibt, zeigen die zahlreichen Anregungen, die auf die Frage nach Vorschlägen, die sie für die Gesundheitsreform haben, gegeben wurden. Ein großes Problem ist für viele Teilnehmer die oftmals schlechte Zusammenarbeit mit den Krankenkassen – die man nach Meinung einiger Befragter zu einer einzigen zusammenschließen sollte – und mit der Politik. „Die Politik beherrscht die Medizin“, „es reden zu viele inkompetente Menschen mit“ oder „das derzeitige System ist eine politische Spielwiese von Menschen, die kein politisches (Ge-)Wissen haben“ stand da unter anderem zu lesen.
Ein Wunsch, der herausstach, war die Schaffung von neuen Kooperationsformen. „Mein Vorschlag wäre, die Restriktionen bei den Kooperationsmöglichkeiten im niedergelassenen Bereich aufzubrechen und mehr Geld in die Primärversorgungsordinationen zu pumpen, damit diese mit anderen kooperieren oder Fachpersonal anstellen können“, war die Anregung eines Arztes. Dies würde auch zur dringend benötigten Entlastung der Spitalsambulanzen führen, denn etwa durch (auch fächerübergreifende) Gruppenpraxen oder „fiktive“ Gruppenpraxen in Form von Netzwerken könnten die Öffnungszeiten ausgedehnt werden. Ärzte möchten unbedingt auch die Möglichkeit haben, andere Ärzte anzustellen. Ebenfalls häufig angeregt wird die Steuerung der Patientenströme, beispielsweise durch, wie schon oft gefordert, Hausärzte, die die Patienten als „Gatekeeper“ durch das Gesundheitssystem hin zu den geeigneten Versorgungsstellen lotsen. Viele der Teilnehmer schlagen zur Entlastung der Krankenhäuser auch die Wiedereinführung der Ambulanzgebühren vor. Ebenso wird angeregt, (sozial gestaffelte) Selbstbehalte einzuführen, um das Kostenbewusstsein der Patienten zu fördern. Auch die Eigenverantwortlichkeit der Patienten und die Prävention sollten unterstützt werden.

Patientengespräch? Leider keine Zeit und kein Geld

Ein großes Problem ist für Ärzte, dass sie nicht genug Zeit für die Gespräche mit ihren Patienten haben. 85% der Befragten haben (viel) zu wenig Zeit dafür. Gleichzeitig leiden 94% unter der hohen administrativen Belastung (Abb. 3). „Wir sind mit unglaublich viel Bürokratie belastet“, sagt einer der Befragten. „Das System ist schwerfällig, jeder – von den Kassen, die die Zahler sind, über die Leistungserbringer, von denen es sehr viele gibt, bis zu den Leistungsempfängern, die immer das Maximum wollen – schaut nur auf sich.“
Dringend zu reformieren bzw. zu aktualisieren wäre auch der Leistungskatalog und damit die leistungsgerechte Honorierung – ein Befragter spricht von einer derzeit „sittenwidrigen“ Bezahlung der Leistung, ein anderer fühlt sich als „Sklave der Versicherungen“. Diese Forderung wird auch untermauert von dem Ergebnis zu unserer Frage, wie zufrieden Ärzte mit der derzeitigen Honorierung sind: Satte 88% sind der Meinung, dass sie viel zu gering bzw. zu gering ist. Noch gravierender ist das Ergebnis bei der Frage, ob die Honorierung für das Patientengespräch ausreicht: 99% sind damit nicht zufrieden und finden, dass die Bezahlung dafür (viel) zu wenig sei (Abb. 4)!

 

 


Schlecht bewertet wird auch der aktuelle Leistungskatalog: nur zwei von 100 Ärzten finden ihn ausreichend, 58% sind der Meinung, dass er dringend überarbeitet werden muss.
Und apropos Finanzen: Eine oft geäußerte Forderung ist auch, dass die Finanzierung aus einem Topf erfolgen soll.

Unser Fazit: Es gibt noch viel zu tun!

 

Gemeinsam im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung

Österreich hat anerkanntermaßen eines der besten Gesundheitssysteme weltweit. Auch ÖsterreicherInnen sehen das so. Es gibt aber Probleme und Verbesserungspotenzial. Die Lebenserwartung ist hoch, 20 Lebensjahre mit maßgeblicher Beeinträchtigung sind aber zu viele. Offensichtlich ist die Betreuung chronisch Kranker verbesserungsdürftig. Die österreichische Staatsorganisation ist für ein kleines Land hypertroph und komplex. Eine wirkungsorientierte Gesamtsteuerung des Gesundheitssystems fehlte bislang. Verantwortlichkeiten und Finanzierung sind kompetenzrechtlich zersplittert. Die Leistungserbringung ist kleinteilig und nicht gut abgestimmt. Sie ist zu spitalslastig.
Ein Meilenstein ist im Jahre 2012 mit der politischen Einigung über eine Gesundheitsreform gelungen. Bund, Länder und Sozialversicherung haben sich auf ein gemeinsames Zielsteuerungssystem mit 10 Rahmen-Gesundheitszielen geeinigt. Statt einer Auflistung von Einzelmaßnahmen wird der Mensch mit seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt der Reform gestellt. Im Vordergrund stehen der Gesundheitszustand, Risikoschutz und PatientInnenzufriedenheit als finale Ziele. Gesamtziel der Reform ist es, das aktuell sehr gute, aber auch sehr teure heimische Gesundheitssystem rechtzeitig so zu modernisieren, dass es für uns, unsere Kinder und Enkelkinder nachhaltig gesichert ist.
Ein besonders wichtiger Teil der Gesundheitsreform ist es, die Primärversorgung zu stärken und klare Linien zu ziehen, welche Versorgungsstufe welche Aufgaben hat. Heute finden wir die Situation vor, dass AllgemeinmedizinerInnen hauptsächlich in kleinen Einzelpraxen tätig sind. Das ist aber mittelfristig eine arbeitsorganisatorisch und gesellschaftspolitisch nicht mehr ausreichende Organisationsform. Wir möchten daher schrittweise die Primärversorgung in Zentren unter einem Dach – am Land in Netzwerken, ohne Standorte aufzugeben – mit transparenten, verbindlichen Leistungssystemen bündeln. Dazu haben wir uns vonseiten der Sozialversicherung auch intensiv mit den Erwartungen und Wünschen von ÄrztInnen und mit denen des ärztlichen Nachwuchses auseinandergesetzt und ein Primärversorgungskonzept ausgearbeitet. So soll Teamarbeit, auch mit anderen Gesundheitsberufen, wie Diplomkrankenschwestern und Diplomkrankenpflegern, im Vordergrund stehen. Diese können die Allgemeinmedizinerin und den Allgemeinmediziner entlasten, damit ihnen mehr Zeit für persönliche Betreuung jener PatientInnen zur Verfügung steht, die das besonders benötigen. Die Verbindung von Teamarbeit mit einem neuen Honorierungsmodell und patientInnenfreundlichere Öffnungszeiten, aber geschichtete Arbeitszeiten werden für ÄrztInnen, nichtärztliche Gesundheitsberufe und PatientInnen gleichermaßen attraktiv sein.
Wenngleich wir uns wünschen, dass sich viele VertragsärztInnen für die neuen Modelle interessieren, ist für AllgemeinmedizinerInnen gesichert, dass sie ihre Praxis in der bisherigen Form fortführen können.
Dr. Josef Probst, Generaldirektor des Hauptverbandes
der Österreichischen Sozialversicherungsträger
Eine sinnvolle Gesundheitsreform muss Ärzte in den Mittelpunkt stellen
Die Ergebnisse der Ärzte Krone-Umfrage sind für mich als Ärztevertreter Bestätigung und Ermutigung. Sie bestätigen mich in meiner Einschätzung von Schwachstellen im unserem Gesundheitssystem und der Stimmung unter den Kolleginnen und Kollegen. Sie bestätigen mich in der Richtigkeit der Positionen, die von der Bundeskurie Niedergelassene Ärzte vertreten werden, und sie ermutigen mich darin, diese Positionen politisch konsequent weiterzuverfolgen. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen für ihr wertvolles Feedback.
Es ist gut nachvollziehbar, dass viele Ärzte eine Reform des Gesundheitssystems fordern. Allerdings werden sie wohl nicht jene Positionen von „Gesundheitsreformern“ befürworten, die den niedergelassenen Bereich in den vergangenen Jahren aushungern wollten. Eine sinnvolle Gesundheitsreform muss natürlich vielmehr, und das hat die Ärztekammer immer wieder betont, Ärzte in den Mittelpunkt stellen. Sie muss ihnen geeignete Rahmenbedingungen bieten, den Rücken von sinnloser Bürokratie freihalten, Degressionen und Deckelungen abschaffen, und selbstverständlich den Honorar- und Leistungskatalog an den medizinischen Fortschritt anpassen. Und sie muss neue, flexible Formen der ärztlichen Zusammenarbeit fördern. Das alles – und mehr – brauchen wir schnell, auch damit der ärztliche Nachwuchs nicht völlig ausbleibt.
Viele der Befragten wünschen sich bessere Information zur „Gesundheitsreform“ und zu „Primary Health Care“, was ich gut nachvollziehen kann. Die Kammer hat sich zwar konsequent bemüht, mittels eigener Publikationen, Medienarbeit und Social Media entsprechende Informationen aus Ärztesicht publik zu machen. Allerdings gab es auch andere Absender von Botschaften, die mitunter durchaus Sand gestreut haben, um den Blick auf ihre wirklichen Absichten zu trüben. Das kann zu einem verwirrenden Bild beitragen.
Ich nütze die Gelegenheit, um die Kolleginnen und Kollegen einzuladen, Vorschläge zu machen, wie ihnen die Ärzteammer noch mehr Information zu wichtigen Themen unserer Profession anbieten kann. Wir werden uns bemühen, diese Ideen in unsere Kommunikationsstrategien zu integrieren.
MR Dr. Johannes Steinhart
Obmann der Bundeskurie Niedergelassene Ärzte