Gravierende Untertherapie in der Sekundärprävention

Im Jahr 2014 ist die Osteoporose in der westlichen Welt die Volkskrankheit Nummer 1. Sie betrifft jede zweite Frau jenseits der Menopause und jeden vierten Mann über 65. Mit der steigenden Lebenserwartung gewinnen chronische Erkrankungen wie die Osteoporose an Bedeutung.

Awareness für Risikopatienten

Mit dem Abfall der Sexualhormone in der Menopause kommt es zu einem Anstieg der Knochenresorption und einer beträchtlichen Abnahme der Knochendichte innerhalb weniger Jahre, wodurch das Frakturrisiko beträchtlich zunimmt.
Eine osteoporotische Fraktur ist dadurch charakterisiert, dass sie aufgrund eines nichtadäquaten Traumas passiert, typisch ist etwa ein Sturz aus dem Stand. Eine Radiusfraktur ist häufig das erste Warnsignal. Zumeist erhält die Patientin einen Gips, und üblicherweise ist der Heilungsverlauf unkompliziert. Nur in Ausnahmefällen bringen Arzt oder Patient das Ereignis mit einer eventuell bestehenden Osteoporose in Zusammenhang, und es kommt leider kaum zu einer weiterführenden Abklärung.
Selbst Patienten, die an einer unfallchirurgischen Abteilung nach Knochenbrüchen operiert und stationär versorgt werden müssen, erhalten nur in knapp 4% der Fälle eine osteoprotektive Therapie. Eigene Analysen an vier unfallchirurgischen Abteilungen haben gezeigt, dass das typische Alter der Betroffenen bei 79 Jahren liegt und 80% der Betroffenen Frauen sind. Überraschend an der Analyse war, dass mehr als die Hälfte der Betroffenen eine hüftgelenksnahe Fraktur hatten und der Anteil der Radiusfrakturen unter 10% lag – ein Ergebnis, das durch die Tatsache erklärbar ist, dass hier ausschließlich jene Patienten erfasst wurden, bei denen die Fraktur eine chirurgische Versorgung notwendig gemacht hat. Bestürzend ist die Tatsache, dass, obwohl zwei Drittel der Patienten zumindest die zweite und ein Drittel der Patienten bereits die dritte Fraktur hatten, nur knapp 4% der Betroffenen anschließend eine osteoprotektive Therapie erhalten haben (Abb.).
Die Osteoporose ist also nicht nur eine sehr häufige Erkrankung, sondern auch eine hoffnungslos untertherapierte. Diese Fakten machen offensichtlich, dass es notwendig ist, alle Ärzte, die mit betroffenen Patienten zu tun haben, dazu zu bringen, eine weiterführende Diagnostik und auch eine spezifische Therapie zu veranlassen.

 

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Vielfalt an betroffenen Disziplinen

Aufgrund der Tatsache, dass die Osteoporose eine Erkrankung mit verschiedenen Gesichtern ist, in nahezu allen Altersstufen auftritt und sehr häufig auch eine Folge anderer chronischer Erkrankungen oder ihrer Begleitmedikationen ist, sind fast alle Disziplinen der Medizin in die Diagnostik und Therapie der Osteoporose mitinvolviert.
Die Gynäkologen helfen bereits während einer Schwangerschaft mit ihrem Blick auf einen ausgeglichenen Vitamin-D- und Kalzium-Haushalt der werdenden Mutter nicht nur bei der Vorbeugung einer Schwangerschaftsosteoporose, sondern sorgen damit auch für eine gesunde Entwicklung des Kindes. Sie sind erste Ansprechpartner für die Knochengesundheit der Frau, auch durch die Beratung der jungen Mädchen bezüglich Verhütung, Pille, Zyklusunregelmäßigkeiten bis hin zu einer Hormonersatztherapie in der Peri- und Postmenopause.
Die Osteoporose des Mannes hat oft eine Erkrankung als ursächlichen Hintergrund. Die Abklärung geht meist mit einer internistischen und urologischen Fachuntersuchung einher – in der Hand der Urologinnen und Urologen liegt auch die Betreuung der Patienten nach Prostatakarzinom und Androgendeprivation bzw. gegebenenfalls die Einleitung einer Hormon-Testosteron-Ersatztherapie bei hypogonaden Männern.
Angeborene Stoffwechselstörungen oder schwere Erkrankungen im Kindesalter bringen auch die Kollegen aus der Pädiatrie ins Spiel. Durch eine bessere Lebenserwartung vieler kongenitaler Erkrankungen (z.B. Mukoviszidose, Morbus Fahr, Osteogenesis imperfecta) ist die kindliche Knochengesundheit und -entwickung von immenser Bedeutung.
Alle internistischen Spezialfächer „produzieren“ geradezu Osteoporose-Patienten: In der Nephrologie ist der Knochenstoffwechsel durch die eingeschränkte Nierenfunktion betroffen, in der Rheumatologie durch Steroid- und Biologikatherapie. In der Angio- und Kardiologie spielen Faktoren wie Immobilität, Vitamin-D- und Kalziumstoffwechsel, Hypertonie und Herzinsuffizienz eine bedeutende Rolle, in der Pulmologie Risikofaktoren wie Azidose und Steroidtherapie. In der Onkologie wird ein Knochenverlust etwa durch Hormonblockaden nach Mamma- und Prostatakarzinom getriggert. Die Gastroenterologen müssen im Kontext von Malabsorption, chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, hepatischer Osteodystrophie ein buntes Spektrum an Knochenstoffwechselstörungen betreuen.
Und wir Endokrinologen therapieren nicht nur die Osteoporose, sondern betreuen auch viele Krankheitsbilder, welche deren Entstehung begünstigen – wie Hyperparathyreoidismus, Hypophysenerkrankungen, Hyperthyreose oder Hyperkortizismus.
Die häufigste sekundäre Osteoporoseform ist die Steroidosteoporose. Kollegen, welche Kortison sehr häufig verwenden, sind Augenärzte, Dermatologen oder auch Transplantationsmediziner – Spezialisten, denen die Osteoporose nicht unbedingt als häufige Komplikation ihrer Therapie bewusst ist.

Hauptfokus: Prävention von Folgefrakturen

Orthopädie und Unfallchirurgie sind jene Disziplinen, die immer mit den Folgen der Osteoporose – nämlich den Knochenbrüchen – konfrontiert sind. Für Patienten mit schlechter Knochenqualität oder reduziertem Trabekelnetzwerk werden zwar spezielle Platten, Schrauben und Prothesen angeboten, die Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung bleibt jedoch auf der Strecke – wie auch unsere Analyse vor einigen Jahren gezeigt hat. Durch gute Kooperationen wäre hier eine optimale interdisziplinäre Patientenversorgung möglich. So macht es Sinn, Patienten mit geplanter Endoprothesen-Operation einer osteologischen Basisuntersuchung zuzuführen. Eine Knochendichtemessung mit anschließender osteoprotektiver Therapie und eine Laboruntersuchung mit eventuell notwendigem Ausgleich eines Vitamin-D-Mangels verbessern sicher die Heilungsraten nach einer solchen Operation.
Unfallchirurgen, die intraoperativ sehen, dass die Knochenstruktur so schlecht ist, dass kaum noch Schrauben oder Nägel halten, sollten die Betroffenen immer zu einer weiterführenden Abklärung und Therapieeinleitung schicken. Dies ist etwas, das in den letzten Jahren zunehmend besser funktioniert – so sollte als logische Konsequenz der Verwendung von speziell für den osteoporotischen Knochen entwickelter Metallteile auch eine anschließende osteologische Abklärung und Therapie anvisiert werden.
Das Ziel einer interdisziplinären Kooperation ist natürlich, alle Patienten, die einen Knochenbruch nach einem inadäquaten Trauma erleiden müssen, unabhängig von Alter und Begleiterkrankungen einer osteologischen Abklärung zuzuführen. Um dies zu ermöglichen, sollten alle Kollegen wissen, wo eine solche Abklärung kompetent und für die Patienten angenehm möglich ist bzw. in welchen Regionen noch Defizite gegeben sind.
Die Hoffnung, dass eine bessere Patientenversorgung möglich sein wird, lebt. Einen wichtigen Beitrag in diese Richtung leisten Veranstaltungen wie das jährliche Osteoporoseforum der ÖGKM in St. Wolfgang, bei dem auch heuer wieder eine Vielzahl an unterschiedlichen Disziplinen vertreten ist. Nur diese Vielfalt, dieser ganzheitliche Zugang kann eine bessere, ja vielleicht optimale Patientenversorgung zukünftig ermöglichen.