Highlights vom europäischen Kardiologenkongress

Infarktbehandlung: zentrale Bedeutung regionaler Netzwerke

Die neuen Leitlinien zur effektiven Behandlung von Herzinfarkten vom STEMI-Typ (ST-Hebungsinfarkt) sehen vor, dass Zentren mit Katheterlabor (Percutane Coronare Intervention, PCI) in der Lage sind, an sieben Tagen pro Woche rund um die Uhr innerhalb von 90(–120) Minuten eine interventionelle Therapie anzubieten. Alternativ kann die Infarktbehandlung auch mittels eines zwischen PCI-Zentren vereinbarten Rotationsprinzips – eine wichtige Vorreiterrolle spielt hier das Infarktnetzwerk in Wien – angeboten werden. Rettungsteams sollen deshalb in der Lage sein, Patienten mit STEMI rasch zu identifizieren und eine initiale Therapie, wenn nötig auch unter Durchführung einer Fibrinolyse, einzuleiten.
„Verzögerungen vorzubeugen ist von zentraler Bedeutung“, heißt es in den Leitlinien: Die Frühphase eines Herzinfarktes ist meistens die gefährlichste, und der Nutzen der Reperfusionstherapie ist höher, wenn diese frühzeitig angewendet wird. Die frühzeitige Diagnose und Behandlung von STEMI ist deshalb eine Kernforderung der neuen Empfehlungen.
Leitlinien-Mitautor Univ.-Prof. Dr. Kurt Huber, Wien: „Zuverlässige STEMI-Behandlung konsequent allen Patienten in Europa zugänglich zu machen ist unsere wichtigste Botschaft, und dass sehr wirksame Therapien für das akute Herzinfarkt-Management, insbesondere die Reperfusionstherapie mittels PCI oder Fibrinolyse, vorhanden sein und auch angewendet werden müssen. Ferner sollen auch Optionen für das Management von Komplikationen und die Sekundärprävention verfügbar sein. Die neuen Leitlinien der ESC beinhalten gegenüber jenen aus dem Jahr 2008 eine Reihe innovativer Gesichtspunkte. Der wichtigste ist wohl die Betonung der Organisation koordinierter regionaler STEMI-Netzwerke landesweit, die aus einem zuverlässigen Ambulanz-Service und Krankenhäusern mit unterschiedlicher technologischer Ausstattung bestehen. Diese Netzwerke sollen zuverlässig eine Reperfusionstherapie ermöglichen: mit präzisen zeitlichen Vorgaben und der Verpflichtung, allfällige Verzögerungen in der Behandlung zu erfassen und zu dokumentieren (Registerführung). In Österreich gehen wir diesen Weg bereits seit etwa zehn Jahren.“
Das Personal muss ausreichend geschult sein, um Infarkt-Patienten zu diagnostizieren und in ein geeignetes interventionelles Zentrum zu bringen, wobei Krankenhäuser ohne PCI-Option umgangen werden sollen. Ziel ist es, bei Patienten mit STEMI das verschlossene Gefäß möglichst frühzeitig wieder zu öffnen, entweder mechanisch mittels Katheter oder medikamentös mittels Fibrinolyse. Wichtig ist auch, dass die neuen Leitlinien fordern, Patienten nach erfolgter Fibrinolysetherapie unmittelbar an ein PCI-fähiges Zentrum zu transferieren (I A-Empfehlung).

Zeitliche Ziele

Die von der ESC-Arbeitsgruppe definierten zeitlichen Ziele sind:

vom ersten medizinischen Kontakt eines Patienten bis zur EKG-Diagnose maximal zehn Minuten,

vom ersten medizinischen Kontakt bis zur Initiierung der Fibrinolyse maximal 30 Minuten,

vom ersten medizinischen Kontakt bis zur PCI maximal 60 Minuten (frischer Infarkt innerhalb von zwei Stunden ab Schmerzbeginn),

vom ersten medizinischen Kontakt bis zur PCI maximal 90 Minuten (alle anderen Infarkte von zwei bis zwölf Stunden),

Als grobe Einschätzung der Entscheidung, ob eine primäre PCI durchgeführt werden kann oder ob mit einer Fibrinolyse begonnen werden sollte, gelten 120 Minuten ab erstem medizinischen Kontakt (= EKG mit Diagnose) bis zur PCI (Infarkte mit drei bis zwölf Stunden Dauer).

Nach erfolgreicher Fibrinolyse sollen Patienten innerhalb von drei bis 24 Stunden angiografiert und, wenn nötig, interveniert werden.

 

Eine Reperfusionstherapie wird für alle STEMI-Patienten innerhalb von zwölf Stunden nach dem Auftreten der ersten Symptome empfohlen. Infarkte mit einer Dauer von zwölf bis 24 Stunden sollten bei anhaltenden Beschwerden und/oder weiterhin bestehenden Ischämie-Zeichen mit EKG-Veränderungen einer Reperfusionstherapie mit PCI unterzogen werden. Der routinemäßige Einsatz von PCI bei stabilen Patienten mit älteren Infarkten ohne Anzeichen einer Ischämie wird nicht empfohlen.
Wichtig ist auch die periinterventionelle Begleittherapie: An Antiplättchensubstanzen sollten zusätzlich zu Aspirin Prasugrel oder Ticagrelor zum Einsatz kommen (I-B-Empfehlung), an Antikoagulantien Bivalirudin (I B) oder unfraktioniertes Heparin (I C). Auch niedermolekulares Heparin (Enoxaparin) ist möglich (IIbB). Im Falle einer Fibrinolysetherapie sollten zusätzlich zum Fibrinolytikum (bevorzugt TNK-tPA oder andere Fibrin-spezifische Substanzen) Aspirin, Clopidrogel und niedermolekulares Heparin zur Anwendung kommen.

Neue europäische Leitlinien bei Vorhofflimmern

Nur zwei Jahre nach dem letzten Update 2010 wurden die Leitlinien zum Vorhofflimmern einem „fokussierten Update“ unterzogen – aufgrund rezenter Studiendaten sind vor allem die Empfehlungen zur Antikoagulation und zur antiarrhythmischen Therapie modifiziert worden.
Die neuen Leitlinien räumen den neuen oralen Antikoagulantien (Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban) wegen ihrer höheren Wirksamkeit und Sicherheit sowie bequemeren Anwendbarkeit erstmals einen gewissen Vorrang ein, auf eine explizite „First-Line“-Klassifizierung wird aber verzichtet. Bei indizierter Antikoagulation sollte „für die meisten Patienten“ statt eines Vitamin-K-Antagonisten eines der neuen oralen Antikoagulantien in Betracht gezogen werden, wobei keines der drei neuen oralen Antikoagulantien aufgrund mangelnder Evidenz bevorzugt empfohlen wird.
Neue Empfehlungen gibt es auch zur antiarrhythmischen Therapie: Für Patienten, bei denen eine medikamentöse Kardioversion geplant ist und bei denen keine oder nur eine mäßig ausgeprägte strukturelle Herzerkrankung besteht, wird nun neben anderen Substanzen als effektive Option auch die intravenöse Behandlung mit Vernakalant empfohlen. Dies gilt auch für Patienten mit postoperativem Vorhofflimmern nach Herzoperationen.
Auch Dronedaron wurde neu bewertet, die Substanz wird weiterhin für die antiarrhythmische Rezidivprophylaxe bei Patienten mit paroxysmalem oder persistierendem Vorhofflimmern empfohlen. Patienten mit permanentem Vorhofflimmern sollten keine Behandlung mit Dronedaron erhalten.

Neue Therapieoption bei Hypertoniemit diastolischer Herzinsuffizienz

Der Aldosteron-Antagonist Spironolacton ist eine Behandlungsoption für Bluthochdruck-Patienten mit diastolischer Herzinsuffizienz (HI), so der Leiter der Aldo-DHF-Studie, Univ.-Prof. Dr. Burkert Pieske, Graz. Spironolacton verbessert die Herzfunktion und -struktur und reduziert den Blutdruck bei dieser Patientengruppe, bei der eine gestörte Füllung des Herzens bei unbeeinträchtigter Auswurffraktion vorliegt. Trotz der großen Zahl betroffener Patienten hatte bisher bei diastolischer HI noch keine Therapie einen Nutzen gezeigt.
In der Studie wurden 422 Patienten mit diastolischer HI mit Spironolacton (25 mg pro Tag) oder mit Placebo behandelt. Primäre Endpunkte waren Veränderungen in der diastolischen Funktion und Veränderungen bei der maximalen Leistungsfähigkeit (maximaler Sauerstoffkonsum), gemessen durch Fahrrad-Spiroergometrie nach zwölf Monaten. Sekundärer Endpunkt war unter anderem die Lebensqualität. Auch die Sicherheit einschließlich klassischer Nebenwirkungen wie Kalium-Anstieg im Blut oder Verschlechterung der Nierenfunktion wurden untersucht.
Es zeigte sich, dass Spironolacton die diastolische Funktion signifikant verbesserte, jedoch nicht die maximale Leistungsfähigkeit. Es verbesserte die Anpassung des Herzens, verringerte linksventrikuläre Hypertrophie, reduzierte Diabetes, NT-proBNP sowie systolischen und diastolischen Blutdruck.

Stentimplantation: Zu viel Plättchenhemmung kann gefährlich sein

Auf dem Kongress präsentierte Daten zeigen, dass in der Thrombos
eprophylaxe „mehr“ nicht unbedingt „besser“ sein muss. Hochrisikopatienten, die mit Vitamin-K-Antagonisten (z.B. Marcoumar), Plättchenhemmern (z.B. Clopidogrel) und Acetylsalizylsäure (z.B. Aspirin) behandelt wurden, hatten in der niederländischen WOEST-Studie (What is the Optimal antiplatElet and anticoagulant therapy in patients oral anticoagulation and coronary StenTing) ein höheres Blutungsrisiko, aber keinen Vorteil im Vergleich zu Patienten, die nur einen Vitamin-K-Antagonisten und Clopidogrel erhielten.
„Unsere Daten zeigen, dass die Kombination von Vitamin-K-Antagonisten und Clopidogrel ohne Zugabe von Aspirin zu weniger Blutungen führt und in Bezug auf thrombotische und thromboembolische Komplikationen, wie zum Beispiel Stent-Thrombosen, ebenso sicher ist wie die Dreier-Kombination mit Acetylsalizylsäure“, so Univ.-Prof. Dr. Willem Dewilde, Niederlande. Insgesamt betrug die Inzidenz von Blutungskomplikationen unter der Zweier-Kombination 19,5% innerhalb eines Jahres, unter der Triple-Therapie aber 44,9%. In beiden Gruppen traten Thrombosen etwa gleich häufig auf. Sehr wohl signifikant war jedoch der Unterschied in der Sterblichkeit, die unter der Zweier-Kombination bei 2,6% und unter der Dreier-Kombination bei 6,4% lag. Diese Daten haben praktisch hohe Relevanz, erklärte Univ.-Prof. Dr. Eckart Fleck, Deutsches Herzzentrum Berlin: „Eine große Zahl von Menschen sollte wegen Herzrhythmusstörungen oder eines mechanischen Klappenersatzes lebenslang orale Antikoagulantien einnehmen. Ebenso werden viele Patienten mit Stents in den Herzkranzgefäßen behandelt, die im Zuge dieser Therapie eine medikamentöse Behandlung mit einem Plättchenhemmer und Acetylsalizylsäure benötigen. Und nicht selten kommt beides zusammen: Ein beispielsweise wegen Vorhofflimmerns antikoagulierter Patient muss sich einer Stent-Implantation unterziehen“, so der Experte. „In solchen Fällen ist bislang nach den Leitlinien eine Tripletherapie empfohlen. Die WOEST-Studie zeigt, dass dieses Vorgehen zu mehr Blutungen führt und die Beschränkung auf nur zwei Substanzen, also Vitamin-K-Antagonisten und Clopidogrel, erhebliche Vorteile bietet. Es gibt daher gute Gründe, bereits vor der zu erwartenden Änderung der Behandlungsleitlinien das therapeutische Vorgehen anzupassen. Zu beachten ist allerdings, dass diese Daten nur für die Vitamin-K-Antagonisten gelten und keine Aussagen über die neuen, oralen Antikoagulantien zulassen.“