Highlights vom Kongress der Europäischen Diabetologen

In seinem Festvortrag zur 50. Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD) verwies Univ.-Prof. Dr. Guntram Schernthaner, Wien, auf die großen Errungenschaften der vergangenen 50 Jahre und verdeutlichte diese durch einen Rückblick auf das Jahr 1964: „Im Unterschied zum Jahr 2014 waren 1964, im Gründungsjahr der EASD, weder Diabetesschulungen noch Insulinpumpen oder -pens verfügbar, HbA1c als diagnostischer Parameter und die diabetische Nephropathie als diabetische Spätkomplikation waren noch nicht bekannt und als therapeutische Optionen standen lediglich tierische Insuline und Sulfonylharnstoffe/Biguanide zur Verfügung. Eine einzige Endpunktstudie analysierte den Effekt der Blutzuckersenkung, hingegen waren zur Behandlung der Risikofaktoren weder ACE-Hemmer oder Statine noch entsprechende Endpunktstudien verfügbar. Die Folge waren mehrheitlich schlecht eingestellte Diabetespatienten mit hohen Komplikationsraten und einer hohen kardiovaskulären Mortalität.“ Bereits eine im Jahr 1983 veröffentlichte Studie zeigte den positiven Effekt von Diabetes-Schulungsprogrammen auf die HbA1c-Senkung. Maßgeblich beeinflusst wurden die Verbesserungen in der Diabetologie vor allem durch die drei großen Studien DCCT, UKPDS und STENO-2, welche die Effekte einer multifaktoriellen Behandlung, die neben konsequenter glykämischer Kontrolle auch eine blutdruck- und lipidsenkende Behandlung beinhaltet, eindrucksvoll belegten. Dank der verbesserten Behandlung konnte im Laufe der vergangenen 50 Jahre bei Diabetikern eine drastische Verminderung der Gesamtmortalität, der kardiovaskulären Mortalität, der Fußamputationen und der Erblindung aufgrund von diabetischer Retinopathie sowie der Todesfälle aufgrund hyperglykämischer Krisen verzeichnet werden, wie große Studien wie z.B. die Framingham-Studie belegen; die Mortalitäts- und Komplikationsraten verringerten sich bei Diabetikern wesentlich stärker als in der nichtdiabetischen Population. Als Besonderheit nennt Schernthaner die diabetische Nephropathie im Endstadium (ESRD), deren Prävalenz aufgrund der geringeren kardiovaskulären Mortalität zunächst anstieg; allerdings verringerte sich die Inzidenz aufgrund der verbesserten Therapie ebenso wie die Mortalität bei Typ-2-Diabetikern mit Nierenversagen. Als mögliche Erklärungen für die verbesserte Prognose von Diabetespatienten und die eindrucksvolle Abnahme der vaskulären Komplikationen nennt Schernthaner zusammenfassend u.a. bessere Schulungsprogramme und damit verbunden ein besseres Diabetes-Management, die aggressivere Behandlung von Hypertonie, Hyperlipidämie und Hyperglykämie, die intensivere Betreuung der Patienten und die Verfügbarkeit von deutlich mehr therapeutischen Möglichkeiten, Fortschritte bei intensivmedizinischen Interventionen wie z.B. Revaskularisierung und Wundmanagement sowie frühzeitiges Screening auf vaskuläre Komplikationen. Nicht zuletzt seien gesellschaftliche Aspekte wie geringere Raucherraten und eine Umstellung der Ernährung im Sinne einer geringeren Konsumation von Cholesterin/Transfetten zu beobachten. Während der Großteil der Verbesserungen aus entwickelten Ländern zu berichten ist, fordert Schernthaner weltweite Initiativen, um die eindrucksvollen Verbesserungen auch den Diabetikern in weniger entwickelten Ländern zugänglich zu machen, wo sich Typ-2-Diabetes ebenfalls zur Epidemie entwickelt. Es sei auch Aufgabe der entwickelten Länder, weltweit nationale Diabetesbetreuungsprogramme zu unterstützen.

Vorteile durch Insulinpumpen-Therapie

Patienten, die mit Insulinpumpen versorgt werden, weisen eine deutlich bessere Diabeteseinstellung und höhere Zufriedenheit auf als jene mit mehrfach täglichen Injektionen. Das ist die Kernaussage der im Rahmen des Kongresses vorgestellten neuen Daten der OpT2mise-Studie. Bei der randomisierten, kontrollierten Studie mit 331 Teilnehmern handelt es sich um die größte globale Studie, die bei Typ-2-Diabetikern mit schlechter Blutzuckerkontrolle eine Insulinpumpentherapie mit mehrfach täglichen Injektionen vergleicht. Bereits im Juli wurden erste Ergebnisse in The Lancet veröffentlicht, wonach Patienten mit Insulinpumpen eine durchschnittliche HbA1c-Senkung von 1,1% erzielten im Vergleich zu 0,4% bei Patienten mit täglich mehrfachen Insulininjektionen. Im Rahmen des EASD wurden Posters zu weiteren Ergebnissen der Studie präsentiert. Conget et al. stellten fest, dass sich über die HbA1c-Senkung hinaus auch das glykämische Profil der Patienten beim Gebrauch von Insulinpumpen signifikant verbesserte: So waren nach sechs Monaten bedeutend weniger Hyperglykämien und mehr Zeit im erreichten Blutzuckerziel verzeichnet worden, ohne das Risiko für Hypoglykämien zu erhöhen. Die Zufriedenheit mit der Behandlung war laut einer Auswertung von Aronson et al. in der Insulinpumpen-Gruppe deutlich höher, darüber hinaus verringerte sich die tägliche Insulindosis signifikant. Eine Analyse von Cohen und Mitarbeitern widmete sich der Frage, welche Faktoren zum Erfolg der Pumpentherapie beitragen. Dabei wurde der größte Vorteil für die Pumpentherapie bei Patienten mit einem HbA1c-Ausgangswert > 9% festgestellt; darüber hinaus war die Verbesserung im Pumpenarm mit der Behandlungszufriedenheit und einer höheren Anzahl an Bolus-Verabreichungen (bei gleicher täglicher Insulingesamtdosis!) assoziiert. Höheres Alter, längere Diabetesdauer, ein niedriger kognitiver Score und ein seltenerer Einsatz der Glukose-Selbstmessung verminderten den positiven Effekt nicht.

Unzureichende Kontrolle medizinischer Geräte in der EU

Laut Dr. Viktor Jörgens, Executive Director der EASD, wurde beim diesjährigen EASD-Kongress erstmals ein gesundheitspolitisches Thema diskutiert. Anlass dafür gibt die unzureichende Kontrolle von medizinischen Geräten wie Blutzuckermessgeräten, Sensoren und Insulinpumpen in der EU, wie Prof. Dr. Andrew Boulton, Präsident der EASD, kritisiert. Eine erfolgreiche Insulinbehandlung bedürfe der Selbstmessung der Blutglukose durch die Betroffenen, die sich auf die Verlässlichkeit dieser Geräte verlassen müssen. Die Situation soll allerdings keinesfalls Anlass sein, auf den Einsatz von Insulinpumpen zu verzichten, da deren Vorteil belegt ist (s.o.), wie Jörgens betont.

Risikoforschung aus Österreich

Im Widerspruch zur bisherigen Ansicht kamen Drexel et al. in Feldkirch zum Ergebnis, dass Typ-2-Diabetes per se bei Frauen kein Risikoäquivalent mit kardiovaskulärer Herzkrankheit (KHK)darstellt. Über einen Zeitraum von zehn Jahren wurde das kardiovaskuläre Risiko von vier Gruppen von Frauen evaluiert, deren kardiovaskuläre Ereignisraten z.T. deutlich verschieden waren. Im Vergleich zur Ereignisrate bei Frauen ohne Diabetes und KHK (12,5%) war jene bei Frauen mit Diabetes und KHK erwartungsgemäß signifikant erhöht (43,8%). Allerdings hatten Typ-2-Diabetikerinnen ohne KHK eine signifikant niedrigere Ereignisrate als Nichtdiabetikerinnen mit KHK (15,2% vs. 32,9%). Das Ergebnis aus epidemiologischen Studien, wonach Diabetes als KHK-Risikoäquivalent zu werten sei, führen die Autoren auf den Berechnungsmodus in diesen Studien zurück.

Österreich nur an 13. Stelle des 2. Euro Diabetes Index

Die schwedische Forschungseinrichtung Health Consumer Power-house (HCP) präsentierte im Rahmen des EASD 2014 die Daten des 2. Euro Diabetes Index. Der Index deckt mit Hilfe von 28 Indikatoren die folgenden Bereiche ab: Prävention, Fallerkennung, Vielfalt und Umfang der Leistungen, Zugang zu Behandlung/Versorgung, Behandlungsmethoden und Ergebnisse. Spitzenreiter in der Versorgung von Diabetespatienten und in der Datenerfassung zu Diabetes sind Schweden (936 von 1.000 möglichen Punkten), die Niederlande (922) und Dänemark (863). Österreich liegt mit 706 Punkten abgeschlagen an 13. Stelle von 30 europäischen Ländern. Das Fazit der Verfasser der Euro Diabetes Index zu Situation in Österreich:

  • Das österreichische Gesundheitssystem bietet einfachen Zugang zu verschiedenen Spezialisten, Pflegekräften, Medizinprodukten und eine funktionierende Patientenaufklärung.
  • Dass Österreich, wie 23 andere europäische Länder, kein nationales Diabetesregister führt, schadet der Transparenz und macht die Evaluierung der verschiedenen Behandlungsmaßnahmen unmöglich. Erfahrungen zeigen, dass ein fehlendes Register die Qualität und Effizienz der Behandlung beeinträchtigt.
  • Österreich muss die Nachsorge verbessern, um die Zahl der Sekundärkomplikationen wie Nierenkomplikationen und Fußamputationen zu verringern. Die Raten liegen über dem europäischen Durchschnitt.

In Schweden, den Niederlanden und Dänemark fallen wenige Patienten durch das Versorgungsnetz und die Behandlungsmethoden und Therapieergebnisse sind aufgrund zuverlässiger Daten gut dokumentiert. Hieran sollte sich Österreich orientieren, so die Ersteller des Diabetes-Index. Der Euro Diabetes Index liefert die insgesamt ernüchternde Erkenntnis, dass Diabetes-Prävention selbst in den Spitzenländern nicht wirklich erfolgreich ist. Weitere Informationen zum Euro Diabetes Index 2014 finden sich unter www.healthpowerhouse.com.

Diabetes und Krebsrisiko

Die meisten Beobachtungsstudien zum Zusammenhang zwischen Diabetes und Krebsrisiko vernachlässigen die Diabetesdauer zum Zeitpunkt der Krebsdiagnose als möglichen Einflussfaktor, der jetzt jedoch durch zwei Studien gestärkt wurde. Eine populationsbasierte prospektive Kohortenstudie (Rotterdam-Studie) untersuchte diese Fragestellung anhand von 10.746 Patienten mit einem Nachbeobachtungszeitraum von 20 Jahren. Die Analyse bestätigte, dass Diabetes mit einem erhöhten Gesamtrisiko für Krebs assoziiert ist (Hazard Ratio [HR] 1,22). Wurde nach dem Risiko für verschiedene Krebsentitäten differenziert, so war die Assoziation mit Pankreaskrebs (HR 2,93) und Brustkrebs (HR 1,50) am stärksten, hingegen war das Risiko für Prostatakrebs vermindert (HR 0,59). Da eine Diabetesdauer von weniger als drei Monaten bis zur Diagnose von Krebs stark mit dem Risiko für alle Krebsentitäten (HR 3,30) und Pankreaskarzinome (HR 28,74) assoziiert war, vermuten De Bruijn et al., dass diese Assoziation zumindest teilweise mit einem Detektionsbias zu erklären ist. Nach Bereinigung um eine Latenzzeit von fünf Jahren blieb zwar das verminderte Risiko für Prostatakrebs signifikant, allerdings ergab sich ein erhöhtes Risiko für Rektalkrebs (HR 2,26). Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass das Ausmaß der Assoziation zwischen Diabetes und einem erhöhten Krebsrisiko durch methodische Unschärfen von Studien überhöht dargestellt sein könnte, allerdings sei weiterhin ein unabhängiger Zusammenhang festzustellen, der in weiteren Studien zu präzisieren sei. Eine ähnliche Fragestellung hatte die Untersuchung von Renehan et al., die sich allerdings auf die adipositasassoziierte Krebshäufigkeit bezog. Dafür wurden neu aufgetretener postmenopausaler Brustkrebs, Kolorektal-, Endometrium-, Nieren-, Gallenblasen-, Pankreas-, Leber- und Ovarialkarzinome als adipositasassoziiert prospektiv bei Typ-2-Diabetikern und Nichtdiabetikern erfasst. Die Diabetespatienten wiesen einen signifikant höheren BMI auf als die nichtdiabetische Kontrollgruppe. Innerhalb von sechs Monaten nach der Diabetesdiagnose zeigte sich für die diabetische Gruppe ein erhöhtes Risiko für asipositasassoziierte (HR 1,54), nicht jedoch für nichtadipositasassoziierte Karzinome. Im Zeitraum zwischen sechs Monaten und zehn Jahren nach der Diabetesdiagnose war für keine der Krebsarten eine nennenswerte Assoziation festzustellen. Paradoxerweise war nach einer Diabetesdauer von mehr als zehn Jahren das Risiko für nichtadipositasassoziierte Karzinome erhöht (HR 1,49). Auch die Autoren dieser Studie ziehen einen Bias durch die unterschiedliche Dauer bis zur Krebsdiagnose in Betracht.