„Ich kenne nur die Spitze des Eisbergs“

„Meine Auswertung weist 279 Fälle auf, die auf meinem Tisch gelandet sind. 176 konnten bereits erledigt werden – 88 positiv, 88 negativ. Offen sind derzeit 103. Persönliche Kontakte hatte ich mit bisher zwölf Patienten“, erzählte Franz Bittner, der Anfang September dieses Jahres sein Amt angetreten hat.
Der Wiener Patientenombudsmann soll Beschwerden von Patienten niederschwellig entgegennehmen, jeweils beide Seiten anhören, um sich ein Bild zu machen, Lösungsvorschläge unterbreiten und – so notwendig – den Beschwerdeführern auch behilflich sein, den zur Durchsetzung von Ansprüchen gangbarsten Weg vorzuschlagen.
Schließlich, so Bittner: „Ich will über die Erfahrungen, die ich mache, schließlich auch Fehler im System aufzeigen und die Beteiligten dazu bringen, solche Fehler zu beheben.“

Zwei Seiten einer Medaille

Jedenfalls kein leichtes Unterfangen, wenn man die oft ganz unterschiedlichen Sichtweisen von beteiligten Ärzten und Patienten bei einem einzigen Sachverhalt sieht. „Es ist erstaunlich, wie ganz anders eine Sache aussieht, wenn man nur die Seite des Patienten kennt. Dann bekommt man die Sichtweise des handelnden Arztes geschildert“, erzählt Bittner. Die meisten Probleme seien offensichtlich auf mangelnde oder nicht ausreichend zustande kommende Kommunikation zwischen Arzt und Patient zurückzuführen.
Wobei Bittner auf allen Seiten zum überwiegenden Teil Ernst und Bemühen wahrnimmt: „Wenn man Ärzte auf eine Beschwerde eines Patienten anspricht und man sie um eine Stellungnahme bittet, gibt es viele, die einfach sagen: ‚Es tut mir leid, da ist etwas schiefgelaufen.‘ Da kann man einen Kontakt herstellen, nach Lösungen suchen.“ Schwieriger sei es schon, wenn ein Arzt einfach zurückschreibe: „Habe lege artis behandelt.“ Man wünsche dem Patienten „viel Glück“.
Dann gibt es aber auch noch folgende, offenbar gar nicht so selten vorkommende Kombination: „Manchmal bekommt man aus der Beantwortung einer Beschwerde den Eindruck, Patient und Arzt haben einander nie wirklich kennengelernt.“ Nur ein kleiner Teil der Beschwerde entfalle auf Personen, die sich vom Gesundheitswesen insgesamt – aus unterschiedlichsten Gründen – „verfolgt“ fühlten.

Schadenersatzsystem – Gut, aber kompliziert

An sich, so Bittner, sei das österreichische System zur Abdeckung von Schäden, die im Gesundheitswesen entstehen, gut, wenn auch auf unterschiedliche Schauplätze verteilt: „Alle Ärzte müssen ja eine hohe Haftpflichtversicherung haben. Aber dafür muss ein Schaden gemeldet werden, der Arzt muss sich dazu bekennen.“ Das stelle eine gewisse Hemmschwelle dar.
Probleme entstünden zum Beispiel auch, wenn eine Privatversicherung aus ihrer Sicht keinen Kausalzusammenhang zwischen einer Behandlung und einem aufgetretenen Schaden sehe. Ein Fall für die Schiedsstelle der Wiener Ärztekammer können auch von einem beteiligten Arzt nicht akzeptierte mögliche Behandlungsfehler sein, die dann dort abgehandelt werden. Das hat für den Patienten den Vorteil, dass die Verjährungsfrist für die Dauer dieses Verfahrens unterbrochen wird.
Offenbare Hot Spots bei den bisher eingelangten Beschwerden, so Bittner: „Die Ärzte vom Ärztenotdienst sind oft betroffen, weil sie häufig in einer besonders schwierigen Situation agieren müssen. Dann gibt es Beschwerden über die Chefarztbewilligungen, über Pflegegeldverfahren – und ein Teil der Beschwerden betrifft von Kassenärzten verlangte Zuzahlungen von Patienten.“
Traurig, aber wahr, so der Patientenombudsmann: „Drei Fälle musste ich an die Disziplinarkommission der Wiener Ärztekammer herantragen.“
Was sich Bittner in Zukunft genauer ansehen will: „Es gibt Fälle, in denen bei Patienten für bestimmte Eingriffe typische Komplikationen auftreten, ohne dass ein Verschulden gegeben ist. Der Patient hat natürlich auch die Einverständniserklärung abgegeben. Aber der Schaden für den Einzelnen ist enorm, wenn zum Beispiel bei einer Intubation während einer Operation mehrere Zahnimplantate eingebüßt worden sind. (…) Aber ich kenne sicher nur die Spitze des Eisbergs.“

 

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