Gesundheitskompetenz: Im Ranking ganz weit hinten

Vor Kurzem wurden die Ergebnisse der „European Health Literacy Survey“ präsentiert, die sich mit der Selbsteinschätzung der Menschen bezüglich Gesundheitskompetenz für verschiedenste Aufgaben und Situationen aus drei Themenfeldern beschäftigt: der Krankheitsbewältigung, der Prävention und der Gesundheitsförderung. Durchgeführt wurde sie in acht europäischen Ländern, unter anderem auch in Österreich. Im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern schneidet Österreich punkto Gesundheitskompetenz allerdings unterdurchschnittlich ab. Auch zwischen den einzelnen österreichischen Bundesländern gibt es beträchtliche Unterschiede.
In Österreich wurde die Studie durch den Fonds Gesundes Österreich finanziert und von einem Team unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Jürgen Pelikan vom Ludwig Boltzmann Institut für Gesundheitsförderungsforschung wissenschaftlich betreut. Doch was versteht man unter dem Begriff „Gesundheitskompetenz“ genau? Pelikan: „Gesundheitskompetenz beinhaltet die Fähigkeit, im Alltag relevante Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden. Es geht um Entscheidungen zur Krankheitsbewältigung, -prävention und Gesundheitsförderung. Das Ziel ist die Erhaltung und Verbesserung von guter Lebensqualität während der gesamten Lebensdauer.“

Österreich hat Aufholbedarf bei Gesundheitskompetenz

Bei den untersuchten acht EU-Mitgliedsländern liegt die eingeschränkte Gesundheitskompetenz bei durchschnittlich 48%. Österreich belegt mit 56% den drittletzten Platz, die Niederlande führen mit 29%. Wie zumeist in Gesundheitsfragen, zeigt sich auch hier ein Bundesländergefälle: in Vorarlberg ist die eingeschränkte Gesundheitskompetenz am geringsten (36%), in der Steiermark am höchsten (63%).
Was bringt hohe Gesundheitskompetenz? Pelikan: „In erster Linie weniger Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte. Österreicher mit hoher Gesundheitskompetenz treiben häufiger Sport, haben einen niedrigeren Body-Mass-Index und schätzen ihre eigene Gesundheit tendenziell besser ein. Keinen Zusammenhang hingegen gibt es hinsichtlich Rauchverhalten und Alkoholkonsum.“
Jene Befragten, die ihre eigene Gesundheit mit schlecht oder sehr schlecht beurteilen bzw. ihren sozialen Status als sehr niedrig einschätzen, haben eine stark eingeschränkte Gesundheitskompetenz (86 bzw. 78%). Bei zunehmendem Alter (Jahre 76+) und finanziellen Einschränkungen zeigt sich in Österreich ebenfalls ein starker Zusammenhang (73 und 63%).
Was sind beispielsweise Indikatoren für Gesundheitskompetenz? Die Beurteilung, ob Informationen über Krankheiten in den Medien vertrauenswürdig sind (schwierig für 61%), Verstehen der Angaben auf Lebensmittelverpackungen (schwierig für jeden Zweiten), Verstehen, was der Arzt sagt (schwierig für ein Viertel).
Pelikan: „In Österreich schneiden die Jugendlichen bei fast allen Fragen ähnlich ab wie Erwachsene. Lediglich das Finden von Informationen über Krankheitssymptome empfinden knapp 70% der 15-Jährigen schwieriger als die befragten Erwachsenen (knapp 30%). Entscheidungen zu Vorsorgeuntersuchungen empfindet knapp die Hälfte der Jugendlichen als schwierig. Je höher der Familienwohlstand, desto besser die Gesundheitskompetenz bei Jugendlichen.“

Wo kann man ansetzen?

Ansätze sind laut Pelikan auf zwei Ebenen notwendig: das Gesundheitssystem selbst mussverständlicher werden, und die Bevölkerung muss befähigt werden, mit gesundheitsrelevanten Informationen besser umzugehen. Um die Gesundheitskompetenz zu verbessern, sind folgende Maßnahmen zentral:

die Vermittlung einfacher und verständlichen Informationen (Informationsbroschüren, Beiträge in Medien, Beipackzettel, Lebensmittelinformationen …),
die gesundheitsfördernde Gestaltung von Lebenswelten (Betriebe, Kindergärten, Strukturen in Gemeinden …),
Hürden bei der Nutzung von Gesundheitsdienstleistungen verringern (Verbesserung der Kommunikation bei der Ausbildung von Medizinberufen, Wegweiser für die Nutzung des Gesundheitswesens …),
besondere Maßnahmen für benachteiligte Zielgruppen (genaue Zielgruppenauswahl, Wegweiser für Hilfestellungen in sozialen Notlagen, Broschüren in Sprachen der wichtigen Migranten-Gruppen).

Gesundheit und Krankheit der älteren Generation

Gesundheitsminister Alois Stöger und die beiden Seniorenräte, Karl Blecha und Dr. Andreas Khol, präsentierten kurz darauf den Bericht zur Gesundheit der älteren Generation, der deutliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen sowie zwischen dem Osten und Westen Österreichs aufzeigt.
In den nächsten Jahren und Jahrzehnten wird der Anteil älterer Menschen weiterhin steigen, von derzeit 18% auf ca. 24% im Jahr 2030. Der Frauenanteil überwiegt deutlich: 58% der über 64-Jährigen und sogar 74% der Hochaltrigen (über 84-Jährige) sind weiblich. Die Lebenserwartung ab der Geburt steigt nach wie vor: Im Jahr 2010 lag sie bei ca. 78 (Männer) bzw. 83 Jahren (Frauen). Männer haben damit eine um ca. fünf Jahre niedrigere Lebenserwartung.Die Zahl der Lebensjahre, die in guter Gesundheit verbracht werden, liegt bei Männern und Frauen in etwa gleich. Stöger: „Betrachtet man die Jahre, die in Gesundheit verbracht werden, liegt Österreich unter dem Durchschnitt. Daher ist es das oberste Anliegen der Gesundheitsziele, die ich ausarbeiten habe lassen, die Gesundheitserwartung bis 2020 um zwei Jahre zu steigern.“
Geschlechtsspezifische Unterschiede werden im Zeitverlauf geringer. Werden Männer sehr alt, haben sie vergleichsweise günstige Lebensbedingungen und eine gute Lebensqualität. Gemessen an Lebenserwartung, Mortalität und Hospitalisierungsraten sind Frauen gesünder als Männer, doch es gibt einige Aspekte, die für Frauen im Alter deutlich ungünstiger sind:

Frauen verbringen mehr Lebensjahre mit chronischen Krankheiten und funktionalen Beeinträchtigungen,
Frauen sind häufiger von Beeinträchtigungen des Bewegungsapparats betroffen und damit von Einschränkungen in der Mobilität,
sie sind häufiger pflegebedürftig und
in höherem Ausmaß auf institutionelle Hilfe angewiesen.

In mehreren Aspekten zeigt der Bericht ein deutliches Ost-West-Gefälle: So ist im Osten der Anteil älterer Menschen höher – am höchsten im Waldviertel, in Kärnten und in der Obersteiermark. Bei nahezu allen Mortalitätsraten, Krankheitsdaten und Risikofaktoren zeigt sich in Österreich ein Ost-West-Gefälle, das bei Männern deutlicher ausgeprägt ist als bei Frauen: So sterben pro 100.000 in einigen ostösterreichischen Bezirken bis zu 2.500 Menschen an Herz-Kreislauf-Krankheiten, am niedrigsten ist dieser Wert in Innsbruck mit 1.700 Todesfällen.

Gesundheitsreform, Gesundheits-ziele und Nationale Aktionspläne

Auch im Alter leisten Bewegung und Ernährung einen positiven und substanziellen Beitrag zur Gesundheit. Stöger: „Die Bedürfnisse von Senioren wurden bereits im Nationalen Aktionsplan Ernährung und auch im Nationalen Aktionsplan Bewegung, der vor der Fertigstellung steht, berücksichtigt. Auch in allen zehn Gesundheitszielen, an denen sich die Gesundheitspolitik ressortübergreifend in den nächsten Jahrzehnten orientieren wird, ist die ältere Bevölkerung berücksichtigt.“ Eine klare Vorgabe bei der Spitals- und Gesundheitsreform sei, dass die Standorte erhalten bleiben sollen, sich jedoch den lokalen Bedürfnissen der Bevölkerung anpassen müssen – ganz besonders den Bedürfnissen der älteren Bevölkerung.“
Blecha: „Die Kenntnisse, wie man seine Gesundheit erhalten kann, also „health literacy“, sind in Österreich besonders gering ausgeprägt. Untersuchungen zeigen, dass Junge in diesem Punkt weit unter dem EU-Durchschnitt liegen, Ältere weisen hier sogar noch schlechtere Zahlen auf. Eine gezielte Informationsarbeit zur Förderung der Gesundheitsmündigkeit ist daher dringend nötig und muss schon in der Vorschule beginnen. Wir fordern daher ein verstärktes Gesundheitsbewusstsein sowie effektive und wirksame Gesundheitsvorsorgemaßnahmen auf allen Ebenen.“
Der in den Rahmengesundheitszielen festgelegte Punkt 3‚ ‚Gesundheitskompetenz der Bevölkerung stärken‘, müsse daher nun dringend operationalisiert werden. Als Vorbild gelten dabei Schweden und die Niederlande. Khol: „Diese Länder verfügen über permanente Einrichtungen, die sich systematisch mit Präventions- und Informationsangeboten an alle Bevölkerungsgruppen richten. Dabei stellen Angebote zu gesunder Bewegung und Ernährung besonders wichtige Schwerpunkte dar.“
Blecha und Khol schlagen u.a. auch Orientierungskurse zum Pensionsantritt vor, in denen Informationen und Angebote zu gesunder Ernährung und Bewegung einen besonders hohen Stellenwert einnehmen: „Wer einen Pensionsantrag stellt, soll einen derartigen Kurs kostenlos angeboten bekommen.“ Durchgeführt würden die Kurse von zuvor zertifizierten Trainern in ganz Österreich. Programmentwicklung und Kosten wären von allen Stakeholdern des Gesundheitssystems unter inhaltlicher Einbindung der Sozialpartner – also auch der Senioren und der Jungen – zu erledigen“, betonten Blecha und Khol, die Konzepte zur Umsetzung dieser Orientierungskurse vorlegen wollen.

Unterstützungder Hausärzte benötigt

Blecha betont die Bedeutung der Hausärzte: „Um die Ziele zu erreichen, werden wir ganz besonders auch die Unterstützung der Hausärzte benötigen, deren Rolle im Zuge der Gesundheitsreformen zu einer zentralen Drehscheibe im Gesundheitssystem, zu echten Gesundheitscoaches aufgewertet werden muss. Hinzukommt die Rolle der Medien und des ORF, der in Erfüllung seines öffentlich-rechtlichen Auftrages deutliche Informations-Schwerpunkte zu diesem Thema setzen muss.“
Schließlich müsste auch die Ernährungs-industrie mit ins Boot geholt werden. „Irreführende Angaben auf Verpackungen, Werbungen, die gesunde Ernährung vorgeben, wo keine drin ist, müssen konsequent abgestellt werden. In Zusammenarbeit mit diesen Unternehmen muss die Reduzierung von Zucker und Salz in vielen Produkten ebenso zum Ziel gemacht werden“, meinte Khol.

 

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