Krebstherapie: Lösungen in Reichweite

Univ.-Prof. Dr. Christoph Zielinski, Krebsspezialist an der MedUni Wien und Gründer des Vereins „Leben mit Krebs“: „In Österreich haben Krebspatienten überdurchschnittlich hohe Überlebenschancen.“
Dennoch verunsichern Kosten-Nutzen-Diskussionen über Präventionsmaßnahmen, Früherkennungsscreenings und neue Therapien Patienten und Angehörige. „Krebspatienten brauchen neben optimaler medizinischer Versorgung auch ein breites psychologisches und finanzielles Hilfsangebot. Denn immer mehr Patienten verlieren durch die Erkrankung ihre Existenz“, so Krebshilfe-Präsident Univ.-Prof. Dr. Paul Sevelda.

Derzeit sehr gute medizinische Versorgungsqualität

Univ.-Prof. Dr. Christoph Zielinski, Leiter der Univ.-Klinik für Innere Medizin I und Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie der MedUni Wien, AKH Wien sowie Gründer des Vereins „Leben mit Krebs“: „In puncto medizinische Versorgungsqualität von Krebspatienten liegt Österreich sowohl im europäischen als auch im globalen Spitzenfeld. Dies spiegelt sich in überdurchschnittlich hohen Fünf-Jahres-Krebs-Überlebensraten wider, aber auch in der Wahrnehmung der Bevölkerung, wie eine erst kürzlich erschienene, in Österreich und Polen durchgeführte Untersuchung zeigt
Die hierzulande deutlich höhere Awareness ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass sich die gesundheitsbezogene Bildung auf einem sehr hohen Niveau befindet.“ Die beiden Länder wurden deshalb miteinander verglichen, weil die Höhe der Gesundheitsausgaben diametral entgegengesetzt ist (in Österreich im europäischen Schnitt sehr hoch – in Polen eher niedrig pro Person angesetzt).
Sowohl in Österreich als auch in Polen wird Krebs als größte Herausforderung für das Gesundheitssystem erachtet. Übereinstimmung herrscht auch darüber, dass Gesundheitsfragen einen bedeutenden Einfluss auf politische Wahlen haben können. Sehr unterschiedlich wird jedoch die nationale Krebsversorgung eingeschätzt. Diese Wahrnehmung korrespondiert mit den aktuellen Krebs-Outcomes und den nationalen Pro-Kopf-Ausgaben für gesundheitsbezogene Bereiche des jeweiligen Landes. Anders ausgedrückt: Höhere Ausgaben für die Krebsversorgung führen zu besseren Therapieergebnissen und auch zu einer höheren Wertschätzung in der Bevölkerung.

Neuigkeiten aus der Brustkrebsforschung …

Univ.-Prof. Dr. Günther Steger, Programmdirektor für Mammakarzinom der Klinischen Abteilung für Onkologie, Univ.-Klinik für Innere Medizin I, MedUni Wien, AKH Wien: „Dank intensiver Forschungstätigkeiten konnten in den letzten zwei bis drei Jahren einige innovative Medikamente sowohl zur postoperativen Verhinderung von Metastasen als auch bei bereits fortgeschrittener metastasierter Brustkrebserkrankung zugelassen werden. Bei einem Großteil der Patientinnen mit Mammakarzinom können damit deutlich verbesserte Behandlungsergebnisse bei gleichzeitig gestiegener Verträglichkeit erzielt werden.

HER2-positive Karzinome

HER2-positive Tumore machen etwa 15% aller Brusttumore aus. Sie werden seit vielen Jahren mit wachsendem Erfolg mit einer Chemoimmuntherapie, bestehend aus einem Zytostatikum und dem Antikörper Trastuzumab (Herceptin®), behandelt. Diese Kombination, ergänzt durch einen zweiten Antikörper, Pertuzumab (Perjeta®), führt als Erstlinientherapie sowohl präoperativ als auch bei metastasierter Erkrankung zu einer deutlichen Verbesserung der Prognose, ohne die Verträglichkeit zu beeinträchtigen.
Für diese Gruppe von Patientinnen wurde darüber hinaus eine weitere Therapieinnovation entwickelt: Trastuzumab-Emtansine (T-DM1®) ist ein Antikörper-Zytostatikum-Konjugat, das heißt, jedes Molekül Antikörper ist mit einem Molekül Chemotherapie verbunden. Das Wirkprinzip basiert auf dem Effekt des „Trojanischen Pferdes“: Das Chemotherapeutikum wird vom Antikörper nahezu ausschließlich in Krebszellen eingeschleust, gesunde Zellen werden hingegen weitgehend verschont. Daraus resultiert eine hohe Wirksamkeit bei sehr guter Verträglichkeit. Die Betroffenen profitieren auch jenseits der Erstlinientherapie von einer deutlich erhöhten Ansprechrate (von 30 auf 45%) und Ansprechdauer (im Mittel von acht auf 16 Monate).

Hormonabhängige Tumoren

Etwa 40–60% der Brustkrebspatientinnen haben hormonrezeptorpositive Karzinome. Auch für sie wurden deutliche Therapieverbesserungen realisiert. So wurde für postmenopausale Frauen eine Kombination aus antihormoneller Therapie (Aromatasehemmer) mit der immunologischen Substanz Everolimus (Afinitor®) etabliert. Dadurch kann die Anwendung von Chemotherapie länger vermieden werden. Die neue Kombinationstherapie ist zwar deutlich besser verträglich, kann jedoch bei etwa 20% der Betroffenen zu Schleimhautreizungen führen. Durch die neue orale, ambulant durchführbare Therapie wird das Risiko einer Tumorprogression um etwa 70% reduziert. Die mittlere Ansprechdauer steigt von etwa vier Monaten auf über acht Monate, und dies unter Vermeidung von Chemotherapie. Dieses Behandlungsprinzip wird aktuell auch in der Verhinderung der Metastasierung sowie in der neoadjuvanten, präoperativen Situation (teilweise auch gänzlich ohne Chemotherapie) untersucht.

Erblicher Brustkrebs

Hoffnung besteht auch für Patientinnen mit erblichem – d.h. BRCA1- oder BRCA2-positivem – Brustkrebs, die etwa 3–4% ausmachen. Neuen Erkenntnissen zufolge dürfte die Empfindlichkeit dieser Tumorzellen auf bestimmte Chemotherapien auf anderen Mechanismen beruhen. Erste positive Erfahrungen wurden mit PARP-Inhibitoren gemacht, die ansonsten in der Behandlung von Mammakarzinomen weitgehend unwirksam sind. Sie wurden in Kombination mit Chemotherapie sowohl in der neoadjuvanten Therapie als auch bei Metastasierung getestet und lieferten dabei erste ermutigende Daten.

Triplenegative Karzinome

Lediglich in der Gruppe der triplenegativen Karzinome (etwa 15%) konnten bisher keine konkreten Erfolge verbucht werden. Die Betroffenen – meist eher jüngere Frauen, die oft frühzeitig Hirnmetastasen entwickeln – erhalten derzeit ausschließlich zytostatische Chemotherapie und haben eine sehr schlechte Prognose. Es existieren jedoch erste Hinweise dahingehend, dass manche dieser triplenegativen Karzinome einen Androgenrezeptor aufweisen könnten. Daher werden derzeit Kombinationen von Chemotherapie mit Antiandrogenen geprüft. Darüber hinaus wird nach neuen therapeutisch nutzbaren Vorhersagefaktoren in den Tumorzellen geforscht.

… aus der Lungenkrebsforschung

Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Hilbe, 1. Medizinische Abteilung, Zentrum für Onkologie und Hämatologie im Wilhelminenspital: „In den letzten zehn bis 15 Jahren wurden in der Behandlung von Lungenkrebs große Fortschritte erzielt. Die Grundlage dafür bilden Erkenntnisse, wonach verschiedene genetische Veränderungen in unterschiedlichen Gewebetypen den Krankheitsverlauf entscheidend beeinflussen können. Mit spezifischen, zielgerichteten Therapien konnte bei bestimmten Patientengruppen bereits eine deutlich wirksamere und gleichzeitig verträglichere Behandlung entwickelt werden.“ Dank intensiver Forschungsaktivitäten sind heute bereits spezielle Genveränderungen für einzelne Tumoren bekannt. Durch die Identifikation dieser Treibermutationen (EGFR-, BRAF-, KRAS-,HER2-Mutation, ALK-Translokation, MET-Amplifikation etc.) ist es möglich, gewisse Subtypen zu erkennen und diese „Motoren“ der Tumorentwicklung gezielt zu behandeln. Daraus resultieren sowohl Vorteile bezüglich der Wirksamkeit als auch der Ver-träglichkeit.
Voraussetzung für die Einsetzbarkeit neuer zielgerichteter Behandlungsoptionen ist die Entnahme und molekulare Typisierung einer Gewebeprobe. Derzeit können bei zehn bis 15% der Lungenkrebspatienten – v.a. jene mit gewissen Unterformen von nichtkleinzelligen Adenokarzinomen – entsprechende molekulare Veränderungen detektiert und adäquat behandelt werden. Weltweit wird derzeit nach neuen Mutationen und Signalwegen gefahndet, um letztendlich immer mehr Patienten einer gezielten Therapie zuführen zu können.
Mit den klassischen, relativ unspezifisch eingesetzten Chemotherapien kam man in der Vergangenheit über Ansprechraten von 30–50% kaum hinaus. Hingegen können heute mit den zielgerichteten Tumortherapien bei speziellen Subgruppen von Patienten bereits Ansprechraten von 70% und mehr erzielt werden. Darüber hinaus zeigt sich ein deutlich schnelleres Ansprechen als bei Chemotherapeutika. Weiterer Vorteil der neuen Substanzen: Die Ein-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit konnte von 50 auf bis zu 70% erhöht werden. Die neuen Medikamente sind besser verträglich, viele stehen in Tablettenform zur Verfügung. „Wichtig ist auch die Entwicklung von Biomarkern, mit denen eine Vorhersage über das individuelle Ansprechen des Patienten möglich ist. Dies ist die Voraussetzung dafür, selektiv dem richtigen Patienten die bestmögliche Behandlung anbieten zu können“, so Hilbe.

… in der Hautkrebstherapie

Univ.-Prof. Dr. Hubert Pehamberger, Leiter der Univ.-Klinik für Dermatologie und Leiter der Abteilung für Allgemeine Dermatologie und Dermatoonkologie der MedUni Wien, AKH Wien: „Lange Zeit waren metastasierende Hauttumoren kaum behandelbar. In den letzten Jahren konnten jedoch enorme therapeutische Fortschritte erzielt werden, die in vielen Fällen eine Heilung oder signifikante Verlängerungen der Überlebenszeit bewirken können.“
Insbesondere in der Behandlung des Melanoms wurden in den letzten fünf Jahren mehr Fortschritte erzielt als in den 30 Jahren davor. Der Durchbruch erfolgte im Jahr 2010, als zwei bahnbrechende Forschungsarbeiten zu zwei innovativen Substanzen im renommierten New England Journal of Medicine erschienen. Darin wurde über ein verlängertes Überleben bzw. ein verlängertes progressionsfreies Überleben bei Patienten mit metastasiertem Melanom berichtet. Bei der einen Substanz handelt es sich um den oral verabreichbaren Kinaseinhibitor Vemurafenib, bei der anderen um den Antikörper Ipilimumab, der als Infusion appliziert wird. Für beide Therapien wurde mittlerweile in groß angelegten, randomisierten klinischen Studien belegt, dass sie zu einer signifikanten Lebensverlängerung führen können.
Bereits jetzt sind durch Kombinationstherapien Heilungsraten bis zu 80% erzielbar. Die Zukunft liegt vor allem in weiteren Kombinationsvarianten der verschiedenen Therapieoptionen, die eine noch bessere Wirksamkeit und eine weitere Verlängerung der Überlebenszeit versprechen.
Bei Basalzellkarzinomen bietet der Hedgehog-Inhibitor Vismodegib einen innovativen Therapieansatz, mit dem das Tumorwachstum effektiv gehemmt werden kann.

Krebshilfe fordert „Teilzeit-Karenz“ für Krebspatienten

Univ.-Prof. Dr. Paul Sevelda, Vorstand der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe im Krankenhaus Wien-Hietzing, Präsident der Österreichischen Krebshilfe: „Wir fordern die gesetzliche Verankerung eines „Teilzeit-Krankenstandes/einer Teilzeitkarenz“ für alle Krebspatienten und die Möglichkeit eines stufenweisen Wiedereinstiegs in das Berufsleben. Bezüglich Palliative Care setzen wir uns dafür ein, dass es hier zu einem deutlichen und dringend notwendigen Ausbau von Stationen kommt, aber auch zu einer notwendigen Aufklärung und Schulung von Medizinern und Pflegepersonal.“

Alarmierende Zahlen zuronkologischen Versorgung der Zukunft
Im Umfeld des Krebstages äußerten sich Experten höchst besorgt, was die onkologische Versorgung der Zukunft betrifft: In den kommenden Jahren wird die Krebsrate aufgrund der demografischen Entwicklung voraussichtlich um 37% nach oben schnellen. Die steigende Krebsinzidenz fordert einen erhöhten Bedarf an onkologischer Versorgung. Gleichzeitig stellt das neue Ärztearbeitszeitgesetz ein massives Problem dar, denn die Ärzte werden dadurch um bis zu 20% weniger auf den Stationen sein. Schon jetzt komme es bereits zu Problemen in der Patienten-Versorgung, so Univ.-Prof. Dr. Christoph Zielinski und Univ.-Prof. Dr. Günther Steger: „Während Frauen mit einer Brustkrebs-Diagnose bisher auf einen Termin im AKH etwa drei Tage warten mussten, sind es mittlerweile zehn bis 14 Tage. Das ist für die Betroffenen unzumutbar!“ Österreichs Spitzenplatz bei der Krebsbehandlung sei ohne Aufstockung des Personals und ohne weitere Hilfestellung seitens der Regierung massiv gefährdet. Auch Univ.-Prof. Dr. Paul Sevelda, Präsident der Krebshilfe, ist verärgert: „Das Empörende ist, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen seit vielen Jahren bekannt sind, man hat aber in typisch österreichischer Art versucht, sich darüber hinwegzuschummeln.“
Auch die Forschung sei in Gefahr, betonte Zielinski: „Ich sehe eine außerordentliche Gefährdung für das Land, was Wissenschaft und Forschung betrifft. Wenn hier keine Qualitätssicherung stattfindet, sehe ich Österreich in der Provinzialität versinken.“ Zu Redaktionsschluss war noch keine Einigung zwischen AKH-Ärzten, Rektorat der MedUni und dem zuständigen Wissenschaftsministerium in Sicht.