Migration und Hypertonie

Gerade in Zeiten wie diesen, in denen Österreich eine riesige Flüchtlingswelle erlebt, ist das Thema Migration brisanter denn je. Bilder von erschöpften Männern und Frauen mit Kindern auf dem Arm, die sich wochenlang über Landstraßen, Autobahnen und Eisenbahnschienen Richtung Westen plagen, gehören mittlerweile zum Alltag. Wer einmal freiwillig als Helfer am Westbahnhof oder Hauptbahnhof tätig war, kann die Traumatisierung dieser Menschen förmlich spüren. Etliche gesundheitliche Probleme werden durch die Reise zu Fuß für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Kauf genommen.

Fakten zum Thema Migration

Laut Statistik Austria lebten in Österreich am 1. 1. 2015 insgesamt 1.146.078 Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Das entspricht einem Anteil von rund 13,3% an der Gesamtbevölkerung Österreichs. Etwa die Hälfte (570.298 Personen) stammt aus den Ländern der Europäischen Union, weitere 329.067 Personen stammen aus einem der seit 2004 der EU beigetretenen Länder, wobei die Rumänen die größte Volksgruppe repräsentieren. Die übrigen 566.915 Personen sind so genannte Drittstaatangehörige, wobei die Türken mit 115.433 den größten Anteil bilden, gefolgt von Serben (114.289 Personen).
Verglichen mit dem Jahr 1961, als knapp 100.000 ausländische Staatsangehörige in Österreich lebten, was einem Anteil von rund 1,4% der Gesamtbevölkerung entsprach, ist der Trend zur Zuwanderung eindeutig steigend. Die Bevölkerungsentwicklung in Österreich seit 2014 ist in der Abbildung zu sehen.
Das Innenministerium rechnet in diesem Jahr mit 80.000 Asylanträgen, von denen 30.000 positiv erledigt werden dürften. Eindeutige Prognosen, wie viele der Flüchtlinge schlussendlich in Österreich bleiben werden, gibt es nicht. Fakt ist, dass die Flüchtlingswelle eine große Herausforderung für das Land darstellt, insbesondere für das Sozial- und Gesundheitssystem.

Migration und Gesundheit

Die Gesundheit der Migranten ist durch mehrere Faktoren geprägt. Hier sind vor allem die sozioökonomischen Faktoren zu nennen. Speziell mit der steigenden Zahl an Asylsuchenden ist die Wohnsituation als Erstes zu erwähnen. Flüchtlinge, die mittellos sind, kommen in vorübergehende Lager, wo mehrere Menschen in einem Raum schlafen, später sind die Wohnverhältnisse aufgrund mangelnden Einkommens auch nicht günstiger. Hinzu kommen Probleme wie Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung, mangelnde Anerkennung und fehlende Information infolge sprachlicher Barrieren. Speziell bei Flüchtlingen ist die Traumatisierung durch den Krieg und durch das während der Flucht Erlebte ein wesentlicher Faktor für den späteren Gesundheitszustand. Mit der steigenden Anzahl der Migranten geraten die Gesundheitsdienste aufgrund der mangelnden Kommunikation infolge Sprachbarrieren und des häufig kulturell bedingten unterschiedlichen Krankheitsverständnisses an ihre Grenzen. Oft gelten diese Patienten auch als unkooperativ oder „nicht compliant“.

Migration und Hypertonie

Rund 30–45% der Allgemeinbevölkerung in Europa leiden an arterieller Hypertonie, wobei mit zunehmendem Alter ein stetiger Anstieg beobachtet wird. Die unbehandelte oder unzureichend behandelte arterielle Hypertonie ist mit einer hohen Inzidenz an kardiovaskulären Ereignissen wie Schlaganfall, Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, peripherer arterieller Verschlusskrankheit sowie Niereninsuffizienz assoziiert. Bei bis zu 95% der Patienten mit arterieller Hypertonie kann keine eindeutige körperliche Ursache festgestellt werden, hier spricht man von primärer oder essenzieller Hypertonie. Neben einer genetischen Komponente spielen Faktoren des Lebensstils eine große Rolle. Hier sind Alkoholkonsum, Rauchen, Ernährung, insbesondere hoher Kochsalzkonsum, hormonelle Gründe und psychosoziale Ursachen zu erwähnen. In der Psychosomatik gelten Zorn, Depression, Ärger und Ängstlichkeit zu den psychologischen Faktoren, die eine arterielle Hypertonie begünstigen. Weiters belegen Studien, dass psychosozialer und emotionaler Stress durch die Aktivierung des sympathischen Nervensystems zu einer Hypertonie sowie zu Depressionen führen können. Armut und belastende Lebensumstände werden ebenfalls mit einer arteriellen Hypertonie und Depressionen in Verbindung gebracht. Hiermit lässt sich auch erklären, warum eine steigende Anzahl von Migranten an arterieller Hypertonie zu leiden scheint, allerdings gibt es über die Assoziation zwischen Hypertonie und Migration aus dem deutschsprachigen Raum bisher kaum Literatur.
In den USA wurde eine erhöhte Prävalenz von arterieller Hypertonie bei Migranten aus Westafrika beobachtet, wobei dies mit einem niedrigen sozioökonomischen Status assoziiert war. Interessant ist auch die Beobachtung, dass der Blutdruck von Migranten, die am Land lebten, trotz des niedrigen sozioökonomischen Status niedriger war als von denen, die in der Stadt lebten. Ein begünstigender Risikofaktor zur Entwicklung einer arteriellen Hypertonie dürfte also auch der Umgebungsstress sein (Cooper, Kiefe).
Ebenfalls in den USA wurden knapp 30.000 Patienten hinsichtlich ihres subjektiven Gesundheitszustandes befragt, gleichzeitig wurden bei diesen Patienten Blutdruckmessungen vorgenommen und die Cholesterinwerte untersucht. 23% der Befragten waren Migranten. 28% der befragten Migranten hatten eine nicht diagnostizierte arterielle Hypertonie und 62% eine schlecht eingestellte arterielle Hypertonie, obwohl sie sich nach eigenen Einschätzungen als „gesund“ einstuften (Zallman). Hypertonie war in dieser Befragung mit einem niedrigen sozioökonomischen Status, mit einem unregelmäßigen Einkommen oder einem Einkommen von unter 20.000 Dollar jährlich sowie einem fehlenden Versicherungsstatus assoziiert.
Die arterielle Hypertonie wird auch als „silent killer“ bezeichnet, da sie bis zum Auftreten von Endorganschäden meist asymptomatisch bleibt. Dies erklärt auch die erschwerte Behandlung des hohen Blutdruckes und auch die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Patienten. Hinzu kommen bei Patienten mit Migrationshintergrund die oben erwähnten psychosozialen Faktoren und Traumatisierungen durch Krieg und Flucht, die an sich schon einer Behandlung bedürfen. Andererseits kann infolge einer sprachlichen Barriere und der daraus resultierenden mangelnden Kommunikation keine tragfähige Arzt-Patienten-Beziehung aufgebaut werden, die in der Medizin essenziell für ein adäquates Gespräch und daraus resultierende Behandlung ist. Aufgrund des mangelnden Krankheitsverständnisses wird oftmals die verschriebene antihypertensive Therapie nicht oder nur unregelmäßig eingenommen, die Blutdruckmessungen werden kaum aufgezeichnet, was eine zusätzliche Erschwernis darstellt und den Therapieerfolg beeinträchtigt.
Migranten nutzen die Angebote des Gesundheitssystems anders, oft werden selbst zur Blutdruckeinstellung Spitalsambulanzen aufgesucht, niedergelassene Hausärzte sind den meisten unbekannt, auch die notwendigen Facharztbesuche werden häufig unterlassen.

Wo ansetzen …?

In Österreich gibt es bereits mehrere Gesundheitsprojekte, die sich zum Ziel gemacht haben, das Gesundheitsbewusstsein der Migrantinnen und Migranten zu stärken. Beispiele dieser erfolgreichen Gesundheitsförderungsprojekte sind „Gesundheit kommt nach Hause“, „Aktion Gesunde Seele“ und „Gemeinsam fit in die Zukunft“ des Vereins beratungsgruppe.at,die sich hauptsächlich auf muslimische Frauen mit niedrigem sozioökonomischem Status fokussieren. Muttersprachliche Tutorinnen wurden speziell geschult und leisten Aufklärungsarbeit in Sachen Gesundheitsverständnis, indem sie die Frauen in Kleingruppen unterrichteten und sie auch zu Exkursionen und Workshops zu Gesundheitsfragen und der Nutzung des Gesundheitssystems begleiteten.
Weiters sollte in den Spitälern und vor allem in den Spitalsambulanzen angesichts des wachsenden Zulaufs an Flüchtlingen eine Möglichkeit geschaffen werden, einen Dolmetsch zur Verfügung zu stellen. Hier ist bereits vor 2 Jahren das Projekt „Video-dolmetschen im Gesundheitsbereich“ ins Leben gerufen worden, allerdings sind diese Maßnahmen nur wenigen Ambulanzen oder Krankenhausabteilungen bekannt.
Der vielleicht wichtigste Punkt zur Verbesserung der Gesundheit von Migranten ist die Integration, gleichzeitig stellt dies auch die größte Herausforderung dar. Das Gros an Integrationsgeldern fließt in Deutschkurse und kleine Integrationsprojekte. Hier steht Österreich in den nächsten Jahren angesichts der Flüchtlingsströme vor einer großen, aber nicht unlösbaren Aufgabe.

 

 

 

Literatur bei der Verfasserin