Mystery Shopping bei Ärzten: Schärfer als die Polizei erlaubt

Es war DAS Thema des ohnehin heißen vergangenen Sommers: Das Gesetz, dass den Krankenkassen schärfere Kontrollen von Vertragspartnern erlaubt. Die Kassen sollen damit Sozialbetrug eindämmen. Nun hat der Hauptverband eine Richtlinie zur Umsetzung des Mystery Shoppings vorgelegt, und die verspricht erneut eine hitzige Debatte.
Ziel der Regelungen: Sozialbetrug durch nicht gerechtfertigte Krankenstände oder Missbrauch von E-Cards sollen verhindert werden. Aber auch die Verkürzung von Wartezeiten, Abrechnungsbetrug und das ungerechtfertigte Ausstellen von Zuweisungen, Rezepten, Verordnungen und anderem durch Ordinationshilfen sollen geprüft werden. Kontrolliert werden niedergelassene Ärzte, Spitäler, Apotheken, Hausapotheken und alle anderen Vertragspartner der Kassen. Dazu soll es auch so genannte ‚agent provocateurs‘ geben, denen eine eigene E-Card ausgestellt werden kann, mit denen sie mit erfundenen Krankengeschichten Mystery Shopping betreiben können. Doch damit nicht genug: „Vom Ergebnis einer Kontrolle sind die Sozialversicherungsträger des gleichen Versicherungszweiges, mit denen vergleichbare Leistungen abgerechnet werden, in geeigneter Form zu verständigen“, heisst es in der Richtlinie, die der Ärzte Krone exklusiv vorliegt. Geben soll es auch eine Ökonomiekontrolle zu der auch die ausgelösten Folgekosten etwa für weitere Untersuchungen, Über- beziehungsweise Zuweisungen gehören sowie die Verwendung der jeweils günstigsten Heilmittel und Heilbehelfe.
Dr. Erwin Rasinger, ÖVP-Nationalratsabgeordneter und Allgemeinmediziner, hat die Richtlinien rechtlich prüfen lassen und kritisiert 21 Punkte. In der Kritik heißt es etwa, dass eine Kontrolle der Kontrollore fehlt, ebenso ein Verbot für Bild- und Tonaufnahmen. Falschangaben gegenüber dem Vertragspartner seien uneingeschränkt zulässig. Zudem fehle eine klare Definition, wann ein begründeter Verdacht vorliege.
Fazit der Rechtsprüfung: „Im Vergleich zu den gesetzlichen Voraussetzungen und den Rechtsschutzvorkehrungen im Staatsschutzgesetz, im Sicherheitspolizeigesetz und in der Strafprozessordnung bei der Bekämpfung von Terrorismus, organisierter Kriminalität und schweren Straftaten im Zusammenhang mit verdeckten Ermittlungen, Mitwirkung Dritter, Bild- oder Tonaufnahmen, Scheingeschäft und der Ausstellung unrichtiger Dokumente räumt der Entwurf den Sozialversicherungsträgern völlig außer Verhältnis stehende Befugnisse bei der Vertragspartnerkontrolle ein und verletzt dadurch das Rechtsstaatsprinzip und den Gleichheitsgrundsatz.“ Anders formuliert: Die Kassen dürfen mehr als die Polizei.
„Ärztinnen und Ärzte, die überprüft werden, könnten sich in keiner Form wehren und hätten keinerlei Rechtsschutz“, kritisiert der Ärztekammer-Wien-Vizepräsident Dr. Johannes Steinhart. „Mit den erstellten Richtlinien wird ein Misstrauensverhältnis zwischen Vertragspartnern der Krankenkassen – Ärzten, Therapeuten, Apothekern und anderen – und den Patienten einzementiert“, sagt die Gesundheitssprecherin der Grünen, Dr. Eva Mückstein. Ihre Kritik: „Scheinpatienten können mit gefälschten Krankengeschichten die Behandler prüfen. Ärzte und andere Behandelnde müssten eigentlich immer mit dem Tonbandgerät in der Praxis sitzen, um danach beweisen zu können, was gesprochen wurde“, erläutert Mückstein. Der Rechtsschutz für die Gesundheitsdienstleister müsse daher ausgebaut werden. „Es muss den Vertragspartnern möglich sein, gegen unsachliche oder unberechtigte Vorwürfe den Rechtsweg zu beschreiten, schließlich geht es um berufliche Existenzen“, fordert Mückstein.
Auch Gesundheitsministerin Dr. Sabine Oberhauser (SPÖ) bremst: „Es ging und geht uns darum, Missbrauch und Misswirtschaft vorzubeugen. ,Mystery Shopping‘ ist kein Ärztepflanz.“ Sie empfiehlt den Kassen, ihre Richtlinie noch einmal zu überarbeiten.

 

 

 

Kommentar von VP Dr. Johannes Steinhart: „Mystery Shopping ist staatlich legitimiertes Spitzelwesen!“
Obwohl die durchschnittlichen Krankenstandstage in den letzten Jahren nachgewiesenermaßen sukzessive zurückgegangen sind und dies vermuten lässt, dass Arbeitnehmer aus Angst vor Arbeitsplatzverlust vermehrt trotz Krankheit arbeiten gehen, sieht die Bundesregierung im Rahmen der Sozialbetrugsbekämpfung die Notwendigkeit, weitere Verschärfungen zur Eindämmung eines vermuteten Krankenstandmissbrauchs einzuführen.
Was dabei vergessen wird: Mystery Shopping und verpflichtende Identitätskontrollen in Arztpraxen sind ein unwiderruflicher Vertrauensbruch in der Beziehung zwischen Arzt und Patient. Der Zugang zur ärztlichen Hilfe wird erschwert. Und wenn Ärztinnen und Ärzte sich nicht mehr sicher sein können, dass Patienten ihnen gegenüber die Wahrheit sprechen, dann sind sie gezwungen, sich entsprechend abzusichern. Das bedeutet nicht nur „Sicherheitsüberweisungen“ zu Spezialisten und damit eine zusätzliche Belastung für die Patienten, sondern es kostet auch eine Menge Geld. Dazu kommt, dass Arbeitnehmer, die trotz Krankheit arbeiten gehen, nicht nur ihre eigene Gesundheit gefährden, sondern auch die ihrer Kolleginnen und Kollegen. Es ist erschreckend, dass man diese Entwicklung für einen nur geringen Nutzen in Kauf nimmt. Denn zwischen 2008 und 2013 konnten durch das Aufdecken von Missbrauchsfällen in den Sozialversicherungen lediglich 18.100 Euro eingebracht werden. Der „Lohn“ rechtfertigt den Einsatz der Mittel also keinesfalls.
Bereits jetzt stößt der niedergelassene Kassenbereich an seine Grenzen: Immer mehr Patienten müssen von immer weniger Kolleginnen und Kollegen versorgt werden. Zusätzlich steigen die bürokratischen Belastungen. Unsere unmissverständliche Forderung an die verantwortlichen Politiker lautet daher, die Umsetzung dieses unsinnigen und patientenfeindlichen neuen Gesetzes sofort zu stoppen und damit ein staatlich legitimiertes Spitzelwesen in Österreichs Arztpraxen zu verhindern. Dieser Forderung werden wir notfalls auch mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen Nachdruck verleihen.