Neue Ärzte braucht das Land!

Gemäß der Definition der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) gilt als Landarzt, wer als Allgemeinmediziner mit Gebietskrankenkassenvertrag in einer Gemeinde mit bis zu 3.000 Einwohnern tätig ist oder wer als einer von maximal zwei Kassen-Allgemeinmedizinern in einer Gemeinde eine Ordination betreibt. ÖÄK-Präsident Dr. Artur Wechselberger: „Wer glaubt, dass sich dahinter eine vernachlässigbare Kleingruppe verbirgt, der irrt: 40% aller Kassen-Allgemeinmediziner fallen in diese Gruppe. Gemeinsam sind diese derzeit 1.563 niedergelassenen Ärzte für die hausärztliche Versorgung von immerhin 43% aller Österreicher verantwortlich. Noch. Denn geht man vom Regelpensionsalter aus, fallen in den nächsten zehn Jahren mehr als die Hälfte der Landärzte pensionsbedingt aus, ein Viertel aller derzeit tätigen geht bereits innerhalb der nächsten fünf Jahre in Pension.“

Immer weniger Bewerber überlegen immer länger

Immer weniger Jungmediziner bewerben sich um Landarztstellen, und von diesen springen immer mehr ab, sobald sie sich ein Bild von den Lebens- und Arbeitsbedingungen am ausgeschriebenen Standort gemacht haben. „Das liegt unter anderem am eingeschränkten kulturellen und sozialen Angebot, das oft nicht dem Lebenskonzept der Nachfolgegeneration entspricht, die in der Stadt studiert hat und die Vorteile des urbanen Lebens schätzen gelernt hat. Ein weiterer wichtiger Grund ist die Tatsache, dass Familiengründung und die Entscheidung für oder gegen eine eigene Ordination in der Regel in denselben Lebensabschnitt fallen. Es ist nur legitim, dass sich auch junge Ärzte nach einer langjährigen Ausbildung genau überlegen, ob sie mit einer Landarztpraxis überhaupt in der Lage sein werden, eine Familie finanziell zu erhalten, die Betreuung der Kinder und deren Schulausbildung zu organisieren und Arbeit und Freizeit so auszugleichen, wie es ihren Vorstellungen entspricht.“ Umso notwendiger seien daher leistungsgerechte Honorarsysteme und flexible Arbeitszeitmodelle, damit sich Jungmediziner auf diesen zweifellos auch sehr erfüllenden Beruf einlassen.
In fast allen Bundesländern müssen Landarztstellen inzwischen mehrfach und oft auch österreichweit ausgeschrieben werden. In Vorarlberg fand sich zum Beispiel im vergangenen Jahr für fünf Stellen nur jeweils ein Bewerber, wobei eine Stelle dreimal ausgeschrieben worden war. Noch Anfang der 2000er-Jahre musste in diesem Bundesland keine einzige Stelle zweimal ausgeschrieben werden. In Oberösterreich kamen 2001 noch fünf Bewerber auf eine Landarztstelle, im Vorjahr waren es durchschnittlich 1,2. In Niederösterreich hat sich die Zahl der Bewerber trotz Mehrfachausschreibungen von 2008 auf 2012 halbiert, und in Salzburg wurden mangels Bewerber zwei Ordinationen in namhaften Tourismusgemeinden ruhend gestellt.

Medizinische Versorgung auf dem Land sichern

Wechselberger: „Die Menschen werden immer älter, das hat Auswirkungen auf die gesamte medizinische Versorgung. Auf dem Land aber sind alte oder chronisch kranke Menschen noch viel mehr auf den Hausarzt im Ort angewiesen als in urbanen Gebieten. Denn die Jungen arbeiten meist auswärts oder sind längst in die Stadt gezogen – sie können die Fahrt zum Arzt und auch die weitere Versorgung ihrer Angehörigen oft nicht organisieren. Das heißt, der Landarzt kommt nicht nur im Notfall ins Haus, sondern auch zu Routineuntersuchungen und -behandlungen. Es bleibt zu hoffen, dass die Gesundheitsreformer rasch Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Landärzten setzen, damit sich auch in Zukunft Jungmediziner für diesen Beruf entscheiden. Das bedeutet vor allem: leistungsgerechte Vergütungssysteme, flexible Arbeitszeitmodelle, geregelte und zumutbare Bereitschaftsdienste am Wochenende und in der Nacht, liberale Formen der Zusammenarbeit, Kinderbetreuung, Unterstützung bei der Organisation von Ordinations- und Wohnraum, Sicherstellung bestehender und Einrichtung neuer Hausapotheken, weniger Bürokratie und ungestörte ärztliche Therapiefreiheit.“

Durchschnittliche Wochenarbeitszeit: 70–80 Stunden

Dr. Gert Wiegele, Obmann der Bundessektion Ärzte für Allgemeinmedizin und approbierte Ärzte: „Ein Landarzt mit maximal einem weiteren Kassen-Allgemeinmediziner im Ort hat durchschnittlich jedes zweite Wochenende und jede zweite Nacht Bereitschaftsdienst. Diese Bereitschaft mündet in der Regel direkt in die „normale“ Ordinationszeit, das geht mit den Jahren sehr an die Substanz. Insbesondere, wenn man die Distanzen am Land bedenkt: Meist sind es zehn Kilometer bis zum Patienten, aber auch Hausbesuche bei 20–30 Kilometer entfernten Patienten sind keine Seltenheit. Pro Jahr absolviert ein Landarzt um die tausend Hausbesuche – bei jeder Witterung.“
In vielen Bundesländern seien infolge gesetzlicher Änderungen in den vergangenen Jahren mögliche Zusatzverdienste, wie etwa die Tätigkeit als Sprengel- oder Schularzt, abhanden gekommen. Gleichzeitig hätten Landärzte Funktionen zu erfüllen, die nicht angemessen abgegolten würden. Wiegele: „Zusammen mit dem stetig wachsenden bürokratischen Aufwand ergibt das eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 70–80 Stunden. Viele Probleme der Landmedizin könnten durch eine konsequente Umsetzung des Haus- und Vertrauensarzt-Modells der ÖÄK gelöst werden. Bis zum heutigen Tag ist nichts geschehen – sieht man von wortreichen Beteuerungen zur Stärkung der Rolle des Haus- und Vertrauensarztes in Regierungsprogrammen und Stellungnahmen ab.“

Steigender Frauenanteil – aber nicht am Land

Dr. Johannes Steinhart, Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte und ÖÄK-Vizepräsident: „Für eine Landarztstelle erwärmen sich nach wie vor eher männliche Jungärzte, doch genau diese Gruppe wird kleiner, während der Frauenanteil in der Medizin rapide steigt. Steinhart: „Die Zukunft der Landmedizin wird daher ganz wesentlich davon abhängen, ob es gelingt, Frauen für diese Tätigkeit zu gewinnen. Denn natürlich bietet der Beruf des Landarztes auch viele Vorteile: Nähe zur Natur und damit leichterer Zugang zu sportlichen Freizeitmöglichkeiten, langjährige persönliche Beziehungen zu Patienten und ihren Familien, große soziale Wertschätzung, wichtige Rolle im Gemeindeleben. Bei möglichen Bewerbern stehen allerdings nicht ohne Grund existenzielle Sorgen im Vordergrund und auch die Angst, dem vielfältigen Aufgabenspektrum eines Landarztes nicht gewachsen zu sein. Neben angemessenen Honoraren und flexiblen Arbeitszeitmodellen muss daher unbedingt in Lehrpraxen investiert werden. Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Jungärzte, die eine Lehrpraxis auf dem Land absolviert haben, erst dadurch die positiven Aspekte dieses Berufs erkennen. Und, ganz wesentlich: Sie wissen, was mit einer Landarztpraxis auf sie zukommt, und sie trauen sich das viel eher zu als Bewerber ohne Lehrpraxis.“

Hausapotheken in Gefahr

Die derzeit 885 Hausapotheken stellen für Landarztpraxen einen unverzichtbaren Einkommensbestandteil dar. Ab Ende 2013 steht es Apothekern allerdings per Gesetz frei, in Gemeinden mit zwei Kassen-Allgemeinmedizinern eine öffentliche Apotheke einzurichten. Landärzte mit Hausapotheke dürfen diese dann zwar noch drei Jahre lang betreiben, nicht aber an einen Nachfolger abgeben. „Der Verlust der Hausapotheke gefährdet die wirtschaftliche Basis einer Praxis auf dem Land, was immer öfter dazu führt, dass Landärzte abwandern oder früher als geplant in den Ruhestand treten. Zurück bleiben unversorgte Patienten, denn es ist nahezu unmöglich, Nachfolger für eine Landarztpraxis ohne Hausapotheke zu finden“, so Wiegele.

 

Ich bereue meine Entscheidung nicht!
Dr. Helene Ranacher ist die neue Ärztin für Allgemeinmedizin in Heiligenblut. Mit der Ärzte Krone sprach sie über ihre Entscheidung, die Stelle anzunehmen, und die Auswirkungen auf ihr familiäres Umfeld.
ÄRZTE KRONE: Frau Dr. Ranacher, welche Vorbehalte hatten Sie, die Ordination in Heiligenblut zu übernehmen?
Helene Ranacher: Der größte war und ist, dass ich immer die interne Facharztausbildung machen wollte. Daher habe ich doch recht lange gehadert, ob ich die Stelle annehmen soll oder nicht.
Was hat Sie letztlich bewogen, nach Heiligenblut zu gehen?
Der Hauptgrund war sicherlich, dass die Praxis in meiner Heimat liegt. Ich komme ja aus dem Nachbardorf. Ich dachte mir, das ist jetzt die einzige Chance, in meiner Heimat eine Arbeitsstelle zu finden.
Wie zufrieden sind Sie mit dieser Entscheidung?
Ich muss schon sagen, dass das erste Jahr natürlich sehr anstrengend ist, das geht aber glaube ich allen Kollegen so, die neu anfangen. Aber es wird besser, und ich fühle mich im Moment sehr wohl.
Ich bereue es nicht, nicht mehr im Krankenhaus zu sein.
Welche Auswirkungen hat diePraxisübernahme auf Ihr familiäres Umfeld?
Massive Auswirkungen. Ohne meine Familie hätte ich das auch sicher nicht geschafft und hätte wohl schon aufgegeben. Es hat jeder seinen Teil beigetragen, sei es jetzt die wirtschaftliche Beratung meiner Schwester, die Tischlerei meines Partners, der den Umbau unterstützt hat, oder die Eltern, die für jede Sorge ein offenen Ohr haben. Es wäre also ohne Familie sicher nicht gegangen.
Dr. Helene Ranacher studierte an der Medizinischen Universität Graz und arbeitete nach dem Studium in einer Lehrpraxis bei einem niedergelassenen Internisten in Spittal/Drau. Anschließend absolvierte sie ihren Turnus im Krankenhaus Spittal/Drau. Danach arbeitete Ranacher als Sekundarärztin auf der Unfallabteilung in Spittal und auf der Internen Abteilung im LKH Villach. Danach führte sie ihr Weg direkt nach Heiligenblut.