Neue Ärzteausbildung: „Ein Murks“

Die Ausbildung für Allgemeinmediziner soll zwar neu strukturiert werden, aber es kommt keine Aufwertung zum Facharzt – und es bleibt bei nur sechs Monaten Lehrpraxis, die nicht einmal zwingend beim niedergelassenen Arzt absolviert werden müssen. Für ÖÄK-Präsident Dr. Artur Wechselberger ist das so nicht akzeptabel: „Wenn das nicht geändert wird, dann ist der Entwurf nichts wert.“ Stöger ließ indes verlautbaren, er habe sich „mit den wesentlichen Playern“ im Gesundheitssystem auf eine neue Ausbildung der Allgemeinmediziner geeinigt. Die Ausbildung zum Allgemeinmediziner soll künftig folgendermaßen ablaufen: sechs Jahre Medizinstudium, dann neun Monate Erwerb von Basiskompetenzen in einem Krankenhaus. Danach muss sich der Jungarzt entscheiden: Will er Facharzt oder Allgemeinmediziner werden? Die Ausbildung zum Facharzt soll weiterhin sechs Jahre dauern, jene zum Allgemeinmediziner hingegen völlig neu gestaltet werden: 33 Monate Ausbildung im Krankenhaus und anschließend sechs Monate Lehrpraxis in einer Ordination eines Allgemeinmediziners oder in einer geeigneten Spitalsambulanz.
Dann kann der Jungmediziner selbstständig eine Praxis eröffnen, wird aber kein Facharzt sein. Wechselberger: „Damit wird eine langjährige Forderung der Ärztekammer nicht erfüllt. Fast in allen europäischen Staaten ist der Allgemeinmediziner ein Facharzt.“
Auch Forderungen der Ärztekammer zur Lehrpraxis wurden nicht berücksichtigt: „Wir brauchen zwölf Monate Ausbildung in einer Lehrpraxis im niedergelassenen Bereich!“, so Wechselberger. Veranschlagte österreichweite Kosten: 15 Millionen Euro pro Jahr. „Diese Ausbildungskosten sollen sich Sozialversicherung, Bund und Länder teilen, die sich ja selbst als die ,Zahler‘ bezeichnen.“
Das Gesundheitsministerium denkt allerdings nicht daran, mehr als eine Million Euro pro Jahr beizusteuern. Wechselberger: „Damit werden gerade einmal 106 Lehrpraxis-Plätze gefördert. Der Bund zahlt 1.345 Euro, den Rest auf den Kollektivvertragsgehalt – etwa noch einmal so viel – zahlen die praxisführenden Ärzte, die aber durch ihre Ausbildungstätigkeit ohnehin ihren Beitrag leisten.“
„Seit 30 Jahren dreht sich die Debatte über die Ausbildung zum Allgemeinarzt auf niedrigem Niveau im Kreis. Seit 30 Jahren gelingt es nicht, die Lehrpraxis, zu verankern. International gesehen ist Österreich damit bei der Hausarztausbildung schwer ins Hintertreffen geraten. Während in Ländern wie Großbritannien, Deutschland oder den Niederlanden ein Schwerpunkt auf eine gute Hausarztausbildung gelegt wird und mindestens zwölf bis sogar 24 Monate Lehrpraxis vorgesehen sind, glaubt Minister Stöger, mit drei bis sechs Monaten sein Auslangen zu finden. Der von Stöger jetzt vorgelegte Verordnungsentwurf ist aus meiner Sicht untauglich, den drohenden Hausarztmangel zu bekämpfen“, meint auch ÖVP-Gesundheitssprecher Abg. Dr. Erwin Rasinger. „Das ist ein Murks.“
International steht Österreich in dieser Hinsicht tatsächlich schlecht da. Dr. Julia Baumgartner von JAMÖ recherchierte im Rahmen einer Umfrage unter den Mitgliedsländern der Vasco-da-Gama-Gruppe JAMÖ (junge Allgemeinmediziner International) zu Dauer und Bezahlung der Lehrpraxis-Assistenten in Europa in Ausbildung zum FA für Allgemeinmedizin (s. Tab.). Die Weiterbildung zum Hausarzt findet dort im Schnitt zu einem Drittel bis zur Hälfte der Zeit im primärversorgenden Setting statt. Zum Teil spielen dabei weiterhin inhaltlich die Universitäten eine Rolle, die Finanzierung findet meist durch die öffentliche Hand statt, zum Teil beteiligen sich auch die Krankenversicherungen.
Kritik übt die Ärztekammer auch daran, dass die Lehrpraxen nicht verpflichend auf ein Jahr ausgelegt sind und diese Ausbildung auch in einer Lehrambulanz gemacht werden könne. „Für mich ist das letzte Wort zur neuen Ärzteausbildung noch nicht gesprochen!“, so Wechselberger.

 

 

 

Kommentar Univ.-Prof. Dr. Andreas Sönnichsen

Man kann nur den Kopf schütteln, wie hier mit geballter ministerialer Inkompetenz gegen den Rat von Österreichischer Gesellschaft für Allgemeinmedizin, Hausärzteverband, Kammer, universitären Einrichtungen für Allgemeinmedizin u.s.w. ein vorsintflutliches Ausbildungsmodell durchgeboxt wird, letztendlich zum Schaden der medizinischen Versorgung der österreichischen Bevölkerung.
Während man international auf breiter Front erkannt hat, dass Allgemeinmedizin eben nicht ein „Schmalspursammelsurium“ der medizinischen Fachdisziplinen ist, sondern ein eigenes Fach mit spezifischen Anforderungen wie zum Beispiel Umgang mit Diagnostik im Niedrigprävalenzbereich, patientenzentrierte, ganzheitliche Versorgung,Management von chronisch Kranken und Multimorbidität etc., scheinen diese Erkenntnisse im Ministerium Stöger noch nicht angekommen zu sein.
Die Spezifika der Allgemein- und Familienmedizin können nicht im Spital erlernt werden, auch nicht in einer Spitalsambulanz, der genau das, was hausärztliche Medizin auszeichnet, massiv abgeht: nämlich die auf Dauer angelegte Beziehung zwischen Hausarzt und Patient, die es ermöglicht, auf der Basis von vielschichtiger Kommunikation und erlebter Anamnese in einem partizipativen Prozess Entscheidungen gemeinsam mit dem Patienten zu treffen, wozu der Kliniker weder ausgebildet noch sonst in der Lage ist. Stöger ist offenbar der Meinung, dass es das nicht braucht, und dazu ist es ja auch noch viel billiger, da man dann nämlich keine Lehrpraxis finanzieren muss. Es ist schon erstaunlich, dass die sonst so sparsamen Deutschen immerhin 3.500 Euro/Monat/auszubildendem Allgemeinmediziner aus dem Staats- und Sozialversicherungssäckel in die Hand nehmen, um Lehrpraxis und Ausbildung zu finanzieren (analog zu den meisten anderen europäischen Ländern). Leidtragende werden die österreichischen Patientinnen und Patienten sein, die in absehbarer Zeit auf eine wohnortnahe, qualitativ hochwertige hausärztliche Versorgung werden verzichten müssen.