Neue Europa-Leitlinien für Hypertonie präsentiert

Abschied von „the lower the better“?

Rund 1,5 Milliarden Menschen weltweit leiden unter einem zu hohen Blutdruck. Sie haben damit ein erhöhtes Risiko, einen Schlaganfall, Herzinfarkt oder andere Organschäden zu erleiden. Um diese lebensbedrohlichen Folgen zu verhindern, ist eine wirksame Therapie unerlässlich. Im Rahmen des 23. Kongresses der ESH in Mailand (14.–17. Juni 2013) wurden nun – nach sechs Jahren – die frischen Hochdruck-Leitlinien 2013 präsentiert; sie umfassen über 70 Seiten. Eine wichtige Erneuerung sind einheitliche Zielwerte. Während in der Vorgängerversion der Leitlinien noch verschiedene Zielwerte je nach Risikogruppe definiert waren – 140/90 mmHg für Patienten mit niedrigem oder mäßigem Risiko, 130/80 mmHg für Hochrisikopatienten –, gilt jetzt ein einheitlicher systolischer Zielwert von 140 mmHg als Grenze. Begründung: Das wissenschaftliche Beweismaterial reiche nicht aus, zwei Zielwerte zu rechtfertigen. Diastolisch gelten Werte unter 90 mmHg als Ziel. Für Diabetiker werden 85 mmHg als Obergrenze empfohlen. Betont wird in den neuen Guidelines die Wichtigkeit von Lebensstilmodifikationen, um Blutdruckwerte im hoch-normalen Bereich (130–139 mmHg systolisch/85–89 mmHg diastolisch) zu senken. Hier wird ein strikteres Vorgehen gefordert, der Schwerpunkt liegt auf Prävention und in der Nutzung nichtmedikamentöser therapeutischer Maßnahmen. Häufig – insbesondere bei leichten Blutdruckerhöhungen – würden schon konsequente Änderungen im Lebensstil reichen, um den Blutdruck nachhaltig zu senken. Daher sei es wichtig, konsequent auf das Rauchen zu verzichten, mindestens 30 Minuten täglich durch moderates, dynamisches Training körperlich aktiv zu sein und sich gesund, vorzugsweise „mediterran“ zu ernähren. Auch sollte der Salzkonsum werden auf maximal fünf bis sechs Gramm pro Tag eingeschränkt und damit auf nur halb so viel wie bislang tatsächlich durchschnittlich konsumiert wird. Bei der Hypertonie-Diagnostik kann die Blutdruckselbstmessung vielfach als Alternative zur 24-Stunden-Langzeitmessung eingesetzt werden. Als Ausnahmen werden die Abklärung einer nächtlichen Hypertonie und die Bestimmung von „Dipping“-Status und Blutdruck-Variabilität aufgeführt. Es wird darauf hingewiesen, dass die Hypertonie oft in Verbindung mit anderen kardiovaskulären Risikofaktoren steht. Diese Neuerungen widersprechen dem jahrelangen Konzept „Je tiefer, desto besser“. Grund dafür könnte Angst vor dem J-Kurven-Effekt sein – zunächst sinkt die Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse mit niedrigeren Blutdruckwerten, dann steigt sie aber wieder. Bewiesen ist dieser Effekt allerdings nicht.

Welche Pharmakotherapie?

Eine weitere wichtige Änderung ergibt sich bei der Wahl der Medikamente. Die Leitlinien betonen die Notwendigkeit, dass bei Hochrisikopatienten häufig nur eine Kombination aus mindestens zwei Medikamenten den Blutdruck anhaltend senken kann, und geben praktische Hinweise für Kombinationsstrategien. Wichtiger als die Methode der Senkung sei, dass der Patient den Zielwert in angemessener Zeit erreicht. Die „üblichen Verdächtigen“ wie Diuretika, Betablocker, Kalziumantagonisten, ACE-Hemmer und Angiotensinrezeptorblocker stehen weiter im Vordergrund, eine frühe Kombinationstherapie wird empfohlen (von einer Kombination zweier RAS-Antagonisten wird aufgrund der höheren Inzidenz schwerwiegender Nebenwirkungen abgeraten).

 

 

Neu: Bewertung der renalen Denervation

Interventionelle Verfahren wie etwa die perkutane renale Sympathikusablation wurden aufgrund fehlender Outcome-Daten sehr vorsichtig bewertet. Die Methode sei vielversprechend, schreiben die Leitlinienautoren, es seien aber zusätzliche Daten aus sauber konzipierten Langzeitstudien nötig, um mehr über die Sicherheit und Wirkdauer zu erfahren. Succus: Die neuen Leitlinien vereinfachen die Blutdruck-Zielwerte, rücken den Lebensstil der Patienten in den Vordergrund und geben Ärzten größeren Handlungsspielraum. Signifikant positive Daten eines deutschen Registers wurden am ESH übrigens zum Telemonitoring vorgestellt: Das telemetrische Monitoring der vom Hypertoniker selbst gemessenen Blutdruckwerte (home blood pressure telemonitoring, HBPT) mit telefonischer Therapiesteuerung kann wesentlich dazu beitragen, die Therapieadhärenz und eine dauerhafte Blutdruckeinstellung im Alltag zu verbessern. Beim HBPT überträgt der Patient mittels Blutdruckgerät und Handy seine Blutdruck- und Pulswerte an ein Zentrum. Bei Unter- oder Überschreitung von festgelegten Grenzen werden Arzt oder Patient benachrichtigt. Vom Telemonitoring können insbesondere Risikopatienten, z.B. mit schwer einstellbarer Hypertonie, hypertensiver Krise oder chronischer Herzinsuffizienz profitieren.