Personalisierte Medizin bei Lungenkrebs

Der wichtigste Risikofaktor für Lungenkrebs ist Zigarettenrauchen, gefolgt von anderen schädigenden Stoffen wie z.B. Arsen, Radon oder Asbest. Darüber hinaus spielen erbliche Faktoren eine wesentliche Rolle. 3–5% der Erkrankungen sind durch Passivrauch verursacht.
Bis vor wenigen Jahren stand für die medikamentöse Behandlung von Lungenkrebs nur ein Therapieprinzip, nämlich eine Standard-Chemotherapie zur Verfügung. Für die Auswahl der Zytostatika war nur entscheidend, ob bei dem Patienten ein „kleinzelliges“ (SCLC) oder „nichtkleinzelliges“ Lungenkarzinom (NSCLC) festgestellt wurde.
Ein erster Schritt in Richtung Individualisierung gelang bei einer Untergruppe der Patienten mit NSCLC, nämlich bei jenen mit Adenokarzinomen. Patienten mit diesem histologischen Subtyp profitieren von einer Kombination, die aus dem relativ neuen Zytostatikum Pemetrexed (Alimpta®) sowie dem etablierten Tumormittel Cisplatin besteht, während Pemetrexed bei Patienten mit anderen histologischen Zellbild (Plattenepithel-, großzelliges Karzinom) keinen Vorteil bringt. Bei letztgenannten Patienten wird nach wie vor eine Behandlung mit Gemcitabin (Gemzar®), Paclitaxel (Taxol®) bzw. Vinorelbin (Navelbine®) in der Kombination mit Cisplatin empfohlen.
Entscheidende Fortschritte wurden durch Untersuchungen von molekularen Veränderungen erzielt. Mutationen in bestimmten Genen sowie die Überexpression bestimmter Membranstrukturen wurden als wesentliche Entscheidungskriterien für die Therapiewahl identifiziert. Dies ist vor allem bei Patienten mit NSCLC und hier besonders für Patienten mit Adenokarzinom relevant. Werden im Tumor eines Patienten Mutationen im Exon 19 (Deletion) oder eine Punktmutation L858R im Rezeptor für den Epidermal Growth Factor (EGFR) festgestellt, so empfiehlt sich eine Behandlung mit Gefitinib (Iressa®). Mit diesem sogenannten Tyrosinkinaseinhibitor (TKI) können bessere Ergebnisse als mit konventioneller Chemotherapie erzielt werden. Außerdem wird Gefitinib im Gegensatz zur Infusionstherapie mit Zytostatika oral verabreicht. Gefitinib wird üblicherweise auch besser als Chemotherapie vertragen, da es weder zu signifikanten Blutbildveränderungen noch zu Haarausfall führt (Tab.).

 

 

Bemerkenswerterweise ist die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer derartigen Mutation höher, wenn der Patient asiatischer Herkunft, weiblich und Nicht-raucher ist. Sind diese Bedingungen erfüllt, so ist bei 30% der Patienten eine EGFR-Rezeptor Mutation zu erwarten. Im Gegensatz dazu wird bei männlichen Rauchern nur selten eine derartige Mutation nachgewiesen.
Die Ansprechrate auf den TKI-Gefitinib liegt bei Patienten mit EGFR-Mutation bei beachtlichen 70%. Besteht allerdings zusätzlich zu einer EGFR-Mutation auch eine Mutation von Kras (Kirsten rat sarcoma viral oncogene homolog), so bleibt die Behandlung mit den modernen TKI (Gefitinib und auch Erlotinib (Tarceva®)meist erfolglos, da diese nicht in der Lage sind aktiviertes Kras zu inhibieren. Kras wird normalerweise nur bei spezifischer Aktivierung angeschalten. Liegt Kras in mutierter Form vor, so kommt es zur konstitutiven Produktion von Kras-Protein, das eine wichtige Rolle in der intrazellulären Signaltransduktion einnimmt, und zu einer verstärkten Gentranskription führt. Dies erklärt auch die allgemein schlechtere Prognose von Patienten mit Kras-mutiertem Lungenkrebs.
Allerdings gibt es selbst bei Patienten, bei denen keine EGFR-Mutation vorliegt, noch eine Möglichkeit, durch nähere Charakterisierung des Tumors die Behandlung zu individualisieren. Wird nämlich im Tumor des Patienten eine besonders starke Expression des EGFR festgestellt, so können mit einer Immuntherapie, die zusätzlich zur Chemotherapie verabreicht wird, bessere Ergebnisse als mit alleiniger Chemotherapie erzielt werden. Zur Immuntherapie wird ein Antikörper gegen EGFR (Cetuximab, Erbitux®) in wöchentlichen Intervallen verabreicht. Kommt es unter dieser Behandlung zum Auftreten eines akneformen Exanthems, einer charakteristischen Nebenwirkung von Cetuximab, so kann mit größerer Wahrscheinlichkeit ein deutlicher Vorteil durch die Immuntherapie im Vergleich zu Patienten, bei denen diese Hautnebenwirkung nicht auftritt, erwartet werden.
Seit Kurzem steht eine weitere Behandlung für etwa 2–7% der Patienten mit nichtkleinzelligen Lungenkrebs, die ein Rearrangement des ALK-Gens (Anaplastic large cell lymphoma) mit dem EML4-Gen (Echinoderm microtubule-associated protein-like 4) aufweisen, zur Verfügung. Diese Phänomen findet sich ebenfalls bevorzugt bei Patienten mit Adenokarzinom, die nicht oder nur wenig geraucht haben und keine EGFR-Mutation aufweisen. Durch die Fusion von ALK und EML4 kommt es zur konstitutiven Aktivierung einer Tyrosinkinase, die durch Crizitonib (Xalkori®) gehemmt werden kann. Die mit dieser Behandlung erzielten Tumoransprechraten liegen bei etwa 50–60%.
Insgesamt zeigen oben angeführte Fakten den enormen Fortschritt im Verständnis der für das Tumorwachstum verantwortlicher genetischer Veränderungen, sowie die erfreuliche Entwicklung auf dem Gebiet der medikamentösen Behandlung von Patienten mit Lungenkrebs. Diese wird bereits derzeit auf die beim einzelnen Patienten vorliegenden genetischen Veränderungen abgestimmt. In Zukunft ist mit einer weiteren Individualisierung der medikamentösen Behandlung zu rechnen, wodurch das alte Dogma einer Standard-Behandlung für ein komplexes Krankheitsbild ad acta gelegt werden wird.

 

Abb.: Lungenkrebs im rechten Mittellappen mit Befall eines lokalen Lymphknotens© Fotolia.com