Primärversorgung im Umbruch

„Unser Konzept ist kongruent mit jenem, an dem ich für ‚Gesundheit Österreich‘ mitgearbeitet habe“, sagte Dr. Erwin Rebhandl, Ex-Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (ÖGAM) und Initiator von „AMPLUS“. Der oberösterreichische Allgemeinmedizin-Aktivist hat mit Univ.-Prof. Dr. Manfred Maier, Leiter der Abteilung für Allgemeinmedizin am Zentrum für Public Health der MedUni Wien ein „Konzept Primary Health Care“ ins Netz gestellt, das wohl den Intentionen der offiziellen österreichischen Gesundheitspolitik entspricht. „Gesundheit Österreich“ (GÖG) ist der offiziöse Gesundheitspolitik-Think-Tank.
Und darum geht es: In welchen Strukturen soll in Zukunft die wohnortnahe Primärversorgung der Menschen geschehen? Der Präsident der ÖGAM, Dr. Reinhold Glehr, Nachfolger von Rebhandl in dieser Funktion: „Zu hoffen ist, dass bei der Gesundheitsreform der Wert der Freiberuflichkeit – im unternehmerischen Sinn – nicht vergessen wird. Wir haben ja in Österreich auch derzeit Ambulanzen unabhängig von Spitälern. Diese effizient zu führen, hat sich ja in der Vergangenheit nicht als einfach erwiesen.“ Die versprochene Stärkung des niedergelassenen Bereiches in Form großer Zentren umzusetzen, sollte ja vor allem mit dem Nachweis von Effizienz, Effektivität und Qualität verbunden sein. Das Konzept von „AMPLUS“ basiert zwar auf diesem Prinzip, für die Zukunft der Allgemeinmedizin und der Hausärzte würde seine Realisierung allerdings umfassende Veränderungen mit sich bringen.

Einige Grundsätze:

  • Aufgaben: Wohnortnahes Abdecken (längstens 15–20 Minuten Autofahrt) von „medizinischer“, „pflegerischer“ und „therapeutischer Grundversorgung“.
  • Primary Health Care wird von einem „multidisziplinären Team“ realisiert, in dem der „Hausarzt (Arzt des Vertrauens; Anm.) der Koordinator und meist erste Ansprechstelle ist“, dem aber auch diplomierte Gesundheits- und Krankenschwestern und -pfleger, Psychologen, Psychologen, Diätologen, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden, Sozialarbeiter etc. angehören.

Rebhandl: „Wir denken an eine Versorgung von jeweils einer Region mit 25.000– 50.000 Einwohnern. Für solche Regionen könnte man auch jeweils Bedarf und Vorhandensein von Ärzten, Pflege- und Therapieangeboten analysieren – und entsprechend planen und steuern.“

Stadt – Land: Ärztezentren und Netzwerke

Laut dem Konzept sollten sich die Strukturen speziell der allgemeinmedizinischen Versorgung zwischen Stadt und Land wesentlich unterscheiden.
Stadt: Primärversorgungszentrum in einem Gebäude, in dem zehn oder zwölf Ärzte (vor allem Allgemeinmediziner, dazu eventuell auch einzelne Fachärzte) ordinieren. Anbieten von zusätzlichen pflegerischen und therapeutischen Leistungen durch andere Gesundheitsberufe. 24-Stunden Öffnungszeit, Management durch einen medizinischen und einen wirtschaftlich-organisatorischen Leiter.
Land: Hausärztliche Versorgung weiterhin dezentral (Einzel- oder kleine Gruppenpraxen), pflegerisches und therapeutisches Angebot in Netzwerkorganisation (regional auch in Teilzeit). Leistungsanbieter schließen sich freiwillig an. Das Netzwerk wird als Verein oder GmbH organisiert. Management durch einen medizinischen und einen wirtschaftlich-organisatorischen Leiter.
Keine Frage, dass man über diese Konzepte noch entsprechend diskutieren wird müssen. Glehr: „Solche Versorgungsstrukturen werden sicherlich von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sein müssen. Auch in Wien sollten in Zukunft noch Gruppenpraxen und Einzelpraxen existieren dürfen. Wenn die wirtschaftliche Eigenverantwortung fehlt, geht auch viel von der unternehmerischen Initiative des einzelnen Arztes verloren. In Schweden, wo die Versicherungen private Anbieter von Gesundheitsleistungen seit 2005 vergüten, werden inzwischen schon 55% der Patienten von ihnen versorgt, in Finnland ca. 40%.“
Rebhandl sieht Freiberuflichkeit und neue Strukturen durchaus vereinbar. Allerdings müsse sich da auch in den Möglichkeiten der Organisation und der Finanzierung viel ändern: „Da muss man die Gründung von Gruppenpraxen wesentlich erleichtern. Abhängen wird es auch von den Anreizen.“ Dass Gruppenpraxen – wie in Oberösterreich – bei mehr Leistungen degressive Tarife haben, das dürfe es halt dann nicht mehr geben.

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