Rheumatoide Arthritis: Ehrgeizige Therapieziele

„Zeit ist Gelenk“

Die rheumatoide Arthritis (RA) ist die häufigste entzündlich-rheumatische Gelenkerkrankung und bedarf einer möglichst frühzeitigen Diagnosefindung und eines unmittelbaren Therapiebeginns mit einer Basistherapie, da dadurch das Ansprechen auf diese Behandlung verbessert wird. Patienten, bei denen eine RA bereits innerhalb der ersten zwölf Wochen nach Symptombeginn, also im Stadium der „very early rheumatoid arthritis“ (VERA) erkannt wird, haben die größte Chance auf eine Remission und den Stopp der radiologischen Progression.
„Das Ziel muss daher sein“, betont Prim. Univ.-Prof. Dr. Ludwig Erlacher, 2. Medizinische Abteilung mit Rheumatologie und Osteologie sowie Akutgeriatrie, SMZ Süd, Wien „dass Patienten mit Verdacht auf Vorliegen einer RA, vor allem jene mit Vorliegen einer Gelenksschwellung, möglichst rasch einem Rheumatologen vorgestellt werden.“ Dieser erfasst den Rheumastatus mit Hilfe einer eingehenden klinischen Untersuchung. Zusätzlich hilfreich kann die Bildgebung und Laborparameter einschließlich Rheumafaktoren oder den sogenannten CCP-Antikörpern sein. Wird die Diagnose bestätigt, wird sofort die Basistherapie, vorwiegend mit Methotrexat (MTX) eingeleitet.

Möglichkeiten der Frühdiagnose

„Entscheidend ist und bleibt die klinische Untersuchung des Patienten“, so Erlacher dezidiert. Es gestaltet sich allerdings schwierig, die RA in einem frühen Krankheitsstadium zweifelsfrei zu diagnostizieren, zumal beweisende Laborparameter nicht immer vorhanden sind. Auch die Bildgebung, die zwar unerlässlich für die Dokumentation und Abklärung länger bestehender Gelenkbeschwerden ohne erkennbare Ursache ist, ist für die Frühdiagnose oftmals nicht ausreichend, um eine RA bestätigen oder ausschließen zu können. Somit ist es durchaus möglich, dass Patienten mit Gelenkschwellungen, bei denen keine Rheumafaktoren im Blut nachweisbar sind und bei denen sich am Röntgen auch keine Gelenkzerstörung zeigt, an einer Früharthritis leiden. „Vice versa bedeutet das auch, dass Patienten, bei denen ein Rheumafaktor nachgewiesen werden kann, die aber noch keine Gelenkschwellungen haben, keine bzw. noch keine RA haben. Auch was die Bildgebung betrifft, ist der Nachweis einer Synovitis, also einer entzündliche Gelenksschwellung, in der Magnetresonanztomografie bei Patienten ohne Gelenksschwellung kein Indikator für eine Früharthritis“, gibt der Experte zu bedenken.
„Einen großen Beitrag zur Früherkennung der RA leisten Allgemeinmediziner und Orthopäden, die bei Gelenkschmerzen unklarer Genese an eine mögliche RA denken und einen Rheumatologen kontaktieren. Die umfangreiche klinische Erfahrung ist immer noch eine der wichtigsten Voraussetzungen, um eine RA im Frühstadium zu erkennen.“

Ziel ist die Remission

Mit den Standardbasistherapeutika und hier vor allem MTX in der Dosierung 25–30 mg kann die Krankheitsaktivität bei bis zu 40% der Patienten mit RA zufriedenstellend kontrolliert werden. Bei Patienten mit ausgeprägter Gelenkentzündung kann zusätzlich vorübergehend eine Cortison-Therapie angeboten werden.
Spricht der Patient nach drei vier Monaten auf diese Therapie nicht ausreichend an und hat idealerweise kein oder nur maximal ein geschwollenes Gelenk, muss entweder die Basistherapie gewechselt werden bzw. kann zusätzlich zur Basistherapie eine Biologikatherapie begonnen werden.
„Der Einsatz von Biologika hat die Behandlungsmöglichkeiten bei Patienten, die auf Standardbasistherapien nicht oder nicht ausreichend ansprechen bzw. diese nicht vertragen, deutlich erweitert und somit neue, ehrgeizige Therapieziele mitermöglicht“, so Erlacher. So ist das Ziel heute nicht mehr die minimale Reduktion der Krankheitsaktivität, sondern die Remission. Nach der Definition der ACR (American College of Rheumatology) und EULAR (European League Against Rheumatology) weist ein Patient in klinischer Remission nicht mehr als ein geschwollenes oder schmerzhaftes Gelenk auf – „ein wichtiges und unverändert ehrgeiziges Ziel bei der Erkrankung, die unbehandelt rasch Gelenkdestruktionen mit entsprechenden Einschränkungen der Beweglichkeit und in weiterer Folge Einschränkung der Arbeitsfähigkeit und der privaten Aktivitäten verursachen kann. Ist die Remission auch bei Ausschöpfung aller therapeutischen Möglichkeiten nicht zu erreichen, wird eine möglichst geringe Krankheitsaktivität angestrebt.
In der Praxis ist heute das Erreichen einer klinischen Remission ein großer Erfolg, zu dem die neuen therapeutischen Möglichkeiten genauso beitragen wie die intensive Zusammenarbeit vor allem zwischen Allgemeinmedizinern, Orthopäden und Rheumatologen“, hebt der Rheumatologe hervor.

Breite Biologikapalette

Neu ist, dass sämtliche Biologika mit Ausnahme des B-Zell-Hemmers Rituximab nach einem Therapieversagen von Methotrexat gegeben werden können. Das heißt, dass die fünf TNF-alpha-Blocker, der T-Zell-Aktivierungsantikörper Abatacept und der Interleukin-6-Rezeptor-Blocker Tocilizumab gleichwertig nach MTX gegeben werden können (Übersicht über zugelassene Biologika s. Tab.).
Die Datenlage lässt darauf schließen, dass die heute verfügbaren Biologika (auf Gruppenniveau) weitgehend vergleichbar wirksam sind. Patienten profitieren von der breiten Palette, die es ermöglicht, bei Nichtwirksamkeit eines Biologikums zu einem anderen zu wechseln. Derzeit gibt es keine Studien, die Argumente dafür liefern, die Therapie der RA mit einer bestimmten Substanz oder Substanzgruppe zu beginnen.
„Die neuen Behandlungsstrategien bei RA haben den Einsatz einer lange dauernden und hoch dosierten Steroidbehandlung zumeist überflüssig gemacht. Dadurch konnte das Auftreten von gefürchteten Komplikationen wie die Steroidosteoporose deutlich vermindert werden. Wesentlich für den Erfolg in der Praxis ist, die Therapie an den Krankheitsverlauf anzupassen und eine Erhöhung der Krankheitsaktivität so früh wie möglich zu erkennen. Dazu tragen neben der Aufklärung des Patienten vor allem regelmäßige klinische Kontrollen beim Rheumatologen bei!“, betont Erlacher.
Die praktische Erfahrung zeigt, dass Biologika bei entsprechender Indikationsstellung und sachgemäßer Anwendung weitgehend „sichere“ Medikamente darstellen, wobei auf gewisse Risiken und hier vor allem auf Infektionen unverändert ein besonderes Augenmerk gelegt werden muss. Das österreichische Gesundheitssystem ermöglicht allen Patienten mit RA, die ein Biologikum benötigen, den Zugang zu diesen Arzneimitteln. Die Verordnung durch Rheumatologen gewährleistet, dass die teuren Medikamente gezielt eingesetzt werden.

 

 

Biosimilars der Rheumatologie

Biosimilars sind, anders als Generika, nicht gleich wie das Originalpräparat, sondern sehr ähnlich. In der Rheumatologie sind Biosimilars bereits im Einsatz. Konkret handelt es sich dabei um das Infliximab-Biosimilar. In den kommenden Jahren wird es aber auch Biosimilars für für eine Reihe weiterer Biologica geben.
„Die Datenlage zeigt, dass Biosimilars in ihrer Wirksamkeit und auch bezüglich der Nebenwirkungen den Originalpräparaten gleichwertig sind. Es ist zu hoffen, dass durch den Einsatz von Biosimilars die hohen Therapiekosten doch reduziert werden können, so dass auf Grund der Wirtschaftlichkeit die Biosimilars eine positive Entwicklung in der Rheumatologie darstellen“, so Erlacher abschließend.

 

 

Geschlechtsspezifische Unterschiede
Gibt es bei rheumatischen Erkrankungen geschlechts-spezifische Unterschiede?
Ja. Frauen sind häufiger betroffen und leiden mehr darunter, wenn es um Häufigkeit, Ausprägung der Krankheitsbilder, Krankheitsverlauf und die gesundheitlichen Auswirkungen geht.
Von welchen rheumatischen Erkrankungen sind Frauenhäufiger betroffen als Männer?
  • Rheumatoide Arthritis (RA): Frauen erkranken zwei- bis dreimal häufiger an RA als Männer. Einen maßgeblichen Einfluss dürften Hormone haben.
  • Osteoarthrose: Frauen haben ein deutlich erhöhtes Risiko, an Kniegelenksarthrose oder auch Fingerpolyarthrose zu erkranken. Zudem leiden Frauen stärker unter Gelenkschmerzen sowie unter damit zusammenhängender psychischer Belastung als Männer mit derselben Erkrankung.
  • Systemischer Lupus erythematodes (SLE): Der SLE findet sich bei etwa 1 Promille der Bevölkerung und tritt zehnmal häufiger bei Frauen auf als bei Männern. Bei jungen Erwachsenen – nicht jedoch bei Kindern – ist dieses Verhältnis sogar noch weiter zu Ungunsten des weiblichen Geschlechts verschoben. Abgesehen von genetischen Faktoren spielen auch hier hormonelle Faktoren bei der Entstehung der Erkrankung eine große Rolle.
  • Fibromyalgie: Auch diese Erkrankung betrifft Frauen etwa sechsmal häufiger als Männer.
Gibt es rheumatische Erkrankungen, von denen Männer häufiger betroffen sind als Frauen?
  • Morbus Bechterew: Von dieser Erkrankung sind etwa doppelt so viele Männer betroffen wie Frauen. Zudem verläuft Morbus Bechterew bei Frauen meist deutlich milder als bei Männern.
Empfinden Frauen, die an rheumatischen Erkrankungen leiden, mehr Schmerzen?
Untersuchungen haben gezeigt, dass bei der rheumatoiden Arthritis Schmerzschwelle und Schmerzgrenze bei Frauen deutlich niedriger sind als bei Männern. Auch sind die Funktionseinschränkungen bei Frauen deutlicher ausgeprägt als bei Männern und nehmen beim weiblichen Geschlecht im Altersverlauf auch stärker zu. Begleiterkrankungen wie Depression und Angststörungen sind bei Frauen ebenfalls häufiger und können die Schmerzsymptomatik verstärken. Auf der anderen Seite entwickeln Frauen eher als Männer sehr gute Strategien, um mit Schmerzen umzugehen.