Sex nach Herzinfarkt? Use it or lose it!

Hintergrund

Bis zu 60% aller Frauen nach Herzinfarkt oder mit koronarer Herzkrankheit leiden an einer Sexualfunktionsstörung. Die Ursachen sind multifaktoriell: Die Störung der Endothelfunktion der weiblichen Genitalgefäße, vor allem im hypogastrischen kavernösen Gefäßbett, ist für eine verminderte Funktion des weiblichen Schwellkörpers verantwortlich1. Libidoverlust und Lubrikationsstörungen werden zusätzlich durch den postmenopausalen Östrogenabfall verstärkt. Die vaginale Trockenheit in Kombination mit verminderter genitaler Sensibilität ist besonders stark bei KHK-Patientinnen mit gleichzeitiger diabetischer Neuropathie ausgeprägt. Oft gehen Herzerkrankungen mit nachfolgender Angst, Depression und sozialer Vereinsamung einher, die durch den sexuellen Rückzug noch weiter verstärkt werden2. Eine Wiederaufnahme sexueller Intimität ist daher sowohl für das „psychische“ Wohlbefinden als auch für den Erhalt der „sexuellen Organfunktion“ besonders wichtig: Durch regelmäßigen Sport (z.B. Koronarsportgruppen), möglichst früh nach Herzinfarkt oder bei stabiler KHK kommt es zur Verbesserung der Endothelfunktion der koronaren, aber auch der Genitalgefäße3. Je früher sexuelle Aktivität wieder aufgenommen/probiert wird, desto eher kann eine Aufrechterhaltung/Wiederherstellung der Sexualfunktion erreicht werden – frei nach dem Motto „Use it or lose it“ (Tab. 1).

 

 

Beim sexuellen Akt ist eine Leistung von ca. 3–5 MET (metabolisches Äquivalent) oder 25–75 Watt notwendig. Das entspricht folgender Belastung: zwei Treppenabsätze in zehn Sekunden erklimmen, zwei Stockwerke im normalen Tempo hinaufsteigen, im Garten arbeiten, Golf spielen oder 1,6 km in 20 Minuten im Flachen gehen.
Es kommt nur selten zu einem höheren Blutdruckanstieg als systolisch 170 mmHg und einen Herzfrequenzanstieg über 140 bpm4. Daher kann allen klinischen stabilen Patientinnen mit niedrigem Risiko sexuelle Aktivität empfohlen werden (Tab. 1)5.
Angst vor einer „Angina d‘amour“ oder plötzlichem Herztod während des sexuellen Aktes ist unbegründet, da weniger als 1% aller akuten Herzinfarkte und 1,7% des plötzlichen Herztodes bei sexueller Aktivität auftreten6. Von den Betroffenen waren zudem 93% Männer, die zu 75% einen außerehelichen sexuellen Verkehr mit einer deutlich jüngeren Partnerin in ungewohnter Umgebung nach exzessiver Alkohol- und Nahrungsaufnahme durchführten7. Allen Patientinnen, die sich in einem instabilen Zustand (hohes Risiko) befinden (Tab. 2)5, wird empfohlen, von sexueller Aktivität bis zur Stabilisierung des Zustandsbildes Abstand zu nehmen.

 

 

Sexualfunktion und kardiovaskuläre Medikamente

Viele Klassen von kardiovaskulären Medikamenten stehen im Ruf, eine Sexualfunktionsstörung zu verursachen. Rezente Studien zeigen jedoch keinen klaren Zusammenhang: In einer Metaanalyse über 15.000 Fälle unter Blockertherapie und sexueller Funktionsstörung konnte lediglich bei fünf von 1.000 Männern eine Sexualfunktionsstörung gesehen werden8. Bei Frauen kann es unter Thiazid-Diuretika-Therapie und Spironolacton zu Lubrikationsstörungen bzw. Zyklusveränderungen kommen2, was eine Umstellung auf Eplerenon sinnvoll machen könnte.
Von der Substanzklasse der AT-II-Antagonisten scheint Valsartan einen eher positiven Effekt auf die sexuelle Funktion auszuüben9.
In jedem Fall sollte die Sexualfunktion vom behandelnden Arzt angesprochen und im Einzelfall auf ein anderes Präparat umgestellt werden, um ein selbstständiges Absetzen des Präparates zu verhindern.

Therapie der Sexualfunktionsstörung bei Herzpatientinnen

Wichtig ist es, den Patientinnen klarzumachen, dass die kardiovaskuläre Therapie gleichzeitig auch eine Therapie zur Aufrechterhaltung/Wiederherstellung der Sexualfunktion durch Reduktion der gemeinsamen Risikofaktoren, insbesondere Diabetes, ist und eine Lifestyle-Modifikation im Vordergrund steht.
Bei Patientinnen mit KHK sollte unbedingt eine Risikoevaluierung erfolgen, Patientinnen mit einem niederen Risiko (Tab. 1) wird man sexuelle Aktivität empfehlen. Die Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit von Tadalafil, Sildenafil und Vardenafil bei Männern mit kardiovaskulären Erkrankungen wurde in zahlreichen, kontrollierten Studien nachgewiesen6, 10. Für Frauen mit Erregungsstörungen konnte keine Wirkung eines PDE-5-Inhibitors gezeigt werden11. Bei verminderter Lubrikation und dadurch erhöhten Schmerzen während des Geschlechtsverkehrs ist eine lokale Östrogentherapie vernünftig und erhöht NICHT das kardiale Risiko12. Patientinnen mit einem hohen Risiko sollten von sexueller Aktivität Abstand nehmen, bis sich der Zustand stabilisiert hat. Patientinnen mit einem mittleren Risiko (mit drei oder mehr kardialen Hauptrisikofaktoren, einer moderate Angina Pectoris oder mit nichtkardialen Gefäßerkrankungen (Insult oder pAVK) sollten sich einer Belastungsdiagnostik (z.B. Fahrradergometrie) oder einer Bildgebung (multislice CT) zur Risikoevaluation unterziehen und je nach Ergebnis in niederes oder hohes kardiales Risiko eingeteilt werden.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass nach Herzinfarkt und bei KHK ein möglichst frühes Training sowohl der kardialen als auch der genitalen Gefäße die Wiederherstellung der Organfunktion fördert.
Alle Patientinnen mit niederem kardialem Risiko sollen sexuell aktiv sein und können auch mit lokalem Östrogen therapiert werden. Patientinnen mit hohem kardialem Risiko müssen zuerst stabilisiert werden, ein mittleres kardiales Risiko muss mittels Belastungstest evaluiert werden, bevor Verkehr uneingeschränkt empfohlen werden kann. Wichtig ist es, den Patientinnen und ihren Partnern die Angst vor der Sexualität zu nehmen und die gemeinsame Lebensqualität wiederherzustellen.

 

Referenzen:
1 Miner M et al., Cardiometabolic Risc Factors and female sexual health: the Princton III summery. J of Sex. Med. 2012 Mar; 9 (3):641–51
2 Steinke EE et al., The role of sexual satisfaction, age, and cardiac risk factors in the reduction of post-MI anxiety
3 Esposito K et al., Effect of lifestyle changes on erectile dysfunction in obese men: a randomized controlled trial.JAMA. 2004 Jun 23; 291(24):2978–84
4 Cheitlin MD et al. Sexual activity and cardiac risk. Am J Cardiol. 2005 Dec 26;96
5 Levine GN et al., Sexual activity and cardiovascular disease: a scientific statement from the American Heart Association. Circulation. 2012 Feb 28; 125(8):1058–72
6 DeBusk RF, Efficacy and safety of sildenafil citrate in men with erectile dysfunction and stable coronary artery disease. Am J Cardiol. 2004 Jan 15; 93(2):147–53
7 Dahabreh IJ, Paulus JK, Association of episodic physical and sexual activity with triggering of acute cardiac events: systematic review and meta-analysis.JAMA. 2011 Mar 23; 305(12):1225-33. doi: 10.1001/jama.2011.336. Review
8 Ko DT et al., Beta-blocker therapy and symptoms of depression, fatigue, and sexual dysfunction. JAMA. 2002 Jul 17; 288(3):351–7
9 Düsing Ret al., Effect of the angiotensin II antagonist valsartan on sexual function in hypertensive men. Blood Press Suppl. 2003 Dec; 2:29-34
10 Jackson G, Kloner RA, Costigan TM, Warner MR, Emmick JT, Update on clinical trials of tadalafil demonstrates no increased risk of cardiovascular adverse events.J Sex Med. 2004 Sep; 1(2):161–7
11 Chivers ML, Rosen RC, Phosphodiesterase type 5 inhibitors and female sexual response: faulty protocols or paradigms? Sex Med. 2010 Feb; 7(2 Pt 2):858–72
12 Cherry N et al., Oestrogen therapy for prevention of reinfarction in postmenopausal women: a randomised placebo controlled trial. Lancet. 2002 Dec 21-28; 360(9350):2001–8

Sexualmedizin trifft Kardiologie
Sa, 13. 4. 2013 von 9.00–13.00
AfSG, Heiligenstädter Straße 50–52/1/2/6, 1190 Wien
Anmeldung erforderlich unter: www.afsg.at
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