Sparpolitik mit der Abrissbirne

„Zum dritten Mal innerhalb von zehn Jahren plant die Bundesregierung eine grundlegende Gesundheitsreform. Im Fokus der aktuellen Pläne von Regierung, Ländern und Sozialversicherung stehen allerdings nur die Themen: Einsparen, Zentralisieren, Einfluss sichern. Damit verwirft die Regierung ihr eigenes Programm aus dem Jahr 2008“, kritisiert ÖÄK-Präsident Dr. Artur Wechselberger. Im Regierungsprogramm für die 24. Gesetzgebungsperiode von 2008–2013 lesen sich nämlich die Vorhaben für unser Gesundheitssystem noch so: „Erstellung nationaler Gesundheitsziele insbesondere für die Bereiche Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs, Demenz, Diabetes, Übergewicht, Bewegung, Ernährung und psychische Gesundheit.“ Wechselberger: „2012 sollen diese Vorhaben, deren Umsetzung noch nicht einmal im Ansatz angegangen wurde, ebenso in der Versenkung verschwinden wie die Erarbeitung und Umsetzung eines Hausarztmodells und bedarfsorientierter, neuer ambulanter Versorgungsangebote niedergelassener Ärzte. Als Teil des Sparpakets opfert die Regierung wesentliche Versorgungsziele und nennt das Ganze beschönigend Gesundheitsreform.“

Die Mittel und Finanzzieleder Gesundheitsreform

ÖÄK-Vizepräsident Dr. Karl Forstner, Salzburg: „Dass sich die österreichische Politik zu diesem Zweck das Gesundheitswesen ausgesucht hat und nicht etwa die maroden Banken mit ihren selbstverschuldeten Pleiten oder den Tunnelbau, scheint ebenso willkürlich wie kurzsichtig.“
Bis zum Jahr 2016 sollen im Gesundheitssystem insgesamt 3,4 Milliarden Euro eingespart werden, indem die Dynamik der öffentlichen Gesundheitsausgaben an das Wachstum des Bruttoinlandssproduktes (BIP) und nicht an den prognostizierten Bedarf gekoppelt wird. Dabei wird eine Obergrenze von maximal 3,6% eingezogen. 60% des Sparzieles (2,04 Milliarden) sollen die Spitäler, 40% (1,36 Milliarden) die Krankenkassen erbringen. Hochgerechnet auf das Jahr 2020 ergibt sich eine Einsparsumme von 11 Milliarden Euro.

Die Änderungen für die Ärzteschaft

Die angestrebte Einsparreform im Gesundheitswesen wird zu tief greifenden Veränderungen der ärztlichen Tätigkeit im öffentlichen Gesundheitssystem führen – mit zwei zentralen Folgen, befürchtet Forstner, vor allem eine „Aushöhlung der ärztlichen Freiberuflichkeit und Einschränkungen der ärztlichen Selbstverwaltung.“

Im Detail ist Folgendes geplant:

  • Gesamtbudgetierung der öffentlichen Gesundheitsausgaben, Deckelung des niedergelassenen und des Spitalsbereiches.Die Reduktion der Mittel wird unweigerlich das Leistungsspektrum einschränken. Kriterium ist der Plan und nicht der Bedarf, der sich aufgrund der Demografie, des zunehmenden Anteils von älteren und multimorbiden Menschen, der Epidemiologie oder des medizinischen Fortschrittes ergibt. Warteschlangen und Wartezeiten sind das Ergebnis.
  • Zielsteuerung durch neue bürokratische Strukturen, konsequentes Monitoring, lückenloses Berichtswesen und strenge Sanktionen bei Verfehlung der Vorgaben. Die Letztentscheidung erfolgt durch das Gesundheitsministerium. Finanzziele und Bürokratie werden zu beherrschenden Größen im Gesundheitssystem.

Die niedergelassenen Ärzte sind durch folgende Maßnahmen besonders betroffen:

  • Eingriffe in die Honorar- und Tarifautonomie der Selbstverwaltung von Ärzten und Sozialversicherungen durch staatliche Behörden. Möglichkeit zur Auflösung bestehender Ärzteverträge, potenzielle Unterwanderung des Gesamtvertragsrechtes nach ökonomischen Kriterien.
  • Planung von Kassenarztstellen durch die Behörde. Sie entscheidet, welche Ärzte zu welchen Konditionen wie und wo arbeiten. Forstner: „Damit wird das bedarfsbasierte, von objektiven Kriterien getragene Auswahlverfahren von Krankenkassen und Ärztekammern ausgehebelt!“
  • Die Ordinationsevaluierung soll durch eine zentrale Bürokratie im unmittelbaren Einflussbereich des Gesundheitsministeriums vorgenommen werden. Staatliche Administration statt Qualitätssicherung, die durch ärztliche Expertise getragen ist.
  • Ergänzt werden diese Ansätze zu ausgabengesteuerter Verstaatlichung und straffem Dirigismus durch potenziell auswuchernde Richtlinienmedizin, Leitlinien und enges Medikamentenregime, was zu einer Abkehr von individueller Behandlung der Patienten führt. Die Zukunft liegt in der preisgünstigen Einheitsbehandlung; Resultat ist eine empfindliche Störung des höchstpersönlichen Vertrauensverhältnisses zwischen Patient und Arzt.
  • Die Spitäler sollen verstärkt für die ambulante Versorgung herangezogen werden. Damit kann den Krankenhäusern frisches Geld der Krankenkassen für neue „Geschäftsfelder“ zugeführt werden. Konsequenz ist die weitere Belastung der Spitalsambulanzen und der Ärzte in den Spitälern. Konkurrenzierung insbesondere der niedergelassenen Fachärzte.

Forstner: „Durch Bürokratie, Behandlungsdirigismus und auferlegte ökonomische Zwänge sinkt weiterhin die Attraktivität, sich in einer fachärztlichen oder allgemeinmedizinischen Ordination niederzulassen.“
Auch die Folgen für das Spitalswesen sind drastisch: „Die Einsparungen im niedergelassenen Bereich führen zu verstärktem Einsatz der Spitäler in der ambulanten fachärztlichen Gesundheitsversorgung“, meint Forstner. „Die Patienten weichen zwangsläufig auf die Ambulanzen aus, die bereits jetzt hoffnungslos überlaufen sind. Dadurch ergibt sich eine weitere Verdichtung der Arbeitszeit für die Spitalsärzteschaft.“ Ärzte könnten aber nicht schneller arbeiten – die Prozesse im Krankenhaus würden trotz Sparkurs gleich lang dauern. „Derartig massive Sparmaßnahmen werden zweifelsfrei auch Krankenhausstandorte gefährden. Multistandortspitäler bzw. dislozierte Einrichtungen wie von Spitälern betriebene Facharzt-Zentren führen dazu, dass die Ärzte zwischen mehreren Standorten wechseln müssen. Die schlechten Arbeitsbedingungen würden außerdem dazu führen, dass gute Mediziner ins Ausland abwandern. Darüber hinaus befürchtet die Ärztekammer, dass ihr die Zuständigkeit für die ärztliche Ausbildung entzogen werden soll – „Ein Skandal!“, meint Wechselberger.
Auch die einzelnen Bundesländer befürchten massive Konsequenzen in der Gesundheitsversorgung – was die Einschnitte z.B. für die Steiermark bedeuten könnten, zeigen konkrete Beispiele: Die Reduktion von 350 Millionen Euro entspricht 14-mal dem geplanten Neubau der Abteilung für Innere Medizin am Gelände der LSF, die notwendig würde, wenn das LKH Hörgas verkauft werden soll. Der jährliche Anteil der Kostenreduktion entspricht 520 Kassenstellen für Allgemeinmedizin (von denen es derzeit 615 gibt) oder 355 fachärztlichen Kassenstellen (derzeit 372). Der Präsident der Steirischen Ärztekammer, Dr. Herwig Lindner, spricht von einer „Sparpolitik mit der Abrissbirne“.
Der Präsident der Kärntner Ärztekammer, Dr. Josef Huber, befürchtet, dass „Kärnten ein Hauptopfer der Umbaupläne zu werden droht. Das hängt mit der ungünstigen demografischen Entwicklung unseres Landes zusammen. Wir haben einen größeren Anteil an älteren Menschen, und gleichzeitig beklagen wir die Abwanderung vieler junger Menschen. Diese Ausgangsposition bedeutet, dass in Kärnten mehr Gesundheitsleistungen notwendig sind als im Österreichschnitt. Wenn in Zukunft alle Angebote in den Spitälern und bei den niedergelassenen Ärzten von einer zentralen Zielsteuerungskommission geplant werden, befürchten wir, dass die regionalen Bedürfnisse nicht mehr beachtet werden.“
Wenn bundesweit bis 2016 3,4 Milliarden Euro weniger als geplant ausgegeben werden dürfen, entfiele auf Kärnten ein Anteil von ca. 225 Millionen Euro. „Das würde bedeuten, dass die Landesspitäler in vier Jahren ca. 135 Millionen Euro sparen müssten – ein Jahresbudget des LKH Villach –, und die Gebietskasse sollte ca. 90 Millionen Euro weniger ausgeben. Eine Summe, die die Kasse derzeit pro Jahr für alle ih
re Vertragsärzte ausgibt“, rechnet Huber vor.
Oberösterreich müsste bis 2016 einen Anteil von 582 Millionen Euro übernehmen. Der Präsident der Oberösterreichischen Ärztekammer, Dr. Peter Niedermoser: „Das entspricht in etwa dem Gegenwart der Personalkosten aller fondsfinanzierten Krankenanstalten in OÖ für ein halbes Jahr oder der Honorare für die Vertragsärzte der OÖ GKK für gut zweieinhalb Jahre!“
Die Österreichische Ärztekammer hat eine Forderungskatalog entwickelt (s. Kasten).
Trotz heftiger Kritik aus der Ärztekammer ist mittlerweile im Nationalrat die Einführung der Elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) beschlossen worden – im Wesentlichen von SPÖ und ÖVP. 171 Stimmen wurden abgegeben, 102 waren für, 69 gegen ELGA. Wechselberger fordert vehement Nachbesserungen.


Für den 21. November 2012 von 14.00 bis 16.30 Uhr wurde in 1070 Wien, Museumsquartier, Museumsplatz 1, Halle E ein österreichweiter Protestkonvent einberufen.


 

Forderungen der Ärztekammer
  • Durchführungskompetenz der Ärztekammer im Bereich der ärztlichen Ausbildung
  • Umsetzung und Einhaltung des Turnusärzte-Tätigkeitsprofils der ÖÄK in allen Spitälern
  • Liberales, bedarfsgerechtes Niederlassungsrecht. Berücksichtigung der zunehmenden Feminisierung des Arztberufes, Work-Life-Balance
  • Förderung der Gesundheitsversorgung durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte im unmittelbaren Wohn- und Lebensumfeld der Menschen
  • Zeitgemäße ärztliche Kooperationsformen
  • Hausarztmodell und Reform der praktischen ärztlichen Ausbildung insbesondere zur Allgemeinmedizin
  • Lehrpraxenförderung
  • Stellenplanung und Honorierung müssen weiter in der gesamtvertraglichen Regelungsautonomie bleiben
  • Qualitätsmanagement der Ordinationen durch ÖQmed – ärztliches Wissen statt staatlicher, finanzgelenkter Bürokratie
  • Entlastung der Spitalsambulanzen
  • Strikte Einhaltung der Arbeitszeitbestimmungen in den Spitälern
  • Keine patientenferne Zentralisierung der Steuerung im Gesundheitswesen
  • Einbindung der Ärztekammer bei der Neugestaltung der Versorgungsprozesse und Versorgungsstrukturen
  • Klare Trennung der Finanzierung des niedergelassenen Bereiches einschließlich der Ambulanzen (Sozialversicherung) und des stationären Sektors (Steuermittel). Transferfonds im Ausmaß der durch Leistungsverlagerung in den niedergelassenen Bereich erzielten Ersparnisse

 

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