Streitpunkt „operierende Krankenschwestern“

Ein brisantes Papier. „Gesundheits- und Pflegeberufe: Konkretisierung der Reformansätze“, lautet der Titel des „Erstentwurfes“ eines Konzepts aus dem Juni 2013, das bis ins nächste Jahr hinein von „Gesundheit Österreich“, dem Think-Tank des Gesundheitsministeriums, in dessen Auftrag erstellt werden soll.

Arzneimittel verordnen, operieren, Narkose durchführen

Die Fakten: Auf mehr als 60 Seiten wird in dem Report einerseits das Szenario eines künftigen Berufsbildes des Krankenpflegepersonals mit vertiefter Ausbildung entworfen, andererseits – und das ist der Knackpunkt – eine deutliche Kompetenz-erweiterung für das Pflegepersonal angestrebt („… wenn Kernaufgaben anderer Berufe übernommen“ werden).

Doch was bei vielen Ärztevertretern das Fass überlaufen ließ, ist in dem Erstentwurf die angefügte Tätigkeitsliste. Da finden sich zum Beispiel:

  • Standardisierte medizinische Befunde (z.B. Röntgenbilder, Interventionsbefunde, OP-Berichte) interpretieren und daraus Konsequenzen für weitere Vorgangsweise im Rahmen der chirurgischen Assistenz ableiten.
  • Chirurgische Assistenz (1. und 2. Assistenz):
    • Die Kameraführung bei endoskopischen Eingriffen übernehmen.
    • Venenentnahmen im Rahmen der Viszeralchirurgie (z.B. Bypass-, Varizenchirurgie).
    • Das Operationsgebiet öffnen (u.a. Hautschnitt).
    • Das Operationsgebiet situationsgerecht durch den Einsatz von Retraktoren, Haken und Händen darstellen.
    • Den schichtweisen Wundverschluss durchführen (Klammern setzen, nähen, kleben).
    • Definierte operative Eingriffe durchführen (Exstirpation von Lipomen und Atheromen, Inzisionen bei Abszessen.
    • Bei definierten operativen Eingriffen die Lokalanästhesie setzen/verabreichen.
    • Bei Medikamentenallergien Alternativen vorschlagen/aufzeigen.
  • Nephrologie: Dialyseverfahren selbstständig durchführen und evaluieren
  • Anästhesie/Intensivpflege.
    • Durchführung des Weaning bei künstlicher Beatmung
    • Bei Patienten mit niedrigem Risiko (ASA I, ASA II) Anästhesieverfahren bei Patienten aller Altersklassen selbstständig durchführen.
  • Pharmakologie: Einsatz einer adäquaten Schmerztherapie, selbstständig medikamentöse und nicht-medikamentöse Schmerztherapie durchführen

Auftrag vom Gesundheitsministerium – Bedarf

Eindeutig ist der Auftrag vom Gesundheitsministerium. „Bundesministerium für Gesundheit, Sektion II, Abteilung A/2 – Allgemeine Gesundheitsrechtsangelegenheiten und Gesundheitsberufe“, nannte Ingrid Rottenhofer, Projektkoordinatorin beim GÖG, von der Ausbildung her Diplomkrankenschwester, den Auftraggeber.
Die Expertin in einer schriftlichen Stellungnahme zum Bedarf für solche Projekte: „Die Bedarfslage ergibt sich aus einer sehr vielschichtigen Betrachtung des Status quo der Ausbildungen in Referenz zu unter anderem demografischen, epidemiologischen, bildungspolitischen und internationalen Entwicklungen. Darüber hinaus zeigte eine umfassende Literaturrecherche eine breite Palette von internationalen im Rahmen der Gesundheits- und Pflegeversorgung wahrgenommenen Versorgungskonzepten und Rollen von Pflegepersonen, die bedarfsorientiert in einer starken Differenzierung der Berufsbilder zum Ausdruck kommt.“

Advanced Nurse Practitioner

Keine Frage, in dem Erstentwurf wurden jedenfalls – so auch Rottenhofer – bei den möglichen erweiterten Agenden für das Krankenpflegepersonal zahlreiche, vor allem aus West- und Nordeuropa stammende Modelle übernommen (Wound Care Nurses, Diabetes Care Nurses etc.): „In Österreich haben sich bereits seit Jahrzehnten diese Spezialsierungen auf Ebene von Weiterbildungen etabliert, die Weiterentwicklung (…) in Richtung Advanced Nurse Practitioner ist die logische Konsequenz. Basis dafür lieferte das Kompetenzmodell für Pflegeberufe des International Council of Nurses (ICN) sowie unterschiedliche Länderkonzepte anderer Länder, wie unter anderem USA, Belgien, Deutschland, Schweiz.“

Absolut untragbar

Genug, um buchstäblich jede Menge Ärztevertreter auf die Palme zu bringen. Dr. Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK): „Wir sehen uns das sehr, sehr strukturiert an. Bisher erscheint das absolut untragbar. (…) Es mag manche Dinge schon in anderen Ländern geben. Aber das wurde zusammengefasst, ohne auf die Strukturen in Österreich Rücksicht zu nehmen, ohne Qualitätssicherung und ohne Rücksicht auf die Organisationsabläufe. In Deutschland hat man mit Narkoseschwestern einen Versuch gemacht. Aber nach den ersten Zwischenfällen hat man das schnell wieder abgestellt.“
Ganz ähnlich auch Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres, Präsident der Wiener Ärztekammer: „Wir haben zu wenige Schwestern und zunehmend auch zu wenige Ärzte. Eine 30-jährige Diplomkrankenschwester verdient mehr als ein 30-jähriger Arzt.“
Der Standesvertreter weiter: „Die Diplomkrankenschwestern und -pfleger werden oft an ihrer Tätigkeit gehindert, weil es zu wenige Hilfskräfte gibt und sie Essen austragen oder Betten reinigen müssen. Man hat solche Systeme in Ländern mit einem massiven Ärztemangel etabliert. Aber ich möchte von jemandem behandelt werden, der bestausgebildet ist. Venen zu entnehmen, Zugänge freilegen, Bäuche zunähen – das sind keine Hilfstätigkeiten. Das ist nicht nur Handwerk.“

Rahmenbedingungen für Ärzte verbessern

Dr. Herwig Lindner, Präsident der steirischen Ärztekammer, knüpfte im Gespräch mit der Ärzte Krone eine Verbindung zur Gesamtlage des österreichischen Gesundheitswesens. Unverständlich sei, wie man in der derzeitigen Situation dem Krankenpflegepersonal noch mehr Agenden übertragen wolle: „Es gibt ja einen Schwesternmangel. Und wir werden in Zukunft mehr Pflegepersonal als bisher brauchen.“
Es zeige sich, so Lindner, dass man offenbar auch daran denke, „in der Peripherie“, wo eine immer schlechtere ärztliche Versorgung drohe, einen Teil der ärztlichen Aufgaben dem Krankenpflegepersonal zu übertragen: „Wenn die Politik da nachgeordnete Berufsgruppen mit solchen Agenden betraut, ist das sicher der falsche Weg. Sie sollte hingegen für eine bessere, statt ständig schlechter werdende Ausbildung der jungen Ärzte sorgen, für bessere Arbeitsbedingungen und für bessere Verdienstmöglichkeiten.“ Mayer und Lindner praktisch unisono auch auf folgendes Faktum: Der Paragraf 15 des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes definiere ja jetzt schon einen „mitverantwortlichen Tätigkeitsbereich“.
Mayer: „Wir sollten zunächst einmal die Möglichkeiten, die es über die derzeitigen gesetzlichen Regelungen gibt, ausnützen. Solange sich Angehörige des Pflegepersonals weigern, einen Venflon mit Kochsalzlösung zu spülen, Infusionen zu setzen oder Blut abzunehmen, benötigt man nicht eine derartige Ausweitung der Tätigkeiten des Pflegepersonals.“

„Wer pflegt dann noch?“

Nationalratsabgeordneter Dr. Erwin Rasinger griff inzwischen zum Mittel einer parlamentarischen Anfrage an Gesundheitsminister Alois Stöger. Gegenüber der Ärzte Krone erklärte er: „Man hat den Eindruck, als hätte man da alles zusammengeschrieben, was es irgendwo auf der Welt gibt. In den vergangenen 25 Jahren hat das Diplomkrankenpflegepersonal immer gesagt, es will mit ärztlichen Tätigkeiten gar nichts zu tun haben. In Großbritannien gibt es vielleicht eine Diabetes Nurse, eine Wound Nurse, aber für uns ist das nichts. Obwohl Blutabnahmen durch das Krankenpflegepersonal möglich wären, haben wir Dozenten, die das tun müssen. Zu fragen ist auch: ‚Wer pflegt dann noch?‘“

Konsens möglich?

In der letzten Septemberwoche fand in Wien eine erste Gesprächsrunde der Bundesfachgruppenobleute der ÖÄK mit den für die Initiative GÖG-Verantwortlichen statt. Mayer: „Es gab auf Seiten der Ärzte breite Ablehnung. Das Papier wird überarbeitet. Dann soll es an alle Bundesfachgruppen der ÖÄK gehen.“
Auf die Frage, ob man einen Konsens erzielen wolle, erklärte Rottenhofer: „Bis zur Fertigstellung des Konzeptes wird Konsens angestrebt. Ist dieser nicht herzustellen, ist laut Auftraggeber zu den strittigen Punkten eine vertiefte Evidenzrecherche durchzuführen und weiterer Dissens mit Begründung auszuweisen.“