Substitutionsbehandlung und Schmerztherapie

„Legt man eine Zahl von ca. 15.000 Patienten in Substitutionsprogrammen (ÖBIG 2011) sowie eine Prävalenz chronischer Schmerzen von 20% in der Bevölkerung zugrunde, so ist in Österreich mit mindestens 3.000 Substitutionspatienten mit chronischen Schmerzen zu rechnen“, beziffert OA Dr. Wolfgang Jaksch (Oberarzt an der Abteilung für Anästhesie, Intensiv- und Schmerzmedizin, Wilhelminenspital Wien) die Größenordnung des betroffenen Patientenkollektivs. Als mögliche Ursachen können Mangelernährung (vor allem Vitamin-B-Mangel) sowie HIV- oder Hepatitis-C-Infektionen direkt oder indirekt zur Entstehung von Schmerzzuständen führen, wobei häufig neuropathische Schmerzen im Vordergrund stehen.

Opiatbedingte Phänomene

Eine längerfristige Einnahme von Opiaten führt – neben der körperlichen Abhängigkeit – zu zwei Phänomenen: Einerseits entsteht aufgrund von Desensibilisierung eine Toleranz gegenüber der analgetischen Wirksamkeit von Opiaten, die sich meist auch auf andere Opiate ausdehnt (Kreuztoleranz); andererseits kommt es aufgrund einer opioidinduzierten Sensibilisierung zu einer Absenkung der Schmerzschwelle und der Schmerztoleranz. Beide Phänomene gemeinsam tragen bei Opiatabhängigkeit dazu bei, dass die Wirkung von Opioidanalgetika schwächer ist oder gänzlich fehlt.
Vor Beginn einer Schmerztherapie ist bei opiatabhängigen und substituierten Patienten abzuklären, ob es sich tatsächlich um chronische Schmerzen handelt oder ob diese vorgetäuscht werden, wie Jaksch erläutert. Hinweise bietet die Beobachtung, ob der Patient für beliebige Therapieoptionen offen ist oder aber auf einer Therapie mit Opiaten beharrt.

Geeignete Therapieformen

Aufgrund der häufig neuropathischen Schmerzkomponente bei Substitutionspatienten ist das WHO-Stufenschema in diesem Kollektiv kaum anwendbar. So ist der längerfristige Einsatz von Analgetika der Stufe 1 laut WHO-Schema (insbesondere NSAR) aufgrund des Risikos für gastrointestinale, aber auch kardiale und renale Nebenwirkungen problematisch. Anstelle von NSAR kommen hier primär Antidepressiva oder Antikonvulsiva zur Anwendung, wobei auf Neben- und Wechselwirkungen mit dem Opioid der Substitutionsbehandlung zu achten ist.
„Opioide sollten bei Suchtpatienten möglichst nur in Kooperation von Sucht- und Schmerzspezialisten als Schmerztherapeutika eingesetzt werden“, betont Jaksch. Die Auswahl erfolgt anhand der pharmakologischen Wirkungen des jeweiligen Präparates am Opiatrezeptor (siehe Tab.).

 

 

Einen neuen Therapieansatz bei fokalen oder distal betonten Neuropathien stellt die topische Applikation dar, da es aufgrund der minimalen systemischen Absorption auch zu einer Verminderung oder Vermeidung der systemischen Neben- und Wechselwirkungen kommt. Für diese Form der Verabreichung kommen die einmalige Anwendung von hoch dosiertem Capsaicin oder die regelmäßige Applikation von Lidocain infrage.
Aus der Palette der invasiven Behandlungsoptionen nennt Jaksch insbesondere einfachere Methoden wie Infiltrationen oder röntgengezielte Nervenblockaden, die genutzt werden sollten. Vor dem Einsatz komplexerer Verfahren wie Spinal Cord Stimulation oder implantierten Schmerzpumpen sei eine psychologisch-psychiatrische Abklärung erforderlich.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass eine exakte Diagnose, ein kooperativer Patient und Geduld („trial and error“) zum Erfolg einer medikamentösen Schmerztherapie beitragen.

Quelle: 15. Substitutionsforum, Mondsee 14.–15. 4. 2012