Was gibt es Neues in der Urologie?

Ärzte Krone: Der EAU 2012 hatte einen uroonkologischen Schwerpunkt. Würden Sie zu den folgenden Tumorentitäten für die Praxis relevante Schlüsselaussagen tätigen?


WALTER KOZAK: Prostatakarzinom (lokal, fortgeschritten): Beim lokalen PCA nimmt die Aufklärung zu sämtlichen Therapieoptionen für die Praxis einen wesentlichen Stellenwert ein. Insbesondere die Aufklärung zur Active-Surveillance-Strategie, ihre Indikationsstellung und die weitere Betreuung des Patienten wird in Zukunft eine der Schlüsselaktivitäten in der urologischen Praxis darstellen (PIVOT-Studie).

Das fortgeschrittene Prostatakarzinom wird aufgrund der zahlreichen neuen und von den Patienten sehr gut tolerierten Therapien (Abirateron, MDV 3100, Denosumab etc.) noch mehr und länger in der urologischen Praxis therapierbar sein. Die neuen Therapien werden der Chemo- und Strahlentherapie zunehmend den Rang ablaufen.

Nierenzellkarzinom


In Zukunft werden vermutlich nicht alle zufällig entdeckten Nierentumore, insbesondere bei älteren Patienten, sofort entfernt werden müssen. Dazu wird es notwendig sein, moderne Biomarker und zellgenetische Untersuchungen in die pathohistologische Aufarbeitung von Biopsaten zu implementieren (Multicolor Fluorescence in situ Hybridisation, FISH).

Harnblasenkarzinom


In der Praxis gibt es nach wie vor keine relevanten Tests bzw. Marker für die Diagnose von Harnblasenkarzinomen als Alternative zur Zystoskopie und Harnzytologie. Verbesserungen in der Diagnostik von flachen Läsionen könnten durch Anwendung des NBI (Narrow Band Imaging) erzielt werden. Unverändert gilt, dass muskelinvasive Karzinome möglichst früh einer radikalen Zystektomie unterzogen werden.
Die Ergebnisse sind auch für ältere Patienten nicht nur hinsichtlich des Gesamtüberlebens, sondern auch hinsichtlich der Lebensqualität deutlich günstiger als bei Strahlentherapie (mit und ohne Chemotherapie).

Hodentumor


Nachdem die risikoadaptierte Therapie bei den malignen Hodentumoren eine in den EAU-Leitlinien anerkannte Strategie ist, stellt nicht nur die leitliniengerechte Tumornachsorge in der urologischen Praxis eine Herausforderung dar, sondern auch das Monitoring der Patienten hinsichtlich Spätfolgen (erhöhte kardiovaskuläre Morbidität, Testosteronmangel und metabolisches Syndrom, erhöhtes Risiko für Zweitmalignome etc.) nach Chemo- und Strahlentherapie.

Peniskarzinom


Das Peniskarzinom ist zwar ein sehr seltenes urologisches Malignom, gerade deshalb ist aber die Früherkennung besonders wichtig, da nur dadurch lokale Therapiemaßnahmen mit möglichst geringer Beeinträchtigung der Organintegrität gewährleistet werden können.

Ein Thema sind mittlerweile so genannte Cancer Surviver geworden. Sehen Sie selbst in der Ordination geheilte Krebspatienten (z.B. Hodentumor), die mit Langzeitfolgen konfrontiert sind?

Dass Krebspatienten, v.a. nach Chemound-Strahlentherapie, über die „Heilungsfrist“ ihres Malignoms hinaus regelmäßigen Kontrollen unterzogen werden sollten, ist nicht neu. In der urologischen Praxis sehe ich in vermehrtem Ausmaß Hodentumorpatienten, die nach Chemo-, Strahlen und/oder retroperitonealer Lymphadenektomie zwar als geheilt gelten, jedoch unter Spätkomplikationen der mitunter nun schon Jahrzehnte zurückliegenden Therapien leiden.
Darüber hinaus kommen metachrone Mehrfachmalignome auch bei uroonkologischen Patienten gehäuft vor.

 

PSA-Messung: Wie sieht Ihrer Meinung nach ein intelligenter Einsatz des PSA bei der Primärdiagnostik, dem Therapieentscheid und der Nachbeobachtung aus.

Wir wissen heute, dass die PSA-Dynamik einer der wesentlichen Faktoren für die Interpretation des PSA-Wertes und für die Initiierung weiterer diagnostischer Schritte (Biopsie) ist. Normwerten (altersadaptiert) sowie fixen Grenzwerten sollte daher nur im Rahmen der Erstbestimmung ein gewisser orientierender Stellenwert im Rahmen des opportunistischen Screenings zur Früherkennung beigemessen werden.
Die Entscheidung für eine Rebiopsie der Prostata könnte in Zukunft durch die 2-Pro-fPSA-Bestimmung und die Errechnung des Prostate Health Index (phi) erleichtert werden.
Im Rahmen der Nachbeobachtung bei diagnostiziertem/behandeltem Prostatakarzinom kommt der PSA-Doubling-time (PSADt) eine erhöhte Bedeutung zu.

Wurden bezüglich überaktiver Blase praxisrelevante Erkenntnisse präsentiert? Welche Behandlungsansätze bzw. neuen Medikamente finden Sie interessant?

Die Entwicklung neuer Medikamente und Therapieansätze ist für die Tätigkeit in der urologischen Praxis ungeheuer wichtig, da wir häufig die hohen Erwartungen unserer Patienten mit der sehr quälenden OAB (overactive bladder syndrom)-Symptomatik nicht erfüllen können. Ein neues M3-Subtyp-selektives Anticholinergikum, Imidafenacin, wird vermutlich auch in Europa das Spektrum der verfügbaren Substanzen ergänzen. Beta-3-Agonisten (Mirabegron) könnten bei Patienten nach Abschluss des fortpflanzungsfähigen Alters (wann ist das bei Männern?) eine vielversprechende Alternative für Therapieversager werden. PDE-5-Inhibitoren sind eventuell als Adjuvans in der LUTS (lower urinary tract syndrome)-Therapie bei Männern hilfreich. Weiters gibt es immer bessere Daten zum Einsatz von Onabotulinumtoxin A sowohl bei neurogen verursachter als auch idiopathischer Detrusorüberaktivität.

Welche wichtigen Aspekte für den praktischen Alltag konnten Sie hinsichtlich der BPH mitnehmen?

Diesbezüglich gab es kaum neue Erkenntnisse.

Einige Arbeiten wurden zur ED präsentiert, z.B. zur Wirkung von Tamsulosin oder Tadalafil zur Therapie der ED bei LUTS-Patienten (BPH-bedingt). Andere Arbeiten beschäftigen sich mit dem am Tiermodell gezeigten Potenzial der Stammzellentherapie. Welche Patienten sehen Sie, und wie behandeln sie diese?

Ich sehe natürlich wie alle meine Kollegen sehr häufig Männer mit LUTS, obstruktiver Prostatahyperplasie und gleichzeitig bestehender erektiler Dysfunktion. Dass, wie den präsentierten Studien entnommen werden kann, in diesen Fällen möglicherweise Tadalafil in Kombination mit einem uroselektiven Alphablocker auch eine Verbesserung des LUTS herbeiführen könnte, wäre für die Patienten wünschenswert. Realistischerweise ist jedoch mit einer Kassenrefundierung von Tadalafil nicht zu rechnen und bei der kostenbedingt eher sporadischen Verwendung dieser Medikamente von einem durchgehenden Erfolg nicht auszugehen.

Haben Sie ein persönliches Fazit vom EAU 2012 in Paris?

Die Entwicklungen im Bereich der minimalinvasiven Chirurgie gehen unvermindert weiter, sodass man sich in zunehmendem Maße bei bestimmten etablierten Therapien die Frage stellen muss, ob diese unseren Patienten noch zugemutet werden können wie z.B. die offene Nierenchirurgie oder die ESWL bei Harnleitersteinen oder unteren Kelchsteinen. Allerdings zeigt sich auch, dass die moderne Chirurgie und Endoskopie sehr ressourcenintensiv geworden ist und durch die finanzielle Verknappung im Rahmen von diversen Sparpaketen eine sehr große gesundheitspolitische Problematik auf uns Ärzte zukommen wird.