Zu Hause sterben – Angebote und Grenzen von Palliative Care

Studien zeigen regelmäßig, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung am liebsten zu Hause sterben möchte (die Zustimmungsraten hierfür liegen im internationalen Vergleich bei ca. 75%, Gomes et al. 2013). Die statistische Realität ist jedoch eine andere: Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung im deutschsprachigen Raum stirbt in einer Institution. Die aktuelle Statistik der Todesfälle aus Österreich zeigt, dass im Jahr 2012 von den jährlich etwa 79.500 verzeichneten Todesfällen 51,1% in einem Krankenhaus, 26,7% an der Wohnadresse („zu Hause“), 16,7% im Pflegeheim und 5,4% an einem sonstigen Ort verstorben sind (Statistik Austria 2013). Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass es regionale Unterschiede sowie weitere Einflussfaktoren gibt.

Wer stirbt wo, und wovon hängt das ab?

Familienstand, Todesursache, Alter sowie soziostrukturelle Variablen (z.B. Anzahl an Krankenhausbetten, Anzahl niedergelassener Ärzte, ländliche oder städtische Struktur) sind, nach derzeitigem Erkenntnisstand, die wesentlichsten Einflussfaktoren auf den Sterbeort.
Das Sterben verschiebt sich immer mehr in das höhere Alter. Dies hat einen Einfluss auf den Sterbeort, und zwar zugunsten der Pflegeheime. Mit höherem Alter kann es auch zu längeren Phasen von Hilfe- und Pflegebedürftigkeit kommen, wo die Versorgung zu Hause, insbesondere dann, wenn keine informelle Unterstützung und Hilfe vorhanden ist, an Grenzen stößt. Beispielhaft können hierfür auch demenzielle Veränderungen angeführt werden, ein Krankheitsbild, das häufig zu einem Wechsel in ein Pflegeheim führt.
Auch geschlechtsspezifische Unterschiede kommen hier besonders zum Tragen. Für Frauen ist die Wahrscheinlichkeit, zu Hause zu sterben, geringer als für Männer: um 4,1% in Österreich im Jahr 2008 (Statistik Austria, eig. Berechnungen). Von den jährlich verstorbenen Frauen waren im selben Jahr 20% in einem Pflegeheim, hingegen nur 8,63% der Männer (ebd.). Die höhere Lebenserwartung der Frauen und die höhere Wahrscheinlichkeit, dass diese im hohen Alter alleinstehend sind (z.B. verwitwet) macht sie besonders anfällig für ein institutionalisiertes Sterben.
Menschen die an einer Krebserkrankung sterben, verbringen ihre letzten Tage allerdings häufiger im Krankenhaus. Dies hat nicht zuletzt auch mit der Vielzahl an therapeutischen Interventionen zu tun, die für dieses Krankheitsspektrum zur Verfügung stehen, woraus sich im Verlauf auch eine hohe Bindung an die stationäre Versorgung ergibt. In anderen Ländern, insbesondere in Großbritannien, wo es entsprechende Studien gibt, kann in den letzten Jahren allerdings ein neuerlicher Anstieg an Sterbefällen zu Hause von Menschen mit einer Krebserkrankung verzeichnet werden (Gomes & Higginson, 2006). Dies wird auf die flächendeckende Entwicklung von Palliative Care zurückgeführt.
Es zeigt sich schließlich auch, dass sogenannte Umweltfaktoren einen bedeutenden Einfluss auf den Sterbeort „zu Hause“ haben. Hierzu gehören das Vorhandensein von Angehörigen und anderen informellen Helfern, das Angebot an professioneller Hilfe zu Hause, insbesondere rund um die Uhr und schließlich auch der Wunsch der Betroffenen. Die Übereinstimmung dieses Wunsches mit jenem der pflegenden Angehörigen spielt nachweislich eine entscheidende Rolle (Agar et al. 2008). So zeigte eine kanadische Studie, dass die Wahrscheinlichkeit, zu Hause zu sterben fast drei Mal so hoch war, wenn es seitens des Betroffenen einen klar deklarierten Wunsch dahingehend gab (Brazil et al. 2005).
Wenn es um Angehörige geht, dann ist auch noch ein anderer Aspekt zu berücksichtigen: Im Idealfall verteilen sich die Aufgaben der Pflege und Begleitung auch innerhalb einer Familie auf mehrere Schultern. Das heißt, Angehörige sind in sich ein komplexes System in dem es unterschiedliche Meinungen und Ansichten gibt. Wer setzt sich durch? Wie können unterschiedliche Präferenzen hinsichtlich des Wunsches nach dem Sterbeort ausgehandelt werden? Nehmen Professionelle hier die Rolle der Moderation ein?
Die Präsenz zumindest einer informellen Pflegeperson in derselben Wohnung ist nahezu unabdingbar für ein Sterben zu Hause (Payne et al. 2010). Dass diese mit dem Betroffenen im Wunsch übereinstimmt ist eine wichtige Voraussetzung, aber nicht zwangsläufig der Fall. Hier spielt auch das professionelle Unterstützungssystem eine wichtige Rolle. Stehen den Angehörigen Dienste zur Seite, die notfalls auch 24 Stunden am Tag erreichbar sind? Kann die Verantwortung aufgeteilt werden, zwischen Hausärzten und Angehörigen, zwischen mobilen Hospizdiensten und den Familien, zwischen dem Krankenhaus und dem extramuralen System? Die Entwicklung der häuslichen Palliativversorgung in Verbindung mit der Hospizbewegung schafft endlich notwendige Voraussetzungen, um Angehörige in dieser Aufgabe entsprechend zu unterstützen (s.u.). Das System ist jedoch noch immer lückenhaft: Weder gibt es überall ausreichend solcher spezialisierten Dienste, noch hat sich die Grundversorgung in der ambulanten Pflege hinreichend auf das Klientel sterbender Menschen eingestellt (Haslbeck & Schaeffer, 2006; Ewers & Badura, 2005).

 

Bildschirmfoto 2014-07-23 um 13.11.35_opt

 

Abgestufte Hospiz- und palliativversorgung als Unterstützung für Sterben zu Hause

Das Konzept der abgestuften Hospiz- und Palliativversorgung folgt dem Grundsatz „die richtigen Patienten zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu versorgen“ (ÖBIG 2004, Abb. 2). Die speziellen Versorgungsangebote sollen abgestuft, auf unterschiedliche Bedürfnislagen abgestimmt und idealerweise in die bestehenden Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialsystems integriert werden. Bei diesem Konzept handelt es sich um den Versuch, die im Rahmen der Hospizbewegung entstandenen Projekte und Initiativen in das Gesundheitssystem zu integrieren. Dafür wurden allerdings auch die in unserem Gesundheitssystem gängigen Differenzierungen „Akut-“ und „Langzeitversorgung“, „stationär“ und „mobil“ sowie „Gesundheit“ und „Soziales“ aufgenommen, was aus Sicht der Patientenorientierung eher nachteilig ist.
Für die Versorgung am Lebensende zuhause stellen sowohl die stationären Angebote als auch die mobilen Angebote wichtige Stützen für die „Grundversorger“ dar.

 

Bildschirmfoto 2014-07-23 um 13.15.26_opt

 

Hospizteams: Ehrenamtliche Hospizteams bilden den Kern der Hospizbewegung in Österreich. Sie begleiten Palliativpatienten und ihre Angehörigen in allen Versorgungskontexten. Nach einem sukzessiven Aufbau in den vergangenen mehr als zwanzig Jahren sind derzeit in Österreich knapp 3.300 ehrenamtliche Hospizbegleiter in 156 Hospizteams engagiert (www.hospiz.at). Sie alle verfügen über einen „Basiskurs“. Eine „hauptamtliche Koordinationsperson“ unterstützt die Organisation der Begleitungen, kümmert sich um Qualifizierung sowie Öffentlichkeitsarbeit uvm. (Ausmaß abhängig von der Teamgröße) (ÖBIG 2004).

Mobile Palliativteams: Mobile Palliativteams betreuen im häuslichen Bereich Patienten in komplexen Situationen und bieten spezielle fachliche Beratung an. Die mobilen Palliativteams wurden in Österreich unter verschiedener Trägerschaft entwickelt und sind regional sehr unterschiedlich. Kern dieser Initiativen war es von Anfang an, eine 24-Stunden-Erreichbarkeit über sieben Tage die Woche zu ermöglichen. Mit insgesamt 44 Teams in ganz Österreich kann noch keineswegs von einer zufriedenstellenden „flächendeckenden“ Versorgung im mobilen Bereich gesprochen werden.
Problematisch ist in diesem Bereich die Finanzierung, was mit der Organisation des Gesundheits- und Pflegesystems in Österreich zusammenhängt.

Tageshospize: Tageshospize bieten Palliative Care an einzelnen Tagen in der Woche an, um die betroffenen Patienten zu unterstützen und die Angehörigen zu entlasten. In der Regel wird ein Tageshospiz einmal pro Woche besucht. Es stehen kompetente Ärzte und Pflegepersonen zur Verfügung, ebenso gibt es unterschiedliche Angebote wie z.B. Maltherapie oder Gesprächsrunden, bzw. ein einfaches Erleben von Gemeinschaft bei gemeinsamen Mahlzeiten. In Österreich gibt es vier Tageshospize, mit einem je eigenen Profil. Wie eine aktuelle Evaluationsstudie aus Salzburg zeigt, ermöglichen Tageshospize einen längeren Verbleib zu Hause, und tragen nach Ansicht von Angehörigen erheblich zur Möglichkeit, auch zu Hause sterben zu können, bei (Pleschberger et al. 2014).

Stationäre Hospiz- und Palliativversorgung: Palliativstationen übernehmen die Versorgung in besonders komplexen Situationen, wenn diese durch andere Einrichtungen oder Dienste nicht bewältigt werden können und wenn die Notwendigkeit einer besonderen ärztlichen Expertise besteht. Die Zielsetzung lautet hier jedoch „Entlassung“, und somit auch das Ermöglichen eines Sterbens zu Hause. Wenn die pflegerische Betreuung im Vordergrund steht, übernehmen stationäre Hospize die Versorgung (ÖBIG 2004). Ein Verhältnis der Palliativbetten zu Hospizbetten von 2 : 1 wird empfohlen (ÖBIG 2006).

Resümee

Die Angebote im Bereich der spezialisierten Hospiz- und Palliativversorgung entstanden vor dem Hintergrund des defizitären Umgangs mit Menschen die an einer unheilbaren Krebserkrankung erkrankt sind (Heller et al. 2012). Seit etwa 15 Jahren erfolgt auf internationaler Ebene eine kontinuierliche konzeptionelle Erweiterung. Damit verbunden sind die Parole „Palliative Care für alle die es brauchen“ (Bischof et al. 2002) und Konzepte wie „Palliative Geriatrie“. Deutlich wird in der Folge, dass nicht für alle Menschen in der letzten Lebensphase spezialisierte Angebote zur Verfügung stehen können. Wer diese benötigt und zu welchem Zeitpunkt, ist derzeit Gegenstand von Forschung und Praxisentwicklung. Jedenfalls braucht es ein kluges Zueinander von Grundversorgern – allen voran Hausarztpraxen und Hauskrankenpflegediensten – und Spezialisten einerseits sowie Aufmerksamkeit und Engagementbereitschaft im Bereich der informellen Hilfe (Angehörige, Nachbarn, Freunde etc.), um ein Sterben zu Hause „für alle, die es möchten“ gewährleisten zu können.

Literatur bei der Verfasserin