3. Internationales Wirtschaftsforum des Österreichischen Apothekerverbandes : Die Zukunft heißt Service!

Die Sicht der Trendforschung

Jeanette Huber, Geschäftsleitung des Zukunftsinstituts in Frankfurt, beschrieb die folgenden vier Megatrends:

1. Megatrend Individualisierung: Heute strebt jeder Einzelne nach individueller Freiheit und Wahlmöglichkeit. „Der Gesundheitsmarkt wird folglich ein Nischenmarkt – wie in einem Feinkostladen. Kunden erwarten passgenaue Produkte und maßgenaue Lösungen für jede Lebensphase. Hinzu kommt, dass Kunden heute durch das Internet sehr gut informiert sind und Gesundheitsdienstleister dadurch zunehmend unter Druck setzen“, erklärte Huber. Das heißt, Fachwissen alleine wird künftig nicht reichen, um Kunden zu binden. Apotheker sind insbesondere dann gefragt, wenn es um das Aussortieren und das Deuten von Informationen sowie um deren Übersetzung in den Alltag geht.

2. Megatrend „Silberne Revolution“: Im Jahr 2050 werden 36 % der Bevölkerung über 60 Jahre alt sein; zum Vergleich: 2010 waren es 23 %. Doch nie waren ältere Menschen in ihrer Masse körperlich, geistig und seelisch fitter als heute. „Es ist ein gesellschaftlicher Verjüngungsprozess zu beobachten, das sog. ‚downaging‘. So wollen z. B. 61 % der Europäer in der EU-27 nach dem Rentenalter weiterarbeiten“, schilderte Huber. Apotheken werden sich auf diese „neue“ Kundschaft einstellen müssen. Während traditionelle Kunden weiterhin eine Affinität zur Standortapotheke haben werden, sind aktive „Rentenaussteiger“ über 55, die „silver surfer“, durchaus internetaffin. 2013 nutzten 66 % der 55–64-Jährigen und 35 % der 65–74-Jährigen das Internet. Nur 33 % der 55–64-jährigen und 22 % der 65–74-jährigen Onliner haben noch nie im Internet bestellt. Das Projekt APOdirekt ist daher ein guter erster Schritt in die richtige Richtung.

3. Megatrend Gesundheit: Ungefähr ein Drittel der österreichischen Bevölkerung kümmert sich aktiv um seine Gesundheit. „Der leidende ‚Patient‘ ist ein Auslaufmodell, der Trend geht hin zur Selbstverantwortung“, so Huber. Doch das setzt ein authentisches Verständnis von Gesundheit voraus. Es geht nicht nur um Beschwerdefreiheit, sondern um „Gesundheitszufriedenheit“, einen Zustand, den man selbst mag und wertschätzt.

Im Zusammenhang mit fordernden Arbeitsbedingungen und der Burn-out-Debatte sprach Huber von den „life designern“. Kunden, die weg wollen von passiven Wellness-Angeboten und Unterstützung für eine ausgewogene Lebensführung suchen. Apotheken sollten daher verstärkt „Wohlfühlkompetenzen“ vermitteln, also weniger den Entspannungstee als den Yogakurs.

4. Megatrend Vernetzung: Smartphones, soziale Netze, Devices mit Sensoren und die Cloud-Technologie bieten neue Möglichkeiten für gesundheitsbewusste Menschen. Die „self tracker“, zumeist Männer, dokumentieren ihr eigenes Gesundheitsleben minutiös – den Schlaf, die Bewegung oder die Ernährung. Dieser datenbasierte Blick auf das eigene Gesundheitsverhalten ist durchaus positiv zu bewerten, sensibilisiert er doch für den eigenen Körper. „Der Trend zum Health Management eröffnet Apotheken neue Profilierungschancen: von der Unterstützung bei der individuellen Gesundheitsbeobachtung über niederschwellige Diagnostikleistungen bis hin zur Gesundheitsmotivation. Diese Nischen gilt es zu bedienen, persönlich UND digital“, so Huber. Insbesondere die Chance, über technische Gadgets Gesundheitsangebote an die männlichen Apothekenmuffel zu richten, sollten sich Apotheken nicht entgehen lassen. Denn in Zukunft gilt: Gesundheit muss auch Spaß machen!

Positionierung als Gesundheitsdienstleister

Die Apotheke nimmt eine Hybridstellung ein. Einerseits ist sie Gesundheitsdienstleister, andererseits Einzelhändler und Logistikdienstleister. „Wie sich eine Apotheke positioniert ist beeinflussbar. Erfolg und Misserfolg einzelner Apotheken werden künftig jedenfalls weiter auseinanderklaffen“, machte Univ.-Prof. Dr. Werner H. Hoffmann, Leiter des Instituts für Strategisches Management der WU Wien, aufmerksam. Anhand eines Branchenanalysemodells präsentierte er ein Zukunftsbild der Entwicklung des Apothekensektors:

1. Nur graduelle Veränderungen bis 2020: Es wird mittelfristig keine dramatischen Veränderungen der regulativen Rahmenbedingungen geben, eine gute Botschaft für Apotheken. Dennoch sieht Hoffmann graduelle Lockerungen, insbesondere den Internethandel betreffend. „OTC werden in den nächsten 10 Jahren auch über andere Kanäle (online und im stationären Handel auch über Drogerien etc.) vertrieben werden“, warnt Hoffmann. Einzelhändler aus anderen Branchen kämpfen bereits ums Überleben und sind gezwungen, ihre Geschäftsmodelle an die geänderten Rahmenbedingungen anzupassen – eine Herausforderung, vor der in Zukunft auch Apotheken stehen werden. Die Logistikdienstleistung ist aufgrund der geringen bewegten Mengen für die meisten Apotheken nicht ökonomisch. Doch in jeder Gefahr bzw. Bedrohung stecke auch eine Chance: „Apotheken sollten den Mehrwert der Beratung und die Gesundheitsdienstleistungen der Apotheken in den Vordergrund stellen“, empfiehlt Hoffmann.

2. Dramatische Veränderungen nach 2020: Hoffmann hält für die Zeit nach 2020 weitreichende Veränderungen der regulativen Rahmenbedingungen für möglich. Die Schutzregelungen für Apotheken werden möglicherweise aus volkswirtschaftlichen Überlegungen sukzessive reduziert. „Es kann durchaus zu einer Aufweichung des Mehr- und Fremdbesitzverbotes, einer Aufhebung der Bedarfsprüfung, eventuell auch zu einer Lockerung der Vorgaben zur Abgabe von Arzneimittel und einer Einführung der Wirkstoffverschreibung bzw. aut idem kommen“, prognostiziert Hoffmann. Aber auch in einem derartigen Szenario bestehen für Apotheken unternehmerische Chancen – nämlich in der Positionierung von Apothekern als kundennahe Gesundheitsdienstleister vor Ort, die niederschwellig erreichbar sind. Arzneimittel werden in einer derartigen Strategie in ein Gesamtleistungspaket von Beratung plus Gesundheitsdienstleistung eingebettet, das von der „Stammapotheke“ für ihre „Stammkunden“ erbracht wird. Darauf aufbauend kann es zumindest im städtischen Bereich auch zu Spezialisierungen im Produktangebot (z. B. TCM, Homöopathie) kommen. Im Mittelpunkt einer derartigen Strategie muss jedoch jedenfalls die Pflege der Kundenrelation (Kundenbindung) stehen.

10 Jahre Versandhandel in Deutschland

Über Phantasie und Realität des Versandhandels berichtete Dr. Frank Diener. Er ist in einem Steuerberatungsunternehmen für Ärzte und Apotheker tätig und war lange Jahre bei der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) in Führungsfunktionen aktiv. Im Jänner 2004 wurde der Versandhandel für rezeptfreie und auch rezeptpflichtige (Fleißaufgabe der Politiker) Arzneimittel in Deutschland erlaubt. Die Befürworter erwarteten sich große Einsparungen bei den Krankenkassenausgaben in der Versorgung chronisch Kranker. Schätzungen gingen von einem kurzfristigen Versandanteil von 15 %, langfristig von bis zu 50 % aus. Daneben sollte die Liberalisierung des OTC-Vertriebes zu einem Preisverfall in der Selbstmedikation führen.
Im Jahr 2012 wurde erkennbar, dass die ursprünglichen Ziele mit dem Versandhandel nicht erreichbar sind.

  • Nur rund 302 Mio. Euro betrug der Rx-Anteil des Versandhandels (0,8 % des Verschreibungsmarktes) und
  • 1.048 Millionen Euro entfielen auf den OTC-Markt (12,3 % Versandhandelsanteil).

Im Jahr 2012 lag das Packungsvolumen im Versandhandel bei 82,8 Mio. Stück entsprechend einem Marktanteil von 5,6 % am Gesamtmarkt. Für die Präsenzapotheken bedeutet das laut Diener in 10 Jahren eine jährliche Rohge­winneinbuße von 450 Mio. Euro. Jeder Präsenzapotheke fehlen damit 20.000 Euro/Jahr! Die Euphorie ist in Deutschland laut Diener verflogen. Derzeit haben 2.964 Apotheken (von knapp 21.000 Apotheken) eine Erlaubnis zum Arzneimittelversand, wobei ihre Zahl leicht rückläufig ist. Nur 190 Apotheker sind tatsächlich aktiv. 40 professionelle Versandapotheken erreichen zusammen einen Umsatz von über 90 %!

Erfolgsfaktoren für den Versand von Arzneimittel
Im Hinblick auf die Freigabe des Versandhandels in Österreich 2015 nannte Diener einige Erfahrungswerte:

  • Preissensible Kunden erwirbt man leicht und verliert sie aber genauso schnell.
  • Für das Tätigen von Spontankäufen ist selbst das schnellste Internet zu langsam.
  • Im Versandhandel gilt die Grundregel: Der Billigste macht das gesamte Geschäft.
  • Preisführerschaft setzt Kostenführerschaft voraus und hängt von der Mengenführerschaft ab. OTC-Versand lohnt sich nur bei großen Mengen.

Kundenverhalten erkennen und nutzen

Diplom-Ökonom Carsten Aehlen von der Innovationsakademie Deutscher Apotheker erklärte, dass Kunden das kaufen, worauf der Blick fällt. Die Akademie verfügt über eine Studioapotheke und kann mittels Blickaufzeichnung die Orientierung von Kunden in der Apotheke in Echtzeit verfolgen. Beim Betreten der Apotheke konzen­triert sich der Kunde z. B. an der Türöffnung. Ein Plakat oder Aufsteller wird dort leicht übersehen. Wartezonen sind besser für spontanes Kaufverhalten geeignet, weil Waren im potenziellen Blickfeld positioniert werden können.

Bemerkenswert logisch war eine Erkenntnis, die nach Berücksichtigung schreit: „Der Kunde ändert sein Verhalten nicht, wenn er das Geschäft wechselt. Er hat im Supermarkt, Drogeriemarkt, Tankstellenshop oder in der Apotheke die gleichen Bedürfnisse“, so Aehlen. Apotheken sehen sich nur zuständig für den Bedarfskauf (Rx und OTC), nicht aber für den Impulskauf in den Bereichen Prävention, Gesundheit und Wellness. „Dieses Angebot decken Apotheken zu wenig ab“, analysierte Aehlen.

Es ist wichtiger, Kunden zu „besitzen“ als eine Apotheke!

Prof. Gerhard Riegl von der Hochschule Augsburg kennt den Apotheken- und Gesundheitsmarkt sehr gut und betonte den wichtigsten „Schatz“ eines Geschäftes, den Kunden. Ein Apotheker muss sich zuerst seine Kunden

  • durch heilberufliche Einkaufserlebnisse „verdienen“,
  • dann die Kundenloyalität pflegen und
  • sich rechtzeitig um neue Kunden umsehen, weil eine Fluktuation unvermeidbar ist.

Riegl setzt auf den Apothekeninhaber als Kundenbindungsinstrument und führt dazu Daten ins Treffen, nach denen Kunden um 10 % mehr ausgeben, wenn sie den Inhaber persönlich kennen. Ein weiterer wichtiger Punkt in der Positionierung am Gesundheitsmarkt ist die Spezialisierung auf Menschen und nicht auf Indikationen. Die Bedürfnisse eines jugendlichen Rheumatikers werden sich von jenen eines älteren deutlich unterscheiden, obwohl beide die gleiche Krankheit haben.