„Alter als Chance für Apotheken“

Apotheker Krone: In Wien wurde aktuell das „Netzwerk Altern“ vorgestellt, das Sie koordinieren. Das Ziel ist, die Forschung im Bereich Demografie zu intensivieren und zu vernetzen. Wie herausfordernd ist das Thema Altern für die Gesellschaft und das Gesundheitswesen?

Georg Ruppe: Wir befinden uns in einer Epoche des demografischen Wandels, der alle Schichten der Bevölkerung und alle Generationen betreffen wird. Wir reden hier von Entwicklungen, die alle politischen Bereiche erfassen, man könnte sagen „Aging in all policies“. Bildung, Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Alterssicherung, Gesundheits- und Pflegesystem, gesellschaftliche Teilhabe, Infrastruktur ländlicher und urbaner Räume, Familie, Zuwanderung und Wohnen sind einige der relevanten Bereiche. Mit Blick auf die großen Herausforderungen und Chancen einer alternden Gesellschaft ist es ein zentrales Ziel des „Netzwerk Altern“, das vorhandene Wissen aus Forschung und Praxis gesamtgesellschaftlich besser nutzbar zu machen.

Apotheker Krone: Wo liegen die Schwerpunkte Ihrer Arbeit?

Die Österreichische Plattform für Interdisziplinäre Alternsfragen wurde 2009 als nationale Wissenschaftsplattform von führenden österreichischen Wissenschaftern verschiedener Disziplinen gegründet, die sich mit Fragen des Alterns und den Perspektiven der gesellschaftlichen Alterung befassen. Nun koordinieren wir im Auftrag des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft das nationale Netzwerk Altern. Ziel der Arbeit ist die Koordination von Wissenschaft und gleichzeitig eine Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit.

Apotheker Krone: Was wird speziell auf den Gesundheitsbereich zukommen?

Die Strukturen sind hier sicherlich ein großes Thema. Im Hinblick auf die Angebotsverteilung wird sich einiges ändern müssen. Gerade die Betreuung von Menschen mit multiplen Problemen sowie beeinträchtigten Funktionalitäten und Möglichkeiten brauchen neue Versorgungsmodelle und auch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit. Die Frage wird hier unter anderem sein, was das private Umfeld kann und leistet und umgekehrt, wie wirksam stationäre Versorgung ist. Da stellen sich dann auch Fragen, wie das Verhältnis zwischen dem Risiko, ein Krankenhaus aufzusuchen, und dem Vorteil, den es in der Versorgung bietet, ist. Hier ist noch viel Forschungsbedarf gegeben.

Apotheker Krone: Das klingt alles nach großen Hürden, die auf uns zukommen.

Man muss hier sicherlich aufpassen, das Alter und das Altern nicht zu dämonisieren. Es bringt auch Chancen. Wir müssen eben Veränderungen durchführen und gerade für altersbedingte Erkrankungen auch vorsorgen. Gleichzeitig gilt es, auch adäquate Therapiemöglichkeiten zu entwickeln. Dazu brauchen wir etwa im medizinischen Bereich auch eine Fachspezialisierung im Bereich Geriatrie. Österreich hängt hier internationalen Entwicklungen deutlich nach. Es gibt noch immer keinen Facharzt für Geriatrie. Außerdem gibt es im gesamten Bundesgebiet sehr unspezifisch verteilte Stationen für Akutgeriatrie. Hier muss man investieren und die Dinge gesamthaft planen. Auch im Bereich der hausärztlichen Versorgung braucht es mehr Ausbildungsinitiativen für die Betreuung geriatrischer Patienten. Hier gibt es einfach viele Themen zu berücksichtigen. Generell brauchen wir aber vor allem wissenschaftliche Nachweise, ob die Betreuung zu Hause oder eine stationäre Versorgung für die Menschen sinnvoller ist. Das ist deshalb wichtig, weil man daraus ableiten kann, welcher Sektor gefördert werden soll.

Apotheker Krone: Wie sieht es im Bereich der Arzneimittelversorgung aus?

Gerade hier werden multiprofessionelle Teams und mehr Flexibilisierung in der Versorgung nötig sein. Polypharmazie ist etwa ein großes Thema, hier wird es sicherlich auch Einrichtungen brauchen, die Betreuung und Beratung anbieten. Das könnten durchaus die Apotheken sein. Wissenschaftlich müssen wir auch noch viel über die Verschreibepraxis der Ärzte lernen. Hier wissen wir noch wenig. Man sollte aber umgekehrt aufpassen, dass man nicht einfach versucht, die Anzahl der Medikamente bei älteren und alten Menschen zu reduzieren.