Apotheker sollen Kassen sparen helfen

Apotheker Krone: Welche Bilanz ziehen Sie rückblickend für das vergangene Jahr für die Wiener Gebietskrankenkasse und die Sozialversicherungsträger insgesamt?
Ingrid Reischl: 2015 war grundsätzlich ein erfolgreiches Jahr. Es ist uns gelungen, viele Projekte umzusetzen und voranzutreiben. Dazu gehören die Eröffnung des österreichweit ersten Primärversorgungszentrums in Wien-Mariahilf, die Schaffung von sechs Planstellen für Kinderpsychiatrie im niedergelassenen Bereich und die Einführung der Gratis-Zahnspange für Kinder bis 18 Jahre mit massiven Fehlstellungen. Wermutstropfen ist aber, dass wir nach sechs Jahren wieder ins Minus rutschen werden – nicht zuletzt wegen der steigenden Ausgaben für die Medikamente.

Sind das wirklich die wenigen hochpreisigen Produkte?
Ja, hier geht mehr als der halbe Abgang auf Kosten einer Handvoll Medikamente. Konkret geben wir im laufenden Jahr 30 Millionen Euro für die neuen Präparate zur Behandlung von Hepatitis C aus. In Summe erwarten wir im Jahr 2015 bei den Heilmittelausgaben einen Zuwachs von 6,5 Prozent. Die Beitragseinnahmen – die die Krankenversicherung in keiner Weise steuern oder beeinflussen kann – wachsen demgegenüber nur um 2,6 Prozent. Dieses Auseinanderklaffen ist auf Dauer sicher nicht haltbar.

Wie schätzen Sie die Entwicklungen im Arzneimittelbereich in den kommenden Jahren ein?
Für die kommenden Jahre erwarten wir einen jährlichen Mehraufwand von 19,7 bis 70 Millionen Euro. Zurückzuführen ist diese Preissteigerung auf innovative Medikamente, die bis zu 14.200 Euro je Packung kosten. Meiner Meinung nach ist das modernes Raubrittertum.

Wie nachhaltig ist der Rahmen-Pharmavertrag?
Der aktuell ausgehandelte Rahmen-Pharmavertrag ist nur ein erster Schritt. Was wir dringend brauchen, sind darüber hinausgehende gesetzliche Lösungen. Die finanziellen Mittel, die wir nun erhalten, reichen nicht aus, um die steigenden Kosten zu decken. In den Jahren 2015 bis 2018 droht nach den aktuellen Berechnungen eine Finanzierungslücke von rund 820 Millionen Euro. Konkret gilt für die Sozialversicherung, dass die Medikamentenkosten im Schnitt maximal um drei Prozent pro Jahr steigen dürfen. Diesen Zielwert haben wir zuletzt mit monatlichen Steigerungsraten von bis zu zehn Prozent deutlich überschritten.

Wie wollen Sie hier gegensteuern? Welche Pläne verfolgen Sie?
Mögliche Lösungsansätze sind ein neues System zur Preisfindung oder eine verpflichtende Wirkstoffverschreibung, wie es sie in mehreren europäischen Ländern – darunter Deutschland, die Niederlande oder Italien – gibt. Realistischerweise ist eine wirkstoffidente Substitution durch die kostengünstigste Alternative in 80 Prozent aller Fälle machbar. Medizinisch begründete Einzelfälle muss es aber weiterhin geben. Für die Sozialversicherung ergibt das Entlastungen von immerhin 143 Millionen Euro – rund 26 Millionen davon entfallen auf die WGKK.

Das wird Ihnen aber nicht gegen die hohen Preise von innovativen Produkten helfen?
Auch das Überdenken von Arzneimittel-Patenten wie zum Beispiel für das Hepatitis-C-Medikament Sovaldi ist nötig. Darüber hinaus bedarf es logistischer Voraussetzungen, um der Sozialversicherung den direkten Medikamenteneinkauf zur Versorgung chronisch Kranker zu ermöglichen. Da wir nun einmal weiterhin mit steigenden Medikamentenkosten konfrontiert sind, möchten wir ein neues System auf die Beine stellen, um die Ausgaben zu senken. Das Niveau soll nachhaltig finanzierbar und gesellschaftlich fair sein. Wichtig ist mir in diesem ­Zusammenhang auch, dass die künftige Finanzierbarkeit der Versichertengemeinschaften beziehungsweise der Versicherungsträger gesichert ist.

Was sind die weiteren Pläne und Schwerpunkte für das heurige Jahr?
Wir möchten die Primärversorgung stärken und ausbauen. Hier hoffen wir auf eine rasche Umsetzung des entsprechenden Gesetzes. Weiters soll auch die Gesundheitsreform vorangetrieben werden. Ein Projekt, das hoffentlich bald umgesetzt sein wird, ist die die Gesundheitshotline TEWEB.

Was erwarten Sie sich von der elektronischen Gesundheitsakte?
Aus Sicht der WGKK bietet ELGA Patientinnen und Patienten eine Reihe von Vorteilen: Befunde können jederzeit und von überall abgerufen werden. Unnötige Doppeluntersuchungen werden weniger, da den Ärztinnen und Ärzten die Krankengeschichte auf Knopfdruck zur Verfügung steht. Für die Patienten bedeutet das, dass sie weniger Zeit in Ordinationen verbringen und mit geringeren Wegzeiten konfrontiert sind. Sobald die E-Medikation startet, sind dann auch die verordneten Arzneimittel erfasst. Eine Folge kann sein, dass unerwünschte Wechselwirkungen bei Einnahme mehrerer Medikamente öfter vermieden werden.