„Arzneimittelpreise sind ein Riesenproblem“

Apotheker Krone: In Alpbach sind gerade die Gesundheitsgespräche zu Ende gegangen, mit dem Zentralthema soziale Ungleichheit. Gilt aller sozialen Errungenschaften zum Trotz auch in Österreich das Prinzip „Reich und gesund, arm und krank“?

Sabine Oberhauser: Der enge Bezug von Bildung, Sozialstatus und Einkommen mit Gesundheit liegt auf der Hand. Deshalb ist Chancengerechtigkeit in Bezug auf alle Lebensbereiche sicherzustellen, um sowohl die gesunde Lebenserwartung zu erhöhen als auch die Krankheitslast zu verringern. Das Prinzip ,Gesundheit in allen Politikfeldern‘, auf Englisch Health in all Policies, ist eines der zentralen Grundprinzipien der Rahmen-Gesundheitsziele, denn: Die Gesundheit der Bevölkerung kann nur durch gebündelte Anstrengungen in allen Politikfeldern wirksam und nachhaltig gefördert werden.

Es gibt Kritiker, die bemängeln, dass sich auch bei der Gesundheitsreform wenig tut.

Oberhauser: Mir geht es um die optimale Versorgung für die Menschen – dazu braucht es eine Politik kleiner Schritte, die wir konsequent gehen müssen. Wir haben zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherung ein umfangreiches Arbeitsprogramm vereinbart und sind gut unterwegs. Natürlich könnte manches rascher gehen, aber mir geht es um nachhaltige Lösungen im Sinne der Menschen, nicht um Quick Wins. So wir haben zum Beispiel nun eine erste Punktation für einen Gesetzesentwurf zur Einrichtung von neuen Primärversorgungsstrukturen vorgelegt. Die Verhandlungen darüber will ich im September beginnen. Auch die Ärztekammer wird eingebunden, deren Spitze hat die Punktation auch bereits erhalten.

Es gibt aber schon jetzt Widerstände.

Oberhauser: Das werden sicher schwierige Verhandlungen, weil man Neuland betritt. Ich will das Gesetz trotzdem so schnell wie möglich fertig haben. Ziel ist, noch heuer mit dem parlamentarischen Prozess zu beginnen. Mit der neuen Primärversorgung sollen Ärzte, verschiedene Therapeuten und Pflegefachkräfte ganztägig für die Patienten zur Verfügung stehen und damit die Spitäler und Ambulanzen entlasten. Dafür können entweder neue Zentren errichtet oder bestehende Einrichtungen vernetzt werden. Die neuen Primärversorgungs-Einheiten sollen zusätzlich zu den bestehenden Hausärzten kommen, es soll keinen Eingriff in bestehende Vertragsverhältnisse und keinen Zwang zum Umstieg geben, sondern Anreize.

Ein weiterer Bereich, wo es sich spießt, sind die aktuellen Verhandlungen über einen neuen Pharma-Rahmenvertrag mit der Arzneimittelbranche. Die Krankenkassen fürchten steigende Ausgaben, die Branche weitere Kürzungen.

Oberhauser: Die steigenden Arzneimittelausgaben sind ein Riesenproblem, das die gesamte Welt trifft. Die Frage ist, was anständige Medikamentenpreise sind bzw. wie man den Zugang zu neuen und innovativen Medikamenten ermöglicht bei gleichzeitiger Sicherstellung der Finanzierbarkeit der Systeme. Ausgehend von einem neuen Hepatitis-C-Medikament, das unter anderem zu enormen Kostensteigerungen bei den Kassen geführt hat – jedoch auch von neuen Krebsmedikamenten – muss man schauen, welche Preise für die Gesundheitssysteme noch verkraftbar sind. Diese neuen und zum Teil sehr teuren Medikamente stellen uns weltweit vor große Herausforderungen. Wir wollen natürlich, dass die Produkte für die Patienten verfügbar sind. Wir haben aber gesehen, dass ein einzelnes Produkt binnen kürzester Zeit in einem gesamten Sektor ein gesamtes Gesundheitsbudget ins Minus reißen kann. Wir müssen uns also auch international die Frage stellen, was Innovation wert sein kann, und sind hier auch im Dialog mit der EU-Kommission bzw. anderen Mitgliedstaaten.

Die Arzneimittelbranche wirft dem Gesundheitssystem und allen Akteuren vor, dass die komplexe Struktur verhindert, dass Einsparungen die Medikamente etwa durch den Wegfall von Operationen nicht mit den Ausgaben für die Mittel gegengerechnet werden können. Fehlen Strukturreformen?

Oberhauser: Strukturreformen in Medikamentenbudgets zu investieren ist schwierig und halte ich für problematisch. Die Erfahrung zeigt, dass man im Gesundheitswesen jeden Cent irgendwo hineininvestieren kann und dass es überall Bedarf gibt. Je nachdem, wie stark eine Lobby ist, wird dann entsprechend Druck gemacht. Man muss stattdessen hin zu einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung kommen.

Die Apotheker schlagen vor, künftig ein Medikationsmanagement zu forcieren, damit Patienten genauer beraten werden, wie sie mit Arzneimitteln umgehen und damit auch die Compliance verbessert wird.

Oberhauser: Als Kundin von Apotheken habe ich schon in der Vergangenheit erlebt, dass die Beratungen dort gut funktionieren. Das ist ja auch eine Kernaufgabe der Apothekerinnen und Apotheker, und das funktioniert schon jetzt sehr gut. Ich bin überzeugt, dass wir zudem mit der kommenden E-Medikation hier auch einen Schritt weiterkommen und auch die schon jetzt gute Zusammenarbeit von Ärzten und Apothekern zum Wohle der PatientInnen weiter verbessern.

Das klingt sehr vage. Die Apotheker wollen diese Leistung auch honoriert bekommen.

Oberhauser: Das ist Sache der Vertragspartner und damit Gegenstand von Gesprächen zwischen dem Hauptverband und den Apothekern. Die Aufklärung der Patienten, was Medikamente betrifft, und die entsprechende Beratung sind aber sicherlich schon jetzt, wie gesagt, unter den Hauptaufgaben der Apotheken.

Letzte Frage: Für Aufregung sorgt derzeit der sogenannte Sozialbetrugsgesetz und die Sorge der Ärzte vor Mysteryshoppern der Kassen. Werden künftig Ärzte und Apotheken von den Kassen bespitzelt?

Oberhauser: Nein. Zwischen dem, was die Ärzte darunter verstehen und auch plakatieren, und dem, was wir verstehen, liegen große Unterschiede. Es geht hier um groben Betrug und nicht darum, dass man Ärzte kriminalisiert, die jemanden mit Kopfweh krankschreiben, auch wenn kein detaillierter CT-Befund vorliegt. Es gab schon jetzt Stichproben, vor allem, wenn es einen begründeten Verdacht etwa durch Auffälligkeiten in Abrechnungen gab. 99,9 Prozent aller Ärzte arbeitet gut. Und ich denke, es muss im Interesse aller liegen, dass man „schwarze Schafe“ findet. Wer gut arbeitet, braucht sich nicht zu fürchten.