Darmmikrobiom bremst Adipositas

Fast jeder zweite Österreicher ist mit dem Körpergewicht und der Figur unzufrieden. Das ergab eine Umfrage, für die immerhin 1.272 Personen befragt wurden. 15,2 % der Befragten waren vollkommen unzufrieden mit ihrem Gewicht. Knapp 80 % der Studienteilnehmer haben bereits versucht, Kilos abzubauen, 62,6 % sogar schon mehrfach.1 Abseits von subjektiven Empfindungen belegen auch Daten aus dem heimischen Ernährungsbericht, dass Österreich ein Land der Leibesfülle geworden ist. Rund 40 % der Erwachsenen zwischen 18 und 64 Jahren sind übergewichtig, wobei 52 % der Männer und 28 % der Frauen zu viele Pfunde mit sich tragen. 15 % der Männer und rund 10 % der Frauen sind adipös. Der durchschnittliche Body-Mass-Index (BMI) beträgt bei Seniorinnen 28,8 und bei Senioren 27,9 kg/m2. Bis 2020 will man in der Problematik um Übergewicht und Adipositas eine Trendwende schaffen.2

In Bewegung bleiben

„Studien zeigen, dass Fitness der wichtigste prognostische Faktor für lange Gesundheit ist“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Bernhard Ludvik von der Ersten Medizinischen Abteilung mit Endokrinologie, Diabetologie, Nephrologie der Krankenanstalt Rudolfstiftung in Wien. Auch wenn zwischendurch einmal mehr gegessen wird, sollte man dies mit Bewegung ausgleichen. „Untersuchungen haben gezeigt, dass sich ein paar Extrakilos bei älteren Menschen und chronisch Kranken mit Nieren- oder Herzproblemen sogar eher günstig auswirken, sagt Ludvik. Der Experte weist aber auch auf die wichtigste Voraussetzung dabei hin, nämlich auf regelmäßige Bewegung, um die Fitness des Körpers zu erhalten. Es sei sogar besser, fit und leicht übergewichtig zu sein als schlank und unbeweglich.

Wenn man nach längerer Pause mit Bewegungseinheiten beginnt, sind nicht von Beginn an Wunderdinge in puncto Gewichtsreduktion zu erwarten. Interessant ist diesbezüglich eine aktuelle Schweizer Forschungsarbeit, in der man den Sauerstoffverbrauch von Übergewichtigen und Normalgewichtigen bei verschiedenen Aktivitäten verglich. Wer Zeit auf der Couch verbringt, verbraucht durchschnittlich 3,5 ml Sauerstoff/min/kg KG. Während sportliche Menschen auch in dieser Phase der Ruhe mehr als die 3,5 ml verbrauchen, liegen Übergewichtige sogar darunter. Das bedeutet, dass die Ruheverbrennung bei Übergewicht und Adipositas erniedrigt ist und die allgemeinen Grundumsatzformeln nicht angewendet werden sollten, da sie vom gleichen Basisverbrauch ausgehen. Je höher der BMI in der Studie war, desto geringer war auch der Sauerstoffverbrauch bei verschiedenen Aktivitäten. Die Erklärung dafür ist simpel: Muskelmasse setzt viel Sauerstoff in Energie um, Fettgewebe wenig.3

Unterschiede im Mikrobiom

Relativ neu von der Wissenschaft entdeckt wurde die Bedeutung der Darmflora für das Übergewicht. Prof. Ludvik dazu: „Diese beeinflusst jeder durch Antibiotikaeinnahme, aber auch durch den Lebensstil im Allgemeinen. Menschen, die in ein und demselben Haushalt leben, weisen sogar eine ähnliche Darmflora auf. Bei Übergewichtigen ist die Darmflora ziemlich eintönig.“ Im Darm von übergewichtigen und adipösen Menschen findet man häufiger den Bakterienstamm der Firmicutes, während das Auftreten der Bacteroidetes reduziert ist. Diese Verschiebung führt bei gleicher Zufuhrmenge zu einer veränderten Verwertung der Nahrung. Ein Überhang an Firmicutes erhöht die kalorische Ausbeute – sogar Ballaststoffe schlagen sich zu Buche. Man geht davon aus, dass ein Anstieg der Firmicutes um 20 % bei gleich großem Abfall der Zahl der Bacteroidetes die tägliche Verwertung der Nahrung um 150 kcal erhöht. Somit ist auch das Risiko für Übergewicht erhöht und bei bestehendem Übergewicht fällt die Reduktion schwerer als bei einem gut balancierten Darmmikrobiom.4 Es gibt sogar klimatische Einflüsse. US-Forscher fanden bei Menschen, die in nördlichen Regionen wohnten, mehr Firmicutes im Darm als bei südlicher lebenden Personen.5

Ungünstige Fettverteilung

„Am schädlichsten für die Gesundheit ist nach wie vor der ‚Speck‘ am Bauch“, betont Ludvik. Der ausschließliche Blick auf die Waage verrate daher zu wenig über den Gesundheitszustand eines Menschen. Neben mangelnder Bewegung und bestimmten Aspekten der Ernährungsweise trägt auch Stress zur Entwicklung des Bauchfetts bei. Bei erhöhtem Stress werden vermehrt Glukokortikoide ausgeschüttet. Weshalb das Fettgewebe aber vorwiegend im Bauch als viszerales Fett gebildet wird, war lange unklar, bis Forscher der MedUni Wien das Glukokortikoid-abhängige Gen „LMO3“ und das Enzym 11-βHSD1 als entscheidende Faktoren identifizierten. Man hat eine enge Korrelation von LMO3 und Enzym 11-βHSD1 im Bauchfett von adipösen Patienten festgestellt. Ver­änderungen in der Bildung von LMO3 werden durch einen erhöhten Glukokortikoidspiegel bewirkt. Katalysiert durch 11-βHSD1 löst LMO3 dann die Umverteilung in Richtung Bauchfett aus.6

Ernährungstipps

„Wer mehr isst, als er verbraucht, nimmt zu – das ist die simple Formel. Die Zusammensetzung der Nahrung spielt dennoch eine wichtige Rolle“, meint Apotheker Krone-Redakteur Mag. Martin Schiller, Ernährungswissenschafter und langjähriger Berater von übergewichtigen Personen. Wichtig sei es, vor allem den Zuckergehalt der Nahrung im Auge zu behalten. Das gilt nicht nur für Mehlspeisen und Süßigkeiten, sondern auch für Fertiggerichte und so manches fettarme Produkt, das sich bei näherem Hinsehen als beachtlicher Zuckerlieferant entpuppt. Vorsicht ist hier vor allem bei Joghurtdrinks geboten. „Ich sehe den hohen Zuckerkonsum und den Mangel an Bewegung als Hauptgründe für Adipositas in den westlichen Industrieländern an. Auch die Kombination Zucker-Fett-Alkohol begünstigt den Aufbau an Körperfettmasse“, erinnert Schiller. Kohlenhydrate seien per se nicht „böse“ und müssen nicht in großem Maße eingespart werden, um Gewicht zu verlieren. Jene in Vollkornprodukten und Hülsenfrüchten sind als nachhaltiger Energielieferanten sogar sehr wertvoll für den Körper. Sie führen außerdem zu einem guten Sättigungsgefühl. Untersuchungen zeigen außerdem, dass eine hohe Essgeschwindigkeit in engem Zusammenhang mit der Entwicklung von Übergewicht steht. Die Verdauung läuft bei langsamerem Essen besser. Außerdem ist die Sättigungswahrnehmung verstärkt. „In einer japanischen Studie hat man zum Beispiel festgestellt, dass Männer, die sehr schnell essen, täglich im Schnitt 2.240 kcal zu sich nahmen. Jene Versuchsteilnehmer, die normal schnell aßen, führten nur 2.100 kcal zu“7, erklärt Schiller.
Welche Hilfe kann die Pharmazie zusätzlich geben? „Stark übergewichtige Personen können von Eiweißdiäten oder Fettblockern profitieren. In diesem Fall ist aber ein ausführliches Beratungsgespräch notwendig“, betont Apotheker Krone-Expertin Mag. pharm Astrid Janovsky. „Ein großes Augenmerk liegt dabei auf der Analyse der Ernährungsgewohnheiten und einer damit verbundenen ausführlichen Ernährungsberatung. Hier geht es schließlich nicht um ein „Zusammenreißen“ für ein paar Wochen, sondern um eine echte Änderung des Lebensstils.“

Fettstoffwechselstörungen

Sekundäre Fettstoffwechselstörungen sind eine häufige Folge von starkem Übergewicht. Typische Veränderungen sind hohe Triglyzeridwerte, ein niedriges HDL-Cholesterin sowie ein hohes Gesamt- und LDL-Cholesterin. Meist verursachen Fettstoffwechselstörungen keine Symptome. Nur massive Hypertriglyzeridämien geben Anlass zu eruptiven Xanthomen an druckbelasteten Stellen, also dem Gesäß, den Ellenbogen und dem adipösen Bauch.8
Bereits geringfügige Unterschiede im Lipidprofil von Jugend an können das koronare Risiko entscheidend beeinflussen. Jeder zweite junge Erwachsene mit einem erhöhten LDL-Cholesterinspiegel hat bereits 20 Jahre ausgeprägte atherosklerotische Gefäßbefunde. Durch eine Umstellung der Ernährung kann das LDL-Cholesterin im Plasma um 10–15 % und damit das Herzinfarktrisiko um rund 20 bis 30 % gesenkt werden. Der Austausch von gesättigten Fetten gegen Omega-6-Fettsäuren führt über die Aktivierung des LDL-Rezeptors und die Verringerung der Cholesterin-Biosynthese in der Leber zum einem Absinken des LDL-Cholesterins. Der senkende Effekt der Omega-6-Fettsäuren ist allerdings nur halb so groß wie die LDL-erhöhende Wirkung der gesättigten Fettsäuren. Besonders positiv auf den LDL-Cholesterinspiegel dürfte sich einer ganz aktuellen Publikation zufolge Rapsöl auswirken. Die Studie des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) hat gezeigt, dass der tägliche Konsum von 50 g Rapsöl im Vergleich zu Olivenöl bei übergewichtigen Männern schon nach vier Wochen den Cholesterinspiegel senkt und die Leberwerte verbessert. Das raffinierte Rapsöl und das kaltgepresste Olivenöl wurden in Form von Saucen oder Pesto verzehrt und wiesen den gleichen Gehalt an Polyphenolen auf. Im Vergleich zur Olivenölgruppe senkte sich der LDL-Cholesterinspiegel durch Rapsöl um 0,45 mmol/l. Der Wert für das Enzym Aspartat-Aminotransferase, das Aussagen zu Lebererkrankungen und -schädigungen macht, sank um 18 %.9

Immer wieder wird die Bedeutung der glykämischen Last (GL) für Stoffwechselstörungen, Diabetes, Adipositas und das metabolische Syndrom erforscht. Die glykämische Last (GL) ist das Produkt des glykämischen Index (GI) und der verwertbaren Kohlenhydratmenge (in g) pro Portion eines Lebensmittels, dividiert durch 100. Sie ist ein Indikator der glykämischen Antwort auf eine Lebensmittelportion beziehungsweise des dadurch ausgelösten Insulinbedarfs. Drei Kohortenstudien legen nahe, dass die GL in einem möglichen Zusammenhang mit dem Adipositasrisiko bei Erwachsenen steht. Positive Effekte einer Ernährung mit niedriger glykämischer Last dürften sich in Bezug auf das HDL-Cholesterin und die Triglyzeridwerte einstellen. Bei Frauen zeigten sich außerdem Zusammenhänge mit einem niedrigeren Risiko für die koronare Herzkrankheit. Eine Berücksichtigung der glykämischen Last dürfte vor allem bei Menschen mit schlechten Blutfettwerten Sinn ergeben.10