„Ein Grünes Rezept brächte viele Vorteile“

Apotheker Krone: Die IGEPHA sieht sich als Verband der OTC-Hersteller als Informationsdrehscheibe zur Verbesserung der Selbstmedikation. Wie sehen Sie die aktuelle Entwicklung im OTC-Markt in Österreich?

Christina Nageler: IMS-Marktdaten aus dem Vorjahr belegen, dass die Österreicher pro Jahr rund 750 Millionen Euro für rezeptfreie Produkte ausgeben. Drei von zehn am österreichischen Apothekenmarkt verkauften Packungen sind rezeptfrei. In den Apotheken sorgt der Verkauf von rezeptfreien Arzneimitteln und Gesundheitsprodukten für einen positiven Beitrag, während der Rx-Bereich seit Jahren mehr oder weniger stagniert. Das kontinuierliche und überdurchschnittliche Wachstum des rezeptfreien Bereiches unterstreicht den hohen Stellenwert des OTC-Marktes für die Gesundheitsversorgung der Österreicher. Ich bin jedoch überzeugt, dass wir immer noch einen Nachholbedarf in Bezug auf eine nachhaltige Verankerung der Self Care haben: Die Marktanteile des rezeptfreien Segments erreichen in Österreich noch längst nicht jene Dimension, die in anderen europäischen Ländern üblich ist.

Wie soll das funktionieren? Was muss hier passieren?

Nageler: Das große Potenzial der Selbstmedikation könnte durch einen breiteren Zugang zu OTC-Präparaten weiter erhöht werden. Daher fordert die IGEPHA eine EU-weite Harmonisierung des Katalogs rezeptfreier Wirkstoffe und appelliert an die österreichische Rezeptpflichtkommission, den Status quo an den europäischen Standard anzunähern. Wenn zum Beispiel ein Präparat bereits in einem Drittel der EU-Staaten verschreibungsfrei erhältlich ist, sollte es auch in Österreich aus der Rezeptpflicht entlassen werden – so lautet unsere Forderung. Bedauerlicherweise steht den Österreichern immer noch ein weitaus geringeres Angebot rezeptfreier Präparate zur Verfügung als in vergleichbaren anderen EU-Staaten.

In Deutschland können Ärzte den Patienten auch OTC-Produkte verordnen. Was halten Sie von so einem so genannten „Grünen Rezept“?

Nageler: Seit seiner Einführung im Jahr 2004 erfährt das Grüne Rezept in Deutschland sowohl seitens der Ärzte als auch seitens der Patienten eine hohe Akzeptanz. 80 Prozent der Hausärzte in Deutschland verwenden das Grüne Rezept regelmäßig, und 90 Prozent der Grünen Rezepte werden eingelöst – dieser Wert entspricht jener Compliance, die auch bei Rx-Rezepten gemessen wird. Ich bin davon überzeugt, dass das Grüne Rezept auch in Österreich erfolgreich eingeführt werden könnte. Der Arzt profitiert dabei durch eine intensivere Patientenbindung und die Möglichkeit, bei geringfügigen Beschwerden und leichten Erkrankungen klinisch geprüfte OTC-Präparate mit erwiesener Wirkung und hohem Sicherheitsprofil als adäquate Therapie leichter empfehlen zu können. Gleichzeitig werden die Krankenkassen entlastet, weil OTC-Präparate in der Regel von den Patienten selbst zu bezahlen sind. Diese wiederum eignen sich durch die arztgestützte Empfehlung eine gewisse Gesundheitskompetenz an.

Welche Herausforderungen sehen Sie generell auf die Apotheken zukommen?

Nageler: Die Apotheken klagen über sinkende Rx-Umsätze, gleichzeitig sind sie mit steigenden laufenden Ausgaben konfrontiert. Durch Umschichtungen in den OTC-Bereich können sich die Apotheker ein sehr positives Potenzial eröffnen – jeder Prozentpunkt mehr Privatumsatz macht die Apotheke unabhängiger vom Kassenumsatz, und darüber hinaus leisten die Apotheken dadurch einen signifikanten Beitrag zur Entlastung des kassenfinanzierten Gesundheitssystems. Die Median-Apotheke generiert zurzeit einen Umsatz von 2,3 Millionen Euro. Dieser verteilt sich auf 30 Prozent Privatumsatz und 70 Prozent Kassenumsatz. Eine konsequent umgesetzte Self-Care-Strategie stützt also nicht nur den wirtschaftlichen Erfolg der Apotheken, sondern nützt dem Gesundheitssystem im Allgemeinen und dem einzelnen Patienten unmittelbar im Besonderen.

Kommen wir noch zu zwei aktuellen, EU-induzierten Themen: dem Versandhandel und der neuen Medizinprodukteverordnung. Welche Position nimmt die IGEPHA zum Arzneimittelversandhandel ein?

Nageler: Wir haben uns aus Sicherheitsaspekten heraus stets gegen die unkritische Liberalisierung der Vertriebswege ausgesprochen. Die internationale Entwicklung zeigt auch, dass sich die positiven Auswirkungen des Arzneimittelversandhandels auf die wirtschaftliche Situation der OTC-Industrie in Grenzen halten. Im Rahmen des Begutachtungsverfahrens haben wir zum Entwurf der Fernabsatzverordnung Stellung genommen und auf Schwachstellen hingewiesen. Da die Freigabe des Versandhandels, unter dem Primat des freien Warenverkehrs in der Europäischen Union dennoch absehbar und aufgrund ausländischer Internetapotheken, die nach Österreich liefern, ohnehin schon Realität war, galt unser Interesse der weitestgehenden Gleichstellung österreichischer Versandapotheker mit dem Mitbewerb aus dem Ausland. Seit Ende Juni 2015 ist nun der Versand von rezeptfreien Arzneimitteln auch österreichischen Apotheken gestattet – Angebot und Nachfrage halten sich, wie zu beobachten ist, in Grenzen.

Aktuell wird auf EU-Ebene eine Medizinprodukteverordnung diskutiert. Was ist hier zu erwarten?

Nageler: Der Entwurf für die EU-weit gültige Medizinprodukteverordnung hat extrem kontrovers geführte Diskussionen ausgelöst, wobei sich das EU-Parlament weitgehend der Argumentation der von der IGEPHA und der EU-Dachorganisation AESGP vertretenen Hersteller von stofflichen Medizinprodukten angeschlossen hat. Wir haben mehrfach auf nationaler Ebene und – vertreten durch die AESGP – auf EU-Ebene darauf hingewiesen, dass eine Verschärfung der regulatorischen Anforderungen große Teile der bewährten und sicher angewendeten stofflichen Medizinprodukte vom Markt verdrängen könnte. Den Verbrauchern würden dann Produkte wie bestimmte Augen- und Nasentropfen, Lutschbonbons gegen Halsschmerzen, Abführmittel und Mittel gegen Blähungen nicht mehr als rezeptfreie Therapieoption zur Verfügung stehen.

Was sind Ihre Forderungen?

Nageler: Wir setzen uns nachdrücklich dafür ein, dass die stofflichen Medizinprodukte im Rahmen der EU-Medizinprodukteverordnung nicht von der Gruppe der Low-risk-Produkte in die höchste Risikoklasse III verschoben werden. Auch die Anwendung arzneimittelspezifischer Anforderungen für Medizinprodukte lehnen wir ab, da bei Medizinprodukten per definitionem keine pharmakologische Wirkung vorliegen kann. Noch im Herbst 2015 sollen in den Gesprächen über die Medizinprodukteverordnung wesentliche Fortschritte erzielt werden, das Thema steht auch im Mittelpunkt der AESGP-Konferenz Mitte Oktober.