Fälschungsskandal: Versandhandel brandgefährlich

Unterfrankierte Pakete mit Arzneimittelfälschungen, die an österreichische Apotheken als vermeintliche Absender der Ware retourniert wurden, waren der Stein des Anstoßes für den größten Schlag gegen die organisierte Arzneimittelkriminalität in Europa. Zu Beginn war nur eine Apotheke betroffen, im Verlauf kamen fünf weitere dazu. In eine Apotheke gelangten gar 400 unterfrankierte Pakete, und das ist nur die Spitze des Eisbergs. „Die zustellenden Postboten konnten sich nicht vorstellen, dass der Absender gefälscht werden kann, was auch auf die Konsumenten zutrifft. Das besonders Perfide daran ist, dass die Konsumenten auf die Originalität der Ware vertrauen, da eine österreichische Apotheke als Qualitätssiegel gilt“, schildert Wellan. Dem nicht genug, kamen betroffene Kunden auch direkt in die Apotheken bzw. haben in der Apothekerkammer angerufen und sich über offensichtlich gefälschte Präparate beschwert. „Damit hat der Ruf der Apotheke großen Schaden genommen“, ist Wellan besorgt.

Österreich als Schauplatz der Kriminellen

Eine Sonderkommission des Bundeskriminalamts hat vor rund 2 Jahren unter dem Decknamen „Operation Vigorali“ gemeinsam mit Großbritannien, Frankreich und Spanien sowie mit der Beteiligung von Europol, Eurojust und auch der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungs­sicherheit (AGES) Ermittlungen aufgenommen. Am 1. September klickten dann im Wiener Hotel Bristol die Handschellen. Der Leiter der Sonderkommission, Major Dieter Csefan, BA, berichtet: „Die Arzneimittel, vor allem namhafte Potenzmittel, wurden auf unzähligen Websites, u. a. www.apotheke-austria.com, als Originalprodukte angeboten und über Online-Bestellungen verkauft.“ Die AGES hat einige der Fälschungen analysiert. Dr. Christoph Baumgärtel, AGES, schildert: „In den Proben befand sich faktisch nie der behauptete Wirkstoff, es gab auch keine Beipacktexte. Angeboten wurden bspw. Sibutramin-Tabletten (Reductil®) mit einer erhöhten Wirkstoffkonzentration von 185 %! Das ist potenziell gefährlich, wurde das Präparat doch vor Jahren wegen möglicher schwerer Nebenwirkungen (Blutdruckerhöhung, Herzrasen etc.) vom Markt genommen. Perfid an dieser Fälschung war, dass sie als ‚reine‘ chinesische Kräutermischung angeboten wurde.“
Die in Österreich agierende Tätergruppe übernahm die gefälschten Arzneimittel von einer Spedition und war für die Verpackung und den weltweiten Versand via Slowakei, Deutschland und Österreich verantwortlich.“ Damit wird deutlich, dass Österreich zum Zentrum der Arzneimittelkriminalität avanciert ist und neue Strategien angewandt werden. „Früher waren Arzneimittelfälschungen immer weit weg. Die Hintermänner saßen in Südostasien und haben einzelne Postsendungen versandt. Heute sitzt die organisierte Arzneimittelkriminalität mitten in Wien und schafft es, ganze Ladungen unter Umgehung des Zolls ins Land einzuführen und lokal zu verteilen. Es wurden professionelle Web­sites und sogar Kunden-Callcenter aufgebaut“, macht Wellan aufmerksam.

Fernabsatz europaweit revidieren

Die Rechtsabteilung der Österreichischen Apothekerkammer hat in den letzten Jahren eine Vielzahl an Klagen gegen ausländische Firmen eingereicht, die ein Fehlverhalten aufgezeigt haben. Wellan: „Der europäische Rechtsraum existiert zwar theoretisch, praktisch hat man gegen Internetseitenbetreiber, Speditionen oder sogar ausländische Apotheken keine Handhabe.“
Die Liberalisierung des Versandhandels im Juni des kommenden Jahres wirkt vor diesem Hintergrund wie ein Schreckgespenst: „Auf der einen Seite haben wir den riesigen Schwarzmarkt mit skrupellosen Kriminellen und auf der anderen Seite den Versandhandel durch österreichische Apotheken. Wir haben immer darauf aufmerksam gemacht, dass Kunden nur schwer zwischen einem seriösen und einem kriminellen Angebot unterscheiden können. Das nun veröffentlichte Sicherheitslogo für Websites suggeriert eine Scheinsicherheit. Wer ein Arzneimittel zu fälschen vermag, wird an einem simplen Logo nicht scheitern“, kritisiert Wellan.
Fakt sei auch, dass in Ländern, in denen der Versandhandel erlaubt ist, immer mehr Fälschungen auftreten, weshalb Wellan einen Umkehrschwung der EU fordert: „Wir befürchten, dass auch Österreich mit der Einführung des Versandhandels für Kriminelle interessanter wird und mehr Fälschungen auf den Markt kommen werden. Alle bisher gesetzten Gegenmaßnahmen – auch in anderen Ländern, wie den USA – greifen nicht. Wir haben immer davor gewarnt, die ‚Operation Vigorali‘ ist nun der endgültige Beweis dafür, dass die Einführung des Versandhandels mit Arzneimitteln ein großer Fehler war. Unsere Forderung auf europäischer Ebene lautet daher: Der Versandhandel mit Arzneimitteln muss dringend revidiert werden!“
Auch vor dem Parallelhandel habe die Apothekerkammer immer gewarnt, so Wellan, da er ein Risiko birgt, dass Fälschungen eingeschleust werden. Die jüngsten Fälschungsfälle von Herceptin in Italien und die mittlerweile 65 anderen betroffenen Arzneimittel in Europa zeigen, dass es strengerer Reglementierungen beim Parallelimport und -export bedarf.
Insgesamt ist klar, dass der beste und sicherste Ort des Arzneimittelbezugs die öffentliche Apotheke ist und bleibt. Dort übernimmt der Apotheker die Verantwortung, er ist jederzeit verfügbar, und die Arzneimittel durchlaufen strenge Sicherheitsmaßnahmen.

Reaktion der Pharmig

Der Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs (Pharmig) und die pharmazeutische Industrie arbeiten angesichts des hohen Bedrohungspotenzials durch gesundheitsgefährdende Arzneimittelfälschungen mit Hochdruck und auf internationaler Ebene an Modellen, um die Fälschungssicherheit der Produkte zu erhöhen. „Das bedeutet europaweite Investitionen von bis zu elf Milliarden Euro“, so Dr. Jan Oliver Huber, Generalsekretär der Pharmig.

Mehr zum Thema Versandhandel und Fälschungen, aber auch zu anderen Themen aus der Standespolitik erfahren Sie im Rahmen der Vortragsreihe „NEUES aus der KAMMER“.

Termine: 30. September, Innsbruck | 8. Oktober, Graz | 9. Oktober Salzburg | 15. Oktober, Wien | 10. November, Vorarlberg

Ort: jeweilige Landesgeschäftsstelle

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