Gender-Aspekten Beachtung schenken

Ein bekannter Buchtitel lautet „Männer sind anders. Frauen auch“ und bezieht sich auf unterschiedliche Kommunikationsebenen im täglichen Beziehungsdschungel. Tatsächlich verhält es sich in der Medizin und Ernährungswissenschaft ebenso. Biologische Unterschiede zwischen Frauen und Männern spielen bei Entstehung, Erkennung und Therapie von Krankheiten sowie bei Präventionsmaßnahmen eine wichtige Rolle. Wissenschaft­liche Studien zeigen, dass sich Frauen und Männer hinsichtlich ihres Gesundheitsbewusstseins, ihres Gesundheitsverhaltens, ihres Krankheitsspektrums sowie ihrer Krankheitsbewältigung deutlich unterscheiden. Sie essen anders, verstoffwechseln Arzneimittel-Wirkstoffe unterschiedlich, rauchen aus anderen Gründen und leiden auf verschiedene Arten. Natürlich gilt es dabei zu beachten, dass Frauen und Männer keine homogene Gruppe darstellen und einige Unterschiede auch von anderen sozioökonomischen Variablen wie der sozialen Schicht, der Lebensform, des Bildungs- oder Migrationshintergrundes abhängig sind.1

„Schon der Grund- und Energiestoffwechsel ist bei Männern und Frauen sehr unterschiedlich“, erklärt Mag. pharm. Andreas Berger, Apotheker in Wien. „Das gilt auch für Medikamente. Die Wirkung ist zwar nicht unbedingt anders, kann aber stärker oder schwächer ausgeprägt sein, je nachdem, welches verstoffwechselnde Enzym betroffen ist. Anders zu behandeln sind Hormonpräparate, da diese andere Wirkungen bei Männern als bei Frauen zeigen.“

Auch bei Herz-Kreislauf-Krankheiten gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede, wie Univ.-Prof. Dr. Heinz Kölbl erläutert. „Bei Herzinfarkten kommt es bei Frauen doppelt so häufig zu Todesfällen wie bei Männern.“ Auch die Symptomatologie sei anders: „Bei Frauen beginnt es eher mit Embolien oder Thrombosen, beim Mann sind Symptome klarer zuordenbar.“ Das Alter wiederum sei bei beiden Geschlechtern relevant. „Frauen können bis zu den Wechseljahren auf einen protektiven Effekt zählen, danach nimmt dieser allerdings signifikant ab“, so Kölbl.

Empfehlungen in der Apotheke

Die Apotheke kann besonders in speziellen Abschnitten und Phasen des Lebens der Frau mit gezielten Empfehlungen und Produkten helfen. Ein Beispiel dafür ist das prämenstruelle Syndrom. „Verantwortlich dafür wird das Hormon Prolaktin gemacht. Dieses wird durch Mönchspfeffer gesenkt“, so der Rat des Pharmazeuten Berger. „Auch die Traubensilberkerze wird nicht nur in der Menopause bei typischen Frauenleiden verwendet. Bei Stimmungsschwankungen wird auch hier Johanniskraut eingesetzt. Bei Heißhungerattacken empfehle ich neben Sport vor allem Grünen Tee.“ Auch in Bezug auf Verhütung kann die Apotheke einen wertvollen seriösen Dienst an der Frau leisten, sei es im Bereich der oralen Kontrazeption oder hinsichtlich der Pille danach.

Blasen- und Harnwegsinfekte gehören zu häufigen Leiden der Frau. Ständiger Drang, auf die Toilette zu gehen, Jucken und Brennen – dies ist nicht nur unangenehm, sondern kann auch chronisch werden. Viel Flüssigkeit zum Ausschwemmen der Bakterien kann Abhilfe schaffen, aber auch Pflanzen, wie Birkenblätter, Goldrutenkraut oder Brennnesseln.

Auch im Bereich der Ernährung gibt es große Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Das männliche Geschlecht isst wesentlich mehr Fleisch und Wurst, greift öfter zu einem Gläschen Alkohol und nimmt Obst nur in Maßen zu sich. Frauen hingegen sind sparsam beim Fleisch und essen deutlich mehr Obst und Gemüse – laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung (DGE) sogar um ein Drittel mehr. Die Lebensmittelindustrie ist auf diesen Gender-Food-Zug längst aufgesprungen und versucht teilweise, ihre Produkte auf das abweichende Konsum- und Ernährungsverhalten der Geschlechter abzustimmen. Beispiele dafür sind Anti-Falten-Konfitüren, ein spezielles Frauen-Bier oder Mineralwasserflaschen in Form einer schlanken Frau.2 Die Genetik oder der biologische Unterschied dürften – abgesehen vom Energiebedarf und speziellen Lebensphasen wie Schwangerschaft und Stillzeit – für unterschiedliches Kaufverhalten bei Nahrungsmitteln aber nur eine untergeordnete Rolle spielen. Vielmehr ist das Essverhalten kulturell geprägt und wird maßgeblich von Rollenbildern beeinflusst. Die Art und Weise, wie man sich ernährt, wird von den Erziehenden stark geprägt, weshalb die männliche Präferenz für Fleisch und die weibliche Vorliebe für Salat oft nur tradiert sind und nicht zwangsläufig biologisch begründet. Die alten Klischees befinden sich zudem im Wandel. Ernährung wird heute immer mehr von Motiven geprägt, seien es Ökologie und Nachhaltigkeit, Tierschutz, Regionalität oder der Fair-Trade-Gedanke. Diese Motive sind bei beiden Geschlechtern ausgeprägt und heben sich vom alten Rollenverständnis ab.

Sehr wohl Unterschiede gibt es beim Bedarf an Mikronährstoffen. In den D-A-CH-Referenzwerten für die Nährstoffzufuhr sind Empfehlungen geschlechtsspezifisch aufgelistet und zeigen abweichende Bedürfnisse. So liegt beispielsweise der Vitamin-E-Bedarf bei erwachsenen Männern im Alter von 25–51 Jahren (14 mg pro Tag) höher als jener von gleichaltrigen Frauen (12 mg). Der Magnesiumbedarf der Frau ist etwas niedriger, hingegen sind die Vorgaben für die Eisenzufuhr höher.3 Auch die Art und Weise, wie man Zielgruppen anspricht, um sie zum Kauf eines Produkts zu animieren, sollte geschlechtsspezifisch erfolgen. Männer greifen vermutlich eher zu Zink, wenn man ihnen kommuniziert, dass dieses Spurenelement für den Erhalt des Testosteronspiegels wichtig ist, oder dass Selen für die Abwehrkräfte von Bedeutung ist. Frauen können mit Aussagen zu Haut, Haaren und Verdauung motiviert werden. Natürlich spielen auch Aufmachung und Optik des Produkts eine ganz wichtige Rolle.

Literatur:
1 Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, 01. 03. 2011
2 Pratter U et al., Foodnews.at, 27. 11. 2009
3 Deutsche Gesellschaft für Ernährung: D-A-CH-Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr