Industrie reicht Apotheken gegen dm, Billa und Co die Hand

Der jüngste Vorstoß des Handels zur Öffnung des Marktes für rezeptfreie Arzneimittel stößt nicht nur bei den Apotheken auf wenig Gegenliebe. Auch Gesundheitsministerin Dr. Sabine Oberhauser (SPÖ) bremst im Interview mit der Apotheker Krone (Seite 6/7). Sie sehe für eine Aufweichung der Apothekenpflicht in Österreich keinen Anlass, sagt die Ministerin: „In Österreich haben wir aus gutem Grund die Apothekenpflicht.“

Ähnliche Töne kommen auch aus der Industrie. Die meisten OTC-Unternehmen stehen Lieferungen an den Handel eher reserviert gegenüber. „Wir haben in der Vergangenheit mit Nahrungsergänzungsmitteln und Medizinprodukten sehr schlechte Erfahrungen mit den großen Handelsketten gemacht – Stichwort Listungsgebühren, Mindestmengen, Werbebudgets“, sagt Mag. pharm. Martin Peithner, Geschäftsführer des gleichnamigen Unternehmens und der Austroplant-Arzneimittel GmbH. Er werde deshalb im Falle einer Marktöffnung dm nicht beliefern, kündigt ­Peithner an. Durch die „Rosinenpickerei“ des Handels würden „wir unseren Kunden, den Apotheken, auch für unser restliches Sortiment die wirtschaftliche Basis nehmen“, argumentiert er seine Überlegungen und warnt zudem vor Nebenwirkungen. Es gebe auch im OTC-Bereich Arzneimittel, die teilweise massive Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln oder sogar Nahrungsmitteln hervorrufen könnten, wie Aspirin und Johanniskraut. „Selbst wenn die Mitarbeiter von dm routinemäßig Kontrollfragen stellen würden, sie könnten mit diesen Informationen gar nichts anfangen, da sie die anderen Arzneimittel gar nicht kennen“, vermutet der Pharmazeut.

Ratiopharm-Geschäftsführer Dr. Martin Spatz teilt die Meinung der Apotheker, dass ein Verkauf von Arzneimitteln, auch wenn diese nicht verschreibungspflichtig sind, ohne Beratung durch einen geschulten Pharmazeuten nicht erfolgen darf. „Ein Fehlen der Verschreibungspflicht wurde seitens der Behörde ja nur deswegen gestattet, weil durch die gleichzeitige Apothekenpflicht die Beratung des Patienten garantiert ist“, sagt er und ergänzt: „Wir würden aus diesem Grund Nicht-Apotheken nicht mit Arzneimitteln beliefern, ganz egal ob diese verschreibungspflichtig sind oder nicht.“ Bei GSK Consumer Healthcare verweist man wiederum auf eine Aussage von Dr. Gerhard Lötsch, Präsident der IGEPHA, die man inhaltlich voll untersütze: „Maßnahmen, die zu einer weiteren Liberalisierung der Vertriebswege für freiverkäufliche Arzneimittel führen könnten, halten wir aus Gründen der Arzneimittelsicherheit nicht unbedingt für vorteilhaft. Die Apotheke mit ihren pharmazeutisch hervorragend geschulten Mitarbeitern ist aus meiner Sicht der ideale Ort für den Verkauf von Arzneimitteln“, sagt Lötsch.

Skeptisch zeigt sich auch Mag. Anita Frauwallner, Geschäftsführerin des Instituts Allergosan: „Wir schätzen die Kompetenz und Beratungstätigkeit der Apothekerinnen und Apotheker und pharmazeutisch-kaufmännisch AssistentInnen sehr und würden deshalb Drogerieketten und Lebensmittelgeschäfte nicht beliefern.“ Das Institut Allergosan habe für Apothekenbeschäftigte seit fast einem Jahrzehnt mit großem Erfolg eine eigene Fachakademie für Darmgesundheit installiert. „Mehrere tausend ApothekenmitarbeiterInnen haben diese mittlerweile absolviert. Diesen erfolgreichen Weg wollen wir gemeinsam mit den Apotheken zum Nutzen ihrer Kunden weitergehen.“ Die Apotheke als Beratungs- und Kompetenzzentrum werde durch OMNi-BiOTiC® immer gestärkt werden.

Auch das Grazer Unternehmen Apomedica (Dr. Böhm®, LUUF®) bekennt sich auf Anfrage der Apotheker Krone ausdrücklich zur Apotheke als Gesundheitszentrum. Die Apotheker seien wichtige Partner. „Als Arzt und Unternehmer halte ich es für keine gute Idee, wenn teilweise recht komplexe Präparate – und auch diese gibt es im OTC Bereich –, wo Wechselwirkungen, Verträglichkeit und Einnahmegenauigkeit eine Rolle spielen, über Drogeriemärkte vertrieben werden. Da fühle ich mich beim Apotheker schon wesentlich wohler“, sagt auch Dr. Erwin Klein, Geschäftsführer von easypharm. Er glaube, so gehe es auch den meisten Patienten: „Hat man ein Problem oder ist krank, geht man gerne zum Fachmann.“ Es sollte nicht selbstverständlich sein, an diesem Kuchen ohne zusätzliche Qualifikation „mitzunaschen“, argumentiert er und gibt seiner Branche auch einen Gedanken mit: „Ich hoffe, die Industrie hat genügend Rückgrat und beliefert, ein positives VfGH-Urteil vorausgesetzt, die Drogeriemärkte nicht zu niedrigeren Preisen, nur der kurzfristigen Erfolge wegen.“ Er werde dies jedenfalls nicht machen. „Das bin ich den langjährigen und angenehmen Kontakten zu den Apothekern schuldig.“ Eine klare Positionierung gibt es auch von ERWO-Pharma-Geschäftsführer Dr. Erwin Wolensky: „Ich denke, dass OTC-Präparate in die Apotheke gehören. „Wir sehen uns jedenfalls als Partner der Apotheken und werden Drogeriemärkte nicht beliefern.“ Ähnlich argumentiert man auch bei Boehringer Ingelheim, wo man zwar den Verkauf von Nahrungsergänzungsmitteln und Medizinprodukten über Drogerie- oder Lebensmittelmärkte als durchaus denkbar erachtet, „registrierte rezeptfreie Arzneimittel mit medizinisch wirksamen Inhaltsstoffen sollten nur in Apotheken abgegeben werden, da nur dort eine entsprechende Fachberatung gewährleistet ist“.

Etwas differenzierter argumentieren andere Hersteller, wenn auch sie sich zu den Apotheken bekennen. Bei Bayer Austria will man aufgrund des offenen Verfahrens noch keine verbindlichen Aussagen über zukünftige Geschäftsmodelle machen. „Bayer verpflichtet sich zu Fairness im Wettbewerb und sichert seinen Kunden Zugang zu den Bayer-Produkten. Wichtig für uns ist eine adäquate Versorgung der österreichischen Bevölkerung mit rezeptfreien Arzneimitteln. Bayer ist und bleibt ein langjähriger und zuverlässiger Partner der österreichischen ApothekerInnen.“

Hintergrund für die Skepsis der Industrie dürfte auch die Sorge um die breiten Vertriebskanäle sein, die Martin Peithner zu einer grundsätzlichen Überlegung veranlasst: „Wir haben in Österreich ein gut funktionierendes System der Arzneimittelversorgung für die Bevölkerung. Dieses System garantiert einerseits eine schnelle und, durch das Konzessionssystem, wohnortnahe Versorgung sowie fachlich hochwertige Beratung.“ Es seien inzwischen fast ein Drittel der Apotheken in der Verlustzone. „Jede grundlegende Abweichung würde automatisch die gesamte Versorgungskette in Frage stellen, denn die Apotheken überleben heute fast nur noch durch OTC-Produkte, da die Spannen bei den rezeptpflichtigen Arzneimitteln aufgrund der kalten Progression im degressiven Aufschlagssystem inzwischen die niedrigsten Spannen im gesamten Handelsgewerbe sind“, sagt Peithner.

Die Berichterstattung der Apotheker Krone schlägt weitere Wellen. Nun äußern sich zahlreiche Pharmafirmen zum brisanten Thema.