Kostendruck geht allen an die Nieren

Während die Apotheker in den kommenden Tagen bei ihren Fortbildungsgesprächen in Schladming über Fortschritte in der Behandlung chronischer Niereninsuffizienz diskutieren, droht der Gesundheitsreform ein Nierenversagen: Die Kranken­kassen erwarten für 2015 und 2016 wieder rote Zahlen. Der Grund sind neben steigenden Arzneimittelausgaben durch neue Produkte in den Bereiche Onkologie, Rheumatologie und Hepatitis die jüngsten Honorarstreitigkeiten mit Krankenhausärzten und nicht zuletzt die Wirtschaftsflaute.

Dabei galten die Krankenkassen eigentlich als saniert. Doch jetzt sind die Rahmenbedingungen plötzlich alles andere als rosig: Seit der zweiten Jahreshälfte des Vorjahres sind die Medikamentenkosten um acht Prozent gestiegen, rechnen die Kassen vor. Einer der Gründe sind neue und sehr teure Medikamente. Damit schwingt das Pendel der jüngsten Einsparungen zurück, als die Krankenkassen von Patentabläufen wichtiger Produkte und von einem Schub an günstigen Generika profitierten. Damit hat die Pharmaindustrie in den vergangenen Jahren viel zur Kassensanierung beigetragen. Die Branche sprach sogar von einer „Patentklippe“. Jetzt scheint es aber, als stünden die Kassen wieder am Abgrund.

Was dramatisch klingt, ist es für sich allein noch nicht. Immerhin sind die Kassen ja dazu da, neue Produkte zu bezahlen und Patienten zu helfen. Sie haben aber aktuell ein weit größeres Problem: Die Einnahmen sinken, weil sich die Gesamtwirtschaft schleppend entwickelt. Das geringe Wirtschaftswachstum und die nicht zuletzt dadurch bedingte steigende Arbeitslosigkeit dämpfen die Einnahmen der Kassen.
Dazu kommen regionale Unterschiede: Bundesländer mit einem hohen Einkommensniveau – etwa durch viele Industriearbeitsplätze – tun sich leichter als Länder mit einem hohen Anteil an Pensionisten. So stiegen etwa für die Vorarlberger GKK die Beitragseinnahmen zwischen 1999 und 2013 um 69,5 Prozent. Die Wiener GKK verzeichnete hingegen nur ein Plus von 55,1 Prozent, weil viele Indus­triearbeitsplätze aus der Bundeshauptstadt abgezogen wurden. „Zudem wurden den Kassen rund 100.000 Vertragsbedienstete per Gesetz weggenommen und zur Beamtenversicherung verschoben“, sagt WGKK-Obfrau Ingrid Reischl. Die BVA wurde so saniert und hatte ein Beitragsplus von 79,7 Prozent.

Mit den jüngsten Debatten über höhere Gehälter und kürzere Arbeitszeiten für Spitalsärzte könnte sich die Situation weiter verschärfen, schätzt die Gesundheitsökonomin Maria Hofmarcher. „Auch mit den geplanten Umschichtungen wird es netto mehr kosten, und damit werden die gesamten Gesundheitsausgaben steigen. Denn den Ärzten dürften weitere Berufsgruppen mit Ansprüchen für mehr Geld folgen.“ Nicht zuletzt die Apotheker haben bereits angekündigt, dass sie für ihr Medikationsmanagement, das den Kassen sparen helfen soll, auch ein entsprechendes Honorar erwarten. Der Kampf der Ärzte weckt damit Begehrlichkeiten: Auch das Pflegepersonal möchte mehr Geld.

Die aktuellen Verhandlungen seien im Gegensatz zu den steigenden Arzneimittelkosten in den Planungen deshalb noch nicht eingepreist, rechnet Hofmarcher vor. Ab Mitte des Jahres dürften somit die Gesundheitsausgaben stark steigen und auch den in der Reform fixierten Kostendämpfungspfad, der die Ausgaben am BIP-Wachstum orientieren soll, verlassen. „Die Gesundheitsausgaben in dieser Situation ans BIP-Wachstum heranführen zu wollen ist eine Farce. Wir haben ja kein BIP-Wachstum.“

Umgekehrt würden die gesetzten Ziele, wie eine Verlagerung von Ambulanzbesuchen zu niedergelassenen Ärzten, nur zögerlich erreicht werden. So lange es keine Alternativen gebe, werde die Versorgung der Patienten weiterhin in den Krankenhäusern stattfinden. Durch die Erhöhung der Ärztegehälter würde es sogar wieder attraktiver für Mediziner, in Kliniken zu arbeiten, statt eine Praxis zu eröffnen.

Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger appelliert nicht zuletzt deshalb auch an die Ärzte, „ihre verständlichen Eigeninteressen hinter jene der Patienten“ zu stellen – so sagte der Vorstandsvorsitzender Peter McDonald als Reaktion auf die Ärztekammer-Kritik am Gesundheitssystem. Die Krankenkassen würden derzeit mit Hochdruck an der Realisierung von elf Pilotprojekten arbeiten, verwies McDonald auf die Pläne für den Ausbau der Primärversorgung. Somit würden ab dem kommenden Jahr außerhalb der Spitäler neue Formen von „wohnortnaher medizinischer Versorgung“ zur Verfügung stehen. Es gibt also Hoffnung, dass die mögliche Krise nur kurzfristig ist und die Gesundheitsreform doch mit Verzögerung wirkt.