„Mister Sovaldi“ verteidigt Hochpreis-Politik

Apotheker Krone: Sie gelten als Erfinder des Influenzamittels „Tamiflu“, und nun hat Ihr Unternehmen mit einem neuen, aber teuren Mittel gegen Hepatitis C für Aufregung gesorgt. Wie gehen Sie mit der Kritik von Gesundheitspolitikern um und damit, dass Ihre Arbeit polarisiert?

Norbert Bischofberger: Ich finde die Reaktion der Öffentlichkeit und von Politikern in beiden Fällen medizinischer Erfolge frustrierend und traurig. Nehmen wir das Beispiel von Sovaldi und Hepatitis C. Das Medikament ist eine unglaubliche Verbesserung für Patienten, die nur wenige Möglichkeiten hatten. Normalerweise gibt es in der medizinischen Forschung kleine, schrittweise Erfolge, und oft geht es zuerst einen Schritt zurück, bevor man dann zwei vorwärts macht. Hepatitis C ist eine chronische, virale Infektion, die langsam die Leber zerstört und zu Leberkrebs und dann zum Tod führt. Vor Sovaldi waren die einzigen Behandlungsmöglichkeiten interferonbasierte Therapien, die geringe Erfolgsraten hatten, schwer verträglich waren und zum Teil schlimme Nebenwirkungen hatten. Nicht zuletzt deshalb wurde der Großteil der mit Hepatitis C infizierten Menschen nie behandelt. Jetzt, mit Sovaldi, haben wir eine Behandlung, die Menschen mit Hepatitis C in mehr als 90 Prozent der Fälle heilt, und das innerhalb von einer Behandlungszeit von acht Wochen. Mit minimalen Nebenwirkungen.

Die Innovation und der Erfolg sind wohl unumstritten. Kritisiert werden von den Krankenversicherungen in ganz Europa die hohen Preise von bis zu 160.000 Euro pro Therapie.

Bischofberger: Es wird geschätzt, dass – alles eingerechnet – die Kosten früherer, interferonbasierter Therapien bei 160.000 US-Dollar lagen. Der Preis für eine 12-wöchige Therapie mit Sovaldi liegt in den USA bei 84.000 US-Dollar. Dazu kommt, dass viele Krankenversicherungen Rabatte von bis zu 40 Prozent erhalten und manche Patienten auch nur eine Behandlungszeit von acht Wochen benötigen. Das zeigt, dass Sovaldi insgesamt viel billiger und viel wirksamer ist als andere Optionen, die wir haben. Dazu kommt, dass Patienten mit Hepatitis C im Endstadium der Lebererkrankung eine Lebertransplantation gebraucht haben, und die kostet bis zu 600.000 US-Dollar. Sovaldi ist also insgesamt eine sehr kostengünstige Option, und diese Verbesserung sollte eigentlich von der Öffentlichkeit begrüßt werden. Stattdessen treffen wir auf Proteste und Klagen. Ich denke, das ist vor allem ein Indiz dafür, dass die Öffentlichkeit missinformiert ist und ein Zeichen für eine antiwissenschaftliche Einstellung in der Gesellschaft.

Politiker stoßen sich daran, dass die Entwicklungskosten in einem Jahr hereingespielt wurden …

Bischofberger: Lassen Sie mich ausholen: Woher kommt diese Entwicklung im Bereich Hepatitis C und was hat die Entwicklung möglich gemacht? Der Grund ist das hocheffiziente kapitalistische Wirtschaftssystem. Das Pharmageschäft ist sehr risikobehaftet. Investoren stellen ihr Geld ohne Sicherheit zur Verfügung und wollen dafür einen Ertrag. Wenn also etwas wie Sovaldi erfolgreich ist, dann hat es das Unternehmen auch verdient, damit Geld zu verdienen. Wenn wir den Ertrag minimieren oder – was Gott verhindere – wir eliminieren finanzielle Gewinne, wird es künftig keine Investitionen mehr geben, keine Forschung und damit auch keine Fortschritte. Wir haben heute die besten Lebensvoraussetzungen, die es je in der Menschheit gab. Unsere Lebenserwartung steigt – nicht zuletzt dank der Fortschritte mit Arzneimitteln und der Medizintechnologie, die es ermöglichen, dass wir erfreulicherweise Krankheiten heilen und manchmal auch vermeiden können. Und das alles haben wir erreicht aufgrund von Investitionen und von Forschung im privaten Sektor.

In Österreich forderte zuletzt der Generaldirektor des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, angesichts der hohen Kosten von Sovaldi die Patentlaufzeit für Medikamente zu verkürzen und nur so lange zu gewähren, bis die Entwicklungskosten wieder verdient sind. Was sagen Sie dazu?

Bischofberger: Aus dem bereits Gesagten ergibt sich: Die Verkürzung der Patentlaufzeit eines Arzneimittels ist einfach eine absolut dämliche Idee. Sie bringt vielleicht eine nette Schlagzeile in einer Zeitung für einen Politiker. Vielleicht hilft es ihm sogar bei einer Wiederwahl. Aber man sollte die Konsequenzen nicht übersehen, die eine Reduktion oder überhaupt ein Ende von Forschung bedeuten.

Wie beurteilen Sie generell die Entwicklungen in der Pharmaforschung in den kommenden Jahren? Wohin geht die Reise?

Bischofberger: Unser Unternehmen, Gilead, ist sehr erfolgreich im Bereich von Infektionskrankheiten wie Influenza, HIV, Hepatitis B und eben Hepatitis C. Wir verstärken nun zudem die Anstrengungen im Bereich der Onkologie. In den vergangenen zehn Jahren haben Wissenschaft und Medizin wichtige Fortschritte beim Verständnis von Krebs gemacht. Ein Grund dafür sind die Prozesse rund um das Human-Genome-Projekt. Es dauerte zehn Jahre und kostete Milliarden, das menschliche Genom zu sequenzieren. Jetzt können wir das in zwei Tagen tun und es kostet jeweils 5.000 Dollar. Das ist unglaublich! Nun sind wir also an dem Punkt, wo wir auch wissen, wie gewöhnliche Zellen sich in Krebszellen verwandeln. Und wir wissen, was passiert, dass die Zellen unkontrolliert mutieren und wachsen. Mit diesem Wissen können wir nun aber auch Medikamente entwickeln, die ganz speziell bei bestimmten mutierten Genen ansetzen. Ich bin hier sehr zuversichtlich, was die pharmazeutische Forschung anlangt. Wenn wir verstehen, wie Krankheiten entstehen und sich entwickeln, kann das auch dazu führen, dass wir Behandlungen finden und Heilung möglich ist.

Was ist Ihr eigener Antrieb in der Forschung?

Bischofberger: Die Hauptmotivation in der Forschung ist, Fortschritte für die Menschen und ihre Gesundheit zu schaffen. Gesundheit ist das Wichtigste und Kostbarste, was wir haben – wichtiger als Besitz, Geld und Ruhm. Ich bekomme immer wieder Briefe von Menschen, die krank waren und sogar an der Schwelle des Todes standen und gesund wurden aufgrund von Medikamenten, die wir entwickelt haben. Das ist es, was den Dingen, die wir machen, Sinn gibt.