Primärversorgung: Apotheker wollen mitwirken

Künftig sollen Primärversorgungsteams in Wohnnähe eine möglichst umfassende und niederschwellige Erstversorgung aller Menschen mit gesundheitlichen Anliegen und Problemen bieten. Vor allem um chronisch Kranke und multimorbide Patienten, ältere Personen sowie um Kinder will man sich besser kümmern. Die Krankheitsprävention soll ebenfalls nicht zu kurz kommen.
Ziel des Primärversorgungskonzepts ist es weiters, das Gesundheitssystem mehr serviceorientiert zu gestalten: längere Öffnungszeiten, leichtere Terminvereinbarungen, Vermeidung unnötiger Arztwege und kürzere Wartezeiten. Zudem sollen der ungebremste Zulauf in die Spitalsambulanzen gedrosselt und medizinisch nicht notwendige Krankenhausaufenthalte vermieden werden. „Das Primärversorgungskonzept ist kein Allheilmittel, aber eine wichtige Weichenstellung für viele Herausforderungen des Gesundheitswesens“, kommentiert der ehemalige Bundesminister für Gesundheit Alois Stöger, diplômé, im Interview mit der Apotheker Krone.

Allgemeinmediziner als Drehscheibe

Wie die Primärversorgung genau vonstattengehen soll, darüber gab es in den vergangenen Monaten heftige Meinungsunterschiede zwischen Gesundheitsministerium, Hauptverband und Ärztekammer. Monatelang wurde im „Board“ verhandelt, diskutiert, dann kam ein Erstentwurf zu Primary Health Care (PHC) heraus, der sofort für heftigen Unmut – vor allem auf Seiten der Ärztekammer – sorgte. „Nach einigen Verhandlungsrunden liegt jetzt ein Papier vor, das, gemessen an seinen Vorgängern, vorsichtigen Optimismus rechtfertigt. Jetzt heißt es: Ärztliche und nichtärztliche Gesundheits- und Sozialberufe arbeiten unter der medizinischen Leitung des Arztes in der Primär­versorgung im Team“, erklärt Dr. Johannes Steinhart, ­Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann Niedergelassene Ärzte.
Dass der Hausarzt die Teams leiten soll, stößt bei einigen Gesundheitsdienstleistern erwartungsgemäß auf wenig Freude und Verständnis, hatte sich doch zum Beispiel die Pflege einen höheren Stellenwert als bisher erhofft – sogar die Leitung durch Pflegekräfte wurde diskutiert. DGKS Ursula Frohner, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes (ÖGKV), betont: „Die diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegepersonen in Arztpraxen sollen wie ihre Kollegen in Spitälern Spritzen geben oder Blut abnehmen können. Wir wollen die Zusammenarbeit mit Ärzten, und zwar auf fachlicher Augenhöhe und nicht auf Basis von Zuarbeit.“
Mag. pharm. Max Wellan, Präsident der Österreichischen Apothekerkammer, zeigt sich zuversichtlich: „Wir Apotheker freuen uns, dass nun endlich der extramurale Bereich österreichweit gestärkt wird, und sind als kompetente Kooperationspartner bereit, hier mitzuwirken.“ Mag. pharm. Dr. Christian Müller-Uri, Präsident des Österreichischen Apothekerverbandes, ergänzt: „Viele der in anderen Gesundheitsbereichen nun erst angedachten Maßnahmen, wie z. B. eine Telefonhotline oder abgestimmte Öffnungszeiten, sind von der Apothekerschaft schon längst umgesetzt.“

Aufgaben des Kernteams

Im nun vorliegenden Konzeptpapier wird die Arbeitsteilung konkret thematisiert. Das Kernteam eines Primärversorgungszentrums soll aus Ärzten für Allgemeinmedizin, Krankenschwestern, Pflegern und Ordinationsassistenten bestehen. Zu ihren Aufgaben zählen neben der Erstversorgung auch die Planung des weiteren Betreuungsprozesses. Damit soll das Kernteam als Drehscheibe für die Vernetzung mit anderen Versorgungspartnern, bspw. Apotheken, Fachärzte, Ambulatorien und Spitäler fungieren. Bei Bedarf kann es um weitere primärversorgungsrelevante Berufsgruppen (bspw. Pädiater, Psychologen, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden, Hebammen, Sozialarbeiter etc.) erweitert werden. Je nach regionalen Gegebenheiten (z. B. Siedlungsdichte) arbeiten die unterschiedlichen Berufsgruppen in einem Kernteam entweder unter einem Dach (Primärversorgungszentrum), oder es finden sich wohnortnahe Zusammenschlüsse (Primärversorgungsnetzwerk). Regelmäßige Team- und Fallbesprechungen sind in beiden Varianten für alle Mitglieder vorgesehen.

Die Rolle der Apotheker

Apotheker gehören nicht zum Kernteam, sondern sind „Primärversorgungspartner“. Ebenso wie u. a. Fachärzte, Krankenanstalten, Pflegeeinrichtungen und Sozialversicherungsträger sind sie „nicht organisatorischer Teil der neuen Primärversorgungsstruktur“. Sie sollen verstärkt mit den Ärzten zusammenarbeiten und wie bisher die „patientenorientierte Medikamentenversorgung“ sicherstellen. In ländlichen Regionen soll diese auch durch ärztliche Hausapotheken sichergestellt werden. „Neben der optimalen medizinischen und pflegerischen Qualität und der strukturellen Ausrichtung am ‚best point of service‘ umfassen unsere Bemühungen selbstverständlich auch eine Verbesserung der Medikamentenversorgung, insbesondere die ländlichen Regionen Österreichs betreffend. Die österreichischen Apotheker leisten hierfür natürlich einen wesentlichen und unverzichtbaren Beitrag“, erklärt Stöger.
Für Präsident Wellan stehen Apotheken mit ihren fachlich top ausgebildeten Mitarbeitern heute im Mittelpunkt der Primärversorgung: „Sie bieten einen niederschwelligen Zugang zum Gesundheitssystem und sind oftmals erste Anlaufstelle, wenn es um gesundheitliche Probleme oder Fragen rund um die Gesundheit geht. Auch durch die wöchentlich stabilen Öffnungszeiten und Bereitschaftsdienstzeiten stellen wir diesbezüglich oft den Mittelpunkt dar. Apotheker sind gewohnt, in einem heilberuflichen Netzwerk zu arbeiten. Wenn das jetzt besser definiert und strukturiert wird, begrüßen wir dies.“ Müller-Uri ergänzt: „Eine inhaltlich verstärkte Zusammenarbeit ist sinnvoll, eine finanziell-organisatorische Einbindung in allfällig neu ­entstehende PHC-Strukturen ist rechtlich und organisatorisch für Apothekenbetriebe nicht geeignet. Mit unseren Leistungen werden wir aber natürlich noch intensiver eingebunden. Will man das in strukturierte Bahnen lenken, sind wir gerne bereit, darüber zu diskutieren.“

Medikationsmanagement unter ärztlicher Leitung?

Interessant ist, dass der Kern des Primärversorgungsteams auch das Medikationsmanagement sicherstellen muss, entweder direkt vor Ort oder durch Auslagerung an „berufsrechtlich berechtigte Personen“. Die Leitung des Medikationsmanagements soll durch den Arzt erfolgen. Stöger erklärt: „Gerade in der Betreuung älterer Menschen, die oftmals eine Vielzahl verschiedener Medikamente einnehmen müssen, ist ein optimales Medikationsmanagement sowie eine gute Abstimmung zwischen den unmittelbar Verantwortlichen des Gesundheitssystems von enormer Bedeutung. Ich bin der festen Überzeugung, dass in diesem Zusammenhang auch die e-medikation einen wesentlichen Beitrag zur verbesserten Abstimmung leisten wird.“ Dazu Müller-Uri: „Die Umsetzung des Medikationsmanagements liegt schwerpunktmäßig in der Apotheke, da hier alle Arzneimittel, die ein Patient oder Kunde zu sich nimmt, erfasst werden und ad hoc besprochen werden können (sollten sie nicht gespeichert werden wollen). Das Wissen um das Arzneimittel ist unsere Kernkompetenz und kann und wird natürlich jedem, der dies wünscht, vermittelt. Handelt es sich um ärztlich verordnete Medikamente, spricht man sich bei Unklarheiten selbstverständlich mit dem verordnenden Arzt zum Wohle des Patienten ab. Wir machen in solchen Fällen Optimierungsvorschläge zur Arzneimitteltherapie für die Patienten, für die Ärzte und für allfällige andere Gesundheitsberufe.“
Wellan ergänzt: „Das Medikationsmanagement stellt ein besonderes Service in der Apotheke dar. Abseits des Trubels in der Apotheke steht der Apotheker den Kunden für eine umfassende Analyse der individuellen Medikation zur Verfügung. Diese ganzheitliche Leistung hat ihren Wert und ist nicht kostenlos beziehbar, sie ist auch international als honorierte Serviceleistung definiert. Hierbei setzen wir uns auch aktiv dafür ein, dass diese Leistungen genau dokumentiert und evaluiert werden.“

Ausblick in die Zukunft

Das vorliegende Konzept richtet sich in erster Linie an zukünftige Einsteiger in die Primärversorgung, womit sich mittel- und langfristig eine grundsätzliche Strukturänderung abzeichnet. Noch in diesem Jahr soll die Basis für die Umsetzung gelegt werden. Ab 2015 können dann die ersten Teams mit der neuen Regelung gebildet werden. Laut Bundes-Zielsteuerungskommission sollen bis zum Jahr 2016 nur 1 % (!) der Bevölkerung pro Bundesland in den neuen Primärversorgungszentren versorgt werden. Noch unklar sind vor allem Finanzierungsfragen, Fragen der Haftung und auch welche Rechtsform die Gesundheitsteams haben sollen. Es gibt also noch einige Stolpersteine …

Welche Rolle sollen Apotheker künftig in der Primärversorgung übernehmen?
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Blick über die Grenzen
Triage-Rolle des Apothekers soll anerkannt werden
Der Schweizerische Apothekerverband pharmaSuisse spricht sich in seinem Thesenpapier „Der Apotheker im Schweizer Gesundheitswesen zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ für die Triage durch den Apotheker aus. Bei persönlich bekannten Stammkunden soll der Apotheker auf der Grundlage der vom Patienten beschriebenen Symptome eine Abklärung des Schweregrades treffen. Er beurteilt dann, ob eine ärztliche Konsultation, eine Alternativtherapie oder – im Einverständnis mit dem Patienten – die Abgabe eines Medikamentes angezeigt ist. Der Abgabe geht in jedem Fall die entsprechende Aufklärung und Beratung voraus.
Die Vorteile: Hausärzte und ambulante Einrichtungen könnten entlastet und Gesundheitskosten gespart werden. Auch Präventionsaufgaben könnten Apotheker mit ihrer fundierten Ausbildung übernehmen. Die Triage-Rolle des Apothekers soll nun laut pharmaSuisse professionalisiert werden und sich zu einem anerkannten Verantwortungsbereich entwickeln.
Quelle: pharmaSuisse