Probiotika im Zentrum des Immunsystems

Begonnen hat alles mit einem Nobelpreis. Dem Bulgaren und Lebensmittelchemiker Ilja Metschnikow – ein Schüler von Louis Pasteur – war Anfang des 20. Jahrhunderts aufgefallen, dass Völker aus dem Kaukasus und bestimmten Regionen Bulgariens eine sehr hohe Lebenserwartung hatten. Er setzte sie mit dem ausgiebigen Verzehr von angesäuerten, vergorenen Milchprodukten in Verbindung. Sein Schluss: Der Genuss von Milchsäurebakterienkulturen erhöht die Zahl von Laktobazillen im Darm und fördert dadurch die Gesundheit. Im Jahr 1908 erhielt Metschnikow für seine Forschungsarbeiten den Nobelpreis für Medizin und Physiologie. Der Siegeszug der Probiotika konnte beginnen.

Abgrenzung Probiotika – Präbiotika

Produkte mit Pro- und Präbiotika sind in der Apotheke stark nachgefragt und werden intensiv beworben. Probiotische Mikroorganismen sind in Form von Nahrungsergänzungsmitteln, diätetischen Lebensmitteln für besondere medizinische Zwecke und Arzneimitteln erhältlich. Präbiotika sind in pflanzlichen Lebensmitteln enthalten, werden oft als Zusatz für Nahrungsmittel und Babykost verwendet und in Präparaten häufig mit Probiotika kombiniert. Mag. pharm Erich Zöchling, Leiter der Apotheke Traisenpark in St. Pölten, erklärt den Unterschied zwischen Pro- und Präbiotika: „Bei Probiotika sprechen wir von einer Mischung von lebenden, physiologischen Bakterien, die nur im Darm verschiedenste Aufgaben erfüllen. In Lebensmitteln findet man einige wenige der brauchbaren Spezies im frischen (!) Joghurt. Dabei geht es darum, dass die Bakterien den extrem sauren Magensaft überleben. Forschungen haben gezeigt, dass sie diese Fähigkeit nach 24 Stunden verlieren.“ Das Joghurt im Kühlregal sei deshalb wirkungslos.

Präbiotika sind unverdauliche Ballaststoffe und Nährstoffe für Bakterien. Die bekanntesten sind Inulin und Oligofructose. „Um die Diversität des Mikrobioms zu halten, braucht man diese unterschiedlichsten Präbiotika. Einseitige Ernährung lässt einige Speziesarten verkümmern. Ballaststoffreiche Ernährung und Vielfalt an Gemüse bieten sicher guten Stoff als Präbiotikum“, so Zöchling. Univ.-Doz. Alexander Haslberger vom Department for Nutritional Research der Universität Wien, ein renommierter Mikrobiomforscher, nennt drei Kriterien für eine Einstufung als Präbiotikum: Resistenz gegen Verdauungsprozesse im oberen Gastrointestinaltrakt, Fermentation durch die Mikrobiota und die selektive Stimulation des Wachstums und der Aktivität vorteilhafter Bakterien.

Effekte auf den Darm und den gesamten Organismus

„Das Zentrum des Immunsystems befindet sich im Darm, und deshalb ist es wichtig, alle kompetenten Keime – auch jene, die nicht unmittelbar das Immunsystem betreffen – dort angesiedelt zu haben“, so Mag. Zöchling. „Die Keime kommunizieren auch untereinander und arbeiten synergistisch.“

Prof. Haslberger beschreibt die Rolle der Präbiotika: „Sie führen zur Produktion der kurzkettigen Fettsäuren Acetat, Butyrat und Propionat, welche antientzündlich wirken, die den Kolonozyten als Energiequelle dienen und damit die Integrität der Darmschleimhaut unterstützen. Weiters beeinflussen Präbiotika das Nervensystem des Darms positiv und sorgen für eine stärkere Vermehrung von Bakterien, die für die Gesundheit vorteilhaft sind.“ Letzteres betreffe vor allem jene Bakterien, die antiinflammatorische Wirkungen ausüben.

Chance für Apotheken

Die Analyse der Zusammensetzung einer Stuhlprobe kann heute erstaunliche Erkenntnisse liefern. Diese Analyse kann durch entsprechend ausgebildete Darmakademiker durchgeführt werden. Einige Apotheken bieten dieses Service bereits an. Zöchling dazu: „Von Verdauungsschwierigkeiten und Schlafstörungen bis Hautproblemen können die Ursachen im gestörten Mikrobiom liegen. Nicht selten ist die fehlende Diversität auf gehäufte Anwendung von Antibiotika und einseitiger Ernährung – vor allem im Alter – zurückzuführen. Auch Ausdauersportler unterliegen vor und während der Ausübung oft Krämpfen, die schon auf eine Entzündung der Darmschleimhaut durch fehlende Bakterien schließen lassen.“

Haslberger erachtet vor allem die Einnahme von Pro- und Präbiotika bei älteren Menschen als sinnvoll. „Studien zeigen immer wieder, dass die Mikrobiota im Alter abnimmt und vor allem jene Bakterien seltener werden, die für ihre antiinflammatorischen Eigenschaften bekannt sind. Auch auf die Vielfalt in der Nahrung, also präbiotische Stoffe im Gemüse, sollte nach wie vor geachtet werden.“