Rosinenpickerei bei der Versorgung von Pflegeheimbewohnern

Laut vertraulichen Informationen mehrerer Regierungsverhandler ist der Direktbezug von Medikamenten durch Pflegeheime beschlossene Sache. Grund dafür sind vermeintliche Einsparungspotenziale. Durch die Direktbelieferung der fast 900 österreichischen Pflegeheime soll Geld gespart werden. Kammerpräsident Mag. pharm. Max Wellan zeigt sich im Gespräch mit der Apotheker Krone darüber sehr verärgert: „Fakt ist, dass dieses Vorhaben und seine Auswirkungen nicht durchdacht sind! Pflegeheimbewohnern, die per se einen höheren Bedarf an Medikamenten mit entsprechendem Interaktionspotenzial haben, darf die wichtige apothekerliche Leistung nicht vorenthalten werden.“ Unklar bleiben auch viele Fragen, bspw. wer künftig für das Medikationsmanagement, die Einhaltung der Fälschungsrichtlinie oder die Einbindung der e-Medikation in Pflegeheimen zuständig sein wird.

Untergrabung der Gesundheitsreform

Die Pläne sind gegenläufig zu der im kommenden Jahr in Kraft tretenden Gesundheitsreform und zum Konzept des „Best point of service“, meint Wellan, da sie einen volkswirtschaftlich sowie gesundheits- und konsumentenpolitisch gefährlichen Eingriff in das bewährte bestehende System seien. „Das Vorhaben, die Belieferung auszulagern, ist eine Rosinenpickerei par excellence. Was Apotheken übrig bleibt, sind Versorgungsposten mit hohem Arbeitsaufwand und niedrigen Deckungsbeiträgen, das Suchtgiftmanagement, magistrale Zubereitungen oder die Nacht- und Wochenendlieferung eines Schmerzmittels, wenn dieses gerade nicht im Lager des Heims vorrätig ist – ganz zu schweigen vom Beratungsdiebstahl. Das kann so nicht sein“, ist Wellan empört.
Aber auch alle anderen von der Gesetzesänderung Betroffenen würden kaum davon profitieren, ganz im Gegenteil. Die Nachteile für die Pflegeheimbewohner liegen auf der Hand: Die pharmazeutische Leistung wird den Pflegeheimbewohnern vorenthalten, und bei der Medikamentenabgabe wird es zu einem Qualitäts- und Sicherheitsverlust kommen. Die Direktbelieferung könnte sich so als Kostenfalle entpuppen: Erfolgt bspw. kein Medikationsmanagement, wird es vermehrt zu kostenintensiven Krankenhauseinlieferungen kommen, warnt Wellan.
Auch die Erhalter der Heime werden mit Problemen konfrontiert sein, u. a. die Fragen, wo hinkünftig große Arzneimittelmengen gelagert werden sollen oder wer für die Abgabe der Medikamente verantwortlich sein soll und auch dafür haftet, stehen im Raum. Zudem begeben sich Pflegeheime in eine Abhängigkeit von Lieferanten. Zuletzt werden auch die Sozialversicherungsträger den Verlust der Rezeptgebühren durch die Direktbelieferung zu spüren bekommen.

Appell an die Parteien

In einem gemeinsamen schriftlichen Appell der Österreichischen Apothekerkammer, der Arbeitsgemeinschaft des Pharmazeutischen Großhandels (Arge Pharmazeutika) und des Verbandes der pharmazeutischen Industrie Österreichs (Pharmig) an die regierungsverhandelnden Parteien wird deshalb deutlich gemacht, dass „die Leistungen der österreichischen Apotheken für die Bewohner von Pflegeheimen unverzichtbar sind“. Die Unterzeichner sprechen sich daher deutlich „gegen eine Änderung des bewährten Systems der Arzneimittelversorgung (…) und gegen eine Direktbezugsmöglichkeit der Pflegeheime bei der pharmazeutischen Industrie und beim pharmazeutischen Großhandel“ aus.

Pläne für die mittelfristige Zukunft

„Dass die Belieferung von Pflegeheimen plötzlich auf den Regierungsverhandlungstisch kam, war überraschend, wir haben unabhängig davon aber bereits vor Monaten mit Vorbereitungen eines Maßnahmenbündels begonnen. Erstens wollen wir die Leistungen der Apotheken in der Pflegeheimversorgung sichtbar machen. Dafür stehen Dokumentationen der Leistungen und deren wissenschaftliche Auswertung am Programm. Zweitens werden wir die Qualität unserer Leistungen in Form von Medikationsmanagement, Beratung von Angehörigen und Pflegepersonal bis zur Notfallzustellung verbessern“, kündigt Wellan an. Er fordert von den Regierungsverhandlern ebenfalls intelligente und vor allem evidenzbasierte Lösungen mit Einbindung der Apotheken.

 

Best-practise-Beispiele der Pflegeheimversorgung

 

„Die Apotheke im ländlichen Raum ist ein wichtiger Nahversorger von lokalen Senioren- und Pflegeheimen. Unsere Leistungen sind vielfältig: u. a. Belieferung mit verschriebenen Arzneimitteln, in Sonderfällen auch die Vorstreckung von Medikamenten, Überprüfung des Wechselwirkungspotenzials der Medikation und Telefonjoker für das Pflegepersonal.
Mir ist der enge Kontakt mit der Heimleitung und dem Pflegepersonal sehr wichtig, um deren Bedürfnisse und Wünsche hinsichtlich der Erleichterung der Pflege zu erfassen. Deshalb sind wir wöchentlich bei einer Pflegedienstbesprechung vor Ort. Dort können Fragen zu u. a. Neben- und Wechselwirkungen sowie Applikationsformen, bspw. für Patienten mit Schluckbeschwerden, besprochen werden. Davon profitieren auch die Pflegeheimbewohner, da durch ein optimales Medikations- und Pflegemanagement die Compliance erhöht werden kann.“
Mag. pharm. Diemut Strasser
„Wir beliefern zweimal täglich ein großes Senioren- und Pflegeheim mit etwa 300 Pensionären und 120 Angestellten. Werden Arzneimittel dringend benötigt, liefern wir noch ein drittes Mal nach 18 Uhr sowie auch am Wochenende. Mir liegen die persönliche Betreuung und das Vertrauensverhältnis mit den Bewohnern sehr am Herzen. Diese können uns quasi rund um die Uhr kontaktieren, wir kümmern uns um Chefarztbewilligungen und bieten auch eine direkte Verrechnung per Bankeinzug an. Für insgesamt 95 Senioren übernehmen wir zudem die Befüllung der Wochendispenser, was naturgemäß mit einem hohen personellen Aufwand verbunden ist. Hier ist die Kontrolle nach dem Vier-Augen-Prinzip gemeinsam mit dem betreuenden Arzt besonders wichtig, da sich die Medikationen laufend ändern. Mit den Ärzten und dem Pflegepersonal pflegen wir neben dem professionellen auch ein amikales Verhältnis – mit anderen Worten: Wir sind eine bestens eingespielte Großfamilie.“
Mag. pharm. DDr. Philipp Saiko
„Wir arbeiten sehr eng mit der Apotheke vor Ort zusammen und werden optimal von ihr versorgt. Auf der einen Seite beliefert sie uns mit den benötigten Medikamenten, auf der anderen Seite nutzen wir das Fachwissen der Apotheker in Bezug auf die Medikamentengebarung. Seit Kurzem nutzen wir auch ein weiteres Angebot: In regelmäßigen Abständen kommt eine Apothekerin zu den Pflegedienstbesprechungen und hält kurze Fachvorträge, die einerseits der Weiterbildung und andererseits der Wissensauffrischung dienen. Im Anschluss finden kurze Fallbesprechungen statt, in welchen wir Medikamentenverordnungen besprechen, auf etwaige Neben- und Wechselwirkungen prüfen und im Bedarfsfall – individuell an den Bewohner angepasst – optimieren. Mein Fazit: Die persönliche und individuelle Beratung und Versorgung durch die Apotheke vor Ort ist für die Bewohner, aber auch die Mitarbeiter enorm wichtig, daher sind wir über die enge Zusammenarbeit sehr froh.“

Stephan Bacher