Schnapsidee aus NÖ

Modell „dispensierender Arzt“

Ärzte als dritte Säule der Arzneimittelabgabe – ein in Apothekerkreisen als Schnapsidee bezeichneter Vorstoß des niederösterreichischen Ärztekammer-Präsidenten Dr. Christoph Reisner, der laut von einem Systemwechsel träumt. Patienten sollten nach seinem Wunsch selbst entscheiden können, wo sie rezeptpflichtige Medikamente beziehen möchten – beim Apotheker oder beim dispensierenden bzw. hausapothekenführenden Arzt. Reisner in einer Presseaussendung konkret: „Wir sollten uns endlich von Bedarfsprüfungen und sinnlosen Reglementierungen über Bevölkerungsschlüssel und Kilometer verabschieden und stattdessen Gesetze machen, die bürgerfreundlich, bedarfsorientiert und ökonomisch in einem sind.“ Er verweist mit seinem Ansinnen hinsichtlich der Abgabe rezeptpflichtiger Arzneimittel auf ein Beispiel aus der Schweiz: „Im Kanton Zürich haben Patienten die Wahlmöglichkeit. Es hat sich gezeigt, dass der entstandene Wettbewerb den Apothekern nicht schadet.“

Zulässiger Vergleich mit der Schweiz?

Der Vergleich mit der Schweiz erinnert an die Verwechslung von Äpfeln mit Birnen. Dr. Martin Hochstöger, Präsident der Apothekerkammer Tirol: „Die Schweiz hat eine andere Organisation des Gesundheitssystems. Die Apotheker übernehmen dort zum Beispiel auch ärztliche Tätigkeiten wie das Impfen. Zudem hat eine Studie der Universität Bern* ergeben, dass die Medikamentenausgabe in Ordinationen deutliche Mehrkosten für die öffentliche Hand verursachen! Es kam zu einem Kostenanstieg pro Patient um 30 % und einem Anstieg der nichtarzneilichen Ausgaben um 20 %.“
Damit konfrontiert, reagiert Ärztekammer-Chef Reisner im Interview mit der Apotheker Krone wenig überraschend: „Das Argument der Mehrkosten ist definitiv falsch. Ich stelle die angesprochenen Studiendaten in Frage und werde diese hinsichtlich Interessenkonflikte genau unter die Lupe nehmen. Meine Berechnungen, die Erfahrungen aus der Schweiz und eine in Bälde veröffentlichte Studie zeichnen ein anderes Bild: Man sieht deutlich, dass in jenen Kantonen, wo dispensierende Ärzte tätig sind, die Gesamtkosten pro Patient signifikant niedriger sind als in Kantonen ohne diese Arzneimittelbezugsmöglichkeit.“
Ob die Zweifel aus Niederösterreich anerkannte Wissenschaftler an der Universität Bern beeindrucken werden, bleibt abzuwarten. Ebenso die neue Studie. Dr. Hochstöger jedenfalls ruft zur Vernunft auf: „Manche Ärztekammerfunktionäre sollten weniger Populismus und mehr Sachverstand einsetzen. Patienten brauchen partnerschaftliche Lösungen bei der Arzneimittelversorgung und keinen Streit zwischen Ärzten und Apothekern!“

Flächendeckende Versorgung gefährdet

Tatsache sei laut Hochstöger auf jeden Fall, dass die Abgrenzung der Tätigkeiten beider Berufsgruppen in Österreich klar geregelt ist: Medikamentenabgabe durch Apotheken, Diagnose und Therapie durch Ärzte. „Es ist fahrlässig, dieses gut funktionierende System mutwillig zu verändern. Die Abgabe von Medikamenten ist nur in ländlichen Regionen über ärztliche Hausapotheken möglich. Wieso Mediziner jetzt plötzlich die Aufgaben der Apotheker übernehmen und Arzneimittel in der Ordination verkaufen wollen, ist aus gesundheitspolitischer Sicht nicht nachvollziehbar. Ein Wechsel wäre patientenfeindlich und teuer. Abgesehen davon, dass die flächendeckende Versorgung mit Apotheken gefährdet wäre. Im Raum steht weiters, dass Ärzten Anreize geboten werden, Medikamente nach wirtschaftlichen und nicht nach medizinischen Kriterien zu verschreiben“, so Hochstöger.
Dass es wirtschaftliche Aspekte gibt, ist freilich nicht zu leugnen. Mag. pharm. Werner Luks, Apotheke Zum Heiligen Geist in Ybbs a. d. Donau: „Dass es in Europa 1.700 dispensierende Ärzte gibt, mehr als 900 davon in Österreich und davon wiederum fast 300 alleine in Niederösterreich, ist bezeichnend. Dr. Reisner macht mit seinem Vorstoß nicht nur die Leistungen der Apotheken herunter, sondern betreibt auch Rosinenpickerei, indem nur die 20 bis 30 gängigsten Arzneimittel von Ärzten geführt werden sollen. Mit diesen bestreiten die Apotheken allerdings rund 80 % ihrer Umsätze!“

* Link zur Berner Studie: www.vwl.unibe.ch/papers/dp/dp1303.pdf
Kommentar
Hausärzte sind vom Aussterben bedroht, den Apothekern blüht ebenfalls existenzgefährdendes Ungemach von mehreren Seiten. Stichworte: Internethandel, Drogerieketten, Preisverfall usw. Apotheker und niedergelassene Ärzte wissen das genau. Ich habe mit vielen darüber gesprochen. Leider leben ausgerechnet manche Kammerfunktionäre hüben wie drüben in einer eigenen Welt. Bis dorthin hat sich die Kunde noch nicht durchgesprochen, dass man eigentlich nur gemeinsam stärker wäre.
Ärzte und Apotheker vertreten die zweifelsfrei wichtigsten Gesundheitsberufe. Beide werden bei praktisch jeder Verhandlung vom „System“, also den Politikern, beharrlich übergangen. Was heißt übergangen? Nicht einmal ignoriert. An der Peripherie ist dieser Umstand allen Betroffenen sonnenklar. Weder Ärzte noch Apotheker haben im täglichen Umgang miteinander gröbere Probleme. Der „Feind“ kommt von außen und bedroht beide gleichermaßen. Wenn also Präsident Reisner tatsächlich offen für Kooperationsmodelle zwischen Ärzten und Apothekern ist, dann sollte er besser darüber laut nachdenken, anstatt Öl in ein Feuer zu gießen, das am besten gar nicht brennen sollte.
PS: Öffentliche Frage: Was hält Dr. Reisner von der Idee, Apotheker künftig impfen, Blut abnehmen und per moderner Schnelltests Laborwerte bestimmen zu lassen?
Dr. Wolfgang Exel, Chefredaktion der Apotheker Krone