„Versandhandel wird kein Tsunami werden“

Apotheker Krone: Wie hat sich der heimische OTC-Markt im ersten Halbjahr 2015 nach Ihren Einschätzungen entwickelt?

Erika Sander: Der OTC-Markt hat sich in den vergangenen sechs Monaten von Dezember 2014 bis Mai 2015 ausgesprochen gut entwickelt. Wir sehen ein Umsatzwachstum auf Basis der Apothekenverkaufspreise von rund acht Prozent im Vergleich zur entsprechenden Periode des Vorjahres. Besonders der Jänner und Februar 2015 waren mit etwa 16 Prozent beziehungsweise 20 Prozent Wachstum überdurchschnittlich stark. Die Folgemonate März und April verliefen eher gemäßigt und wiesen niedrigere Wachstumsraten auf, wobei der Mai mit rund sechs Prozent Minus im Vergleich zum Mai des Vorjahres sogar ins Negative drehte. Es erwarten uns ein spannendes drittes und viertes Quartal. Wir gehen aber von weiteren positiven Impulsen des Marktes aus, unter anderem bedingt durch die eine oder andere bevorstehende Markteinführung der größeren Marktakteure.

Welche Segmente beziehungsweise Indikationsbereiche wachsen? Welche Bereiche haben im ersten Halbjahr verloren?

Sander: Alle Top-10-Indikationen konnten – gemessen am Umsatz bewertet zum Apothekenverkaufspreis – zumindest leicht zulegen, die höchsten Wachstumsraten verzeichnete mit etwas über 20 Prozent der Schlankheitsmittelmarkt mit Almased und Co, gefolgt von der insgesamt umsatzstärksten Indikation Husten und Erkältung, die ebenfalls um fast 20 Prozent stieg. Die Schmerzmittel verdanken ihr hohes Wachstum von fast zehn Prozent der guten Entwicklung des führenden Produktes dieser Kategorie, Voltadol. Die Verlierer der vergangenen sechs Monate waren weniger eindeutig, ein Beispiel sind die OTC-Haarpflegeprodukte mit knapp fünf Prozent weniger Umsatz auf Basis der Apothekenverkaufspreise im Vergleich zur entsprechenden Periode des Vorjahres.

Beobachter berichten, dass vor allem Nahrungsergänzungsmittel für Apotheken stark an Bedeutung gewinnen und bereits ein großer Anteil der Umsätze aus diesem Bereich kommt. Können Sie das durch Ihre Analysen bestätigen, beziehungsweise mit konkreten Zahlen untermauern?

Sander: Grundsätzlich sieht IMS HEALTH diesen Trend schon seit einigen Jahren, was jedoch auch an der gelebten Zulassungspraxis liegt. Immer mehr Zulassungen erfolgen als Nahrungsergänzungsmittel beziehungsweise Medizinprodukt und bestehende Arzneimittelzulassungen werden zugunsten einer nicht registrierten Form aufgegeben. In den vergangenen sechs Monaten war das Wachstum beider Bereiche aber annähernd gleich, der registrierte Bereich entwickelte sich dank guter Wachstumsraten vieler OTC-Arzneimittel, allen voran Voltadol, aber auch vieler registrierter Präparate im Husten- und Erkältungsmittelmarkt sogar tendenziell besser.

Sie beraten Unternehmen auch dabei das Kundenverhalten zu verstehen. Wie verhalten sich Apothekenkunden, was wird gekauft und wie lässt sich das auch beeinflussen?

Sander: Vor dem Hintergrund der Marktentwicklungen sind Apotheken auf Abverkaufsunterstützung durch die Industrie angewiesen. Hersteller, denen es gelingt, durch ihre Maßnahmen den Absatz und die Erträge einer Apotheke zu steigern, haben dadurch die besten Chancen auf nachhaltige Kundenbindung. Grundlage für gleichermaßen individuelle wie effektive Konzepte ist die konkrete Kenntnis des Käuferverhaltens. Warenkorbanalysen helfen nicht nur dabei, das Kaufverhalten in der Apotheke zu verstehen. Sie helfen auch zu erkennen, zwischen welchen Märkten und Produkten Verbundbeziehungen bestehen.

Wie sieht das konkret aus?

Sander: Der Anteil an reinen Barverkäufen liegt etwa bei allgemeinen Schmerzmitteln bei 32 Prozent, bei Halsschmerzmitteln bei 29 Prozent. Sowohl beim Schmerz als auch beim Halsschmerz ist Montag der absatzstärkste Tag der Woche, wobei in vielen anderen Märkten Dienstag der stärkste Tag ist.

Wie schätzen Sie die Entwicklung für das kommende zweite Halbjahr ein?

Sander: Wir gehen weiterhin von einem stabilen Markt mit positivem, einstelligem Wachstum aus.

Gibt es Schätzungen, wie sich die Öffnung des Fernabsatzes auf den Markt und die niedergelassenen Apotheken auswirken könnte?

Sander: Der Versandhandel ist ja bereits seit einigen Jahren in Österreich durch niederländische, tschechische wie auch deutsche Versandapotheken, die schon derzeit sehr stark werbemäßig den Kanal Internet bedienen, angekommen. Wir erwarten durch die Öffnung des Fernabsatzes für öffentliche, österreichische Apotheken zwar sicherlich einen gewissen Schub durch neu eintretende Marktakteuren, aber keinen wirklichen Tsunami am Markt.

Sollen sich Apotheken Ihrer Meinung nach künftig anderen Produktbereichen öffnen und wenn ja, welchen?

Sander: Viele Apotheken sind bereits in verschiedenen neuen Produktkategorien und Services unterwegs und schaffen dadurch einen zusätzlichen USP an ihrem Standort beziehungsweise eine eigenständige Positionierung und Differenzierung zum Mitbewerb. Welche Produktbereiche und Services eine Apotheke für sich als sinnvoll erachtet ist immer eine strategische aber auch standortbezogene Entscheidung – die auch authentisch gegenüber dem Kunden gelebt werden will. Beispiele dafür sind Eigenmarken, Kooperationen mit anderen Gesundheitsberufen und vor allem die gesamtheitliche Betreuung in Arzneimittelfragen, die sich im Medikationsmanagement widerspiegelt.