„Wir stehen vor großen Herausforderungen“

Apotheker Krone: Ein Vorarlberger als Präsident des Apothekerverbandes – da fragen sich wahrscheinlich einige, wie das organisatorisch geht. Die Distanz ist geografisch doch sehr groß.

Jürgen Rehak: Nicht wirklich. Ich wohne etwa zehn Autominuten entfernt vom Schweizer Flughafen Altenrhein. Von dort gibt es täglich vier Flugverbindungen nach Wien. Die Flugzeit dauert rund 50 Minuten. Ich brauche also von meiner Apotheke in die Spitalgasse in Wien nicht länger, als etwa Vizepräsident Veitschegger aus Oberösterreich mit dem Auto braucht. Ich werde mindestens zwei Tage in der Woche in Wien sein. Jetzt sind es sogar mehr.

Was sind für Sie die brennendsten Themen?

Es gibt eine ganze Fülle an Themen, die anstehen. Egal, ob es jetzt um wirtschaftliche Fragen geht, um politische, um Servicethemen für die Apotheken oder um Zukunftsprojekte. Es ist enorm, was da zu tun ist.

Besprechen wir gleich einmal zwei brisante Themen: den EuGH-Entscheid zur Bedarfsprüfung und die gesetzliche Neuregelung, die dieser Tage durchs Parlament geht. Ist damit alles wieder im grünen Bereich, und ist der Gebietsschutz gesichert?

Das ist jetzt eine Etappe, um die Rechtssicherheit wiederherzustellen. Wichtig werden die Erläuterungen zum Gesetz. Die sind noch nicht vollständig ausformuliert, aber weit fortgeschritten. Das soll Mitte Dezember im Vorstand der Apothekerkammer auf den Weg gebracht werden. Wir müssen definieren, was der Sonderfall ist, bei dem die Grenze von 5.500 zu versorgenden Personen unterschritten werden darf. Da geht es auch um die Frage, welche Rolle Abstandskomponenten spielen und was mit einer bestehenden Apotheke ist, die dann weniger Menschen zu versorgen hat. Es macht ja auch einen Unterschied, ob das eine große Apotheke ist oder eine kleinere, die den Versorgungsauftrag nicht mehr erfüllen kann. Hier muss man das Gesetz aber insgesamt abklopfen.

Inwiefern? Da werden vielleicht manche aufschreien und sich sorgen, dass eine generelle Diskussion über das Apothekengesetz alles auflockern könnte. Bisher war ja oft die Linie: „Nur nicht angreifen!“.

Wir brauchen eine generelle Diskussion, welche Leistungen wir erbringen sollen und wie das möglich und finanziert wird. Natürlich besteht das Risiko, dass das Gesamtpaket dann aufgemacht wird. Wenn wir das aber nicht selbst und aktiv angehen, wird es jemand anderer machen. Das haben wir ja jetzt mit dem EuGH-Entscheid gesehen. Es gibt viele, die die bestehenden Regelungen öffnen wollen, wir müssen hier aktiv agieren, um das Sinnvolle und Richtige zu schützen. Das Gesetz muss etwa so gestaltet werden, dass es besser verständlich ist und auch unterstreicht, was die Apotheken leisten.

Wie soll das gehen?

Es geht darum, dass die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln sichergestellt wird, und um die Frage, wie das mit den bestehenden Rahmenbedingungen möglich ist. Das Ziel muss sein, dass die Apotheken die gestellten Aufgaben auch erfüllen können und dass gleichzeitig gerade auch jungen Apothekerinnen und Apothekern auch eine Perspektive geboten wird. Es kann nicht sein, dass Apothekenansuchen zehn Jahre bei der Behörde liegen, bis sie endgültig entschieden sind. Solche Verfahren gibt es derzeit mehrere.

Sie haben auch die wirtschaftliche Situation angesprochen. Wie stellt sich die Lage für die Apotheken tatsächlich dar?

Die Sozialversicherung ist unser größter Kunde und Frequenzbringer. Das ist die tragende Säule. Sollte es hier zu weiteren Verschiebungen kommen, durch die die Rohertragslage dünner wird, wird das ein Problem. Das trifft die kleinen Apotheken früher und stärker. Auch der private Bereich hängt ja stark von der lokalen Situation, der Lage und der Kaufkraft ab. Wenn sich aber andere Bereiche auch noch ändern – etwa die Miete –, wird es für einige Apotheken rasch sehr eng.

Wie können Lösungen aussehen?

Es ist wichtig, in einen Dialog mit der Sozialversicherung einzutreten. Wir müssen diskutieren, wie wir die Situation der Apotheken stabilisieren können, um auch die Arzneimittelversorgung sicherstellen zu können. Es sind viele Aufgaben und Verpflichtungen mit den Apotheken verbunden. Wir müssen unter anderem die Apothekenbetriebsordnung erfüllen, sollen Nachtdienste machen und vieles mehr. Will man das erhalten, muss es auch eine Mindestertragslage für die Apotheken geben. Ich bin hier auch zuversichtlich. Weder die Sozialversicherung noch die Gesundheitspolitik, und wir schon gar nicht, wollen einen sinnlosen Kahlschlag, sondern eine sinnvolle Versorgung.

Wie wird aber hier Ihre Linie gegenüber der Sozialversicherung sein?

Wir wollen mit konkreten Vorschlägen und soliden Zahlen in den Diskurs eintreten. Wir wollen darstellen, dass wir von berechtigten Anliegen reden. Es braucht einfach einen Mindestertrag pro abgegebenem Medikament. Man sollte auch gemeinsam definieren, welche Dienstleistungen von den Apotheken erwartet werden und was diese dem Gesundheitswesen wert sind. Das betrifft auch die Diskussion über das Medikationsmanagement, das ich für wichtig erachte.

Hier haben die Kassen aber bereits abgewunken …

Wir sollten das einfach einmal ausprobieren und einen Pilotversuch starten. In Österreich muss man bei etwas Neuem immer beweisen, dass es geht, bevor man es umsetzt. In der Schweiz ist das umgekehrt, da probiert man Dinge aus. Wir müssen den Mut haben, ein Pilotprojekt zu starten.

Und was könnte das bringen? Die Krankenkassen haben zuletzt einen Arzneimittelpass vorgestellt, in dem alle Arzneien vom Arzt eingetragen werden sollen. Geht die Entwicklung hier nicht weg von den Apotheken?

Die Frage ist, was man damit erzielen will. Es wird wohl nicht das Erwünschte bringen. Wir haben eine Entwicklung im System, bei der jede Behandlung dazu führt, dass die Medikation zunimmt, allein durch die Alterung der Gesellschaft und den Fokus auf evidenzbasierte Medizin. Es geht hier nicht um ein zusätzliches Geschäft, sondern um Hilfestellungen, die wir als Spezialisten geben können. Ein durchschnittlicher Hausarzt schafft das nicht. Er hat aber das Problem der Polymedikation und deren Folgen. Es gibt wenige Leute, die hier wirklich helfen können und wir brauchen innerhalb des Systems mehr davon.

Hier kommen wir auch zum aktuellen Diskussionspunkt der Primärversorgung. Sie soll ausgebaut werden. Welche Rolle könnten Apotheken hier spielen?

Wir sind Teil der Versorgung und oft auch Erstanlaufstelle für Patienten. Wenn man dezentrale Strukturen stärken will, sind wir bereit, auch Funktionen zu übernehmen. Sei es als Dienstleister oder als steuerndes und planendes Element. Beim kommenden PHC in Enns ist etwa auch eine Apotheke eingebunden. Das macht Sinn. Wichtig ist, dass wir dabei unsere Freiberuflichkeit erhalten.