Die Kraft der Zivilgesellschaft

Die Bereiche Bildung, Soziales oder Gesundheit werden von Budgetknappheit, Sparmaßnahmen und Reformverweigerung dominiert, obwohl längst deutlich ist, dass mit den Rezepten der Vergangenheit den Herausforderungen der Zukunft nicht zu begegnen ist. Es braucht dringend einen Schub an gesellschaftlicher Innovation, doch der steckt hierzulande noch weitgehend in den Kinderschuhen. Welche Chancen systemische Innovationen im Gesundheitswesen haben, hat die Vinzenz Gruppe analysieren lassen. Dr. Michael Heinisch, Geschäftsführer der Vinzenz Gruppe, gibt Einblick in die wesentlichen Erkenntnisse.

Was war Ihre Motivation, das Thema „soziale Innovationen“ näher untersuchen zu lassen?

Wir haben den Eindruck, dass wir Innovationen nicht nur auf der technischen Ebene benötigen, sondern vor allem auf der System­ebene. Dazu fehlen ganz klar die Rahmenbedingungen. Jedes klassisch gewinnorientierte Start-up, das die Absicht hat, Produkte und Märkte zu entwickeln, wird geschätzt, gefördert und unterstützt. Es gibt Partnerbörsen, Förderungen und Beratung. Im Bereich der Gemeinnützigkeit, also auch bei Gesundheitseinrichtungen, sind die Rahmenbedingungen nicht so günstig. Dieser Sektor kommt im BIP nicht vor, daher sind auch Innovationen hier offensichtlich nicht „förderungswürdig“. Wir wollen mit der Studie Bewusstsein schaffen und eine Diskussion anregen. Gemeinnützigkeit und soziale ­Innovation können nicht nur Arbeitsplätze schaffen und den Wohlstand wieder ausbauen helfen, sie sind auch eine tragfähige Antwort auf die vielerorts zutage tretende Sinnkrise der Gesellschaft.

Was genau war der Untersuchungsgegenstand?

Ein wesentlicher Teil der Studie beschäftigt sich, abgeleitet aus der Analyse des Status quo, mit konkreten Handlungsanleitungen zur Verbesserung der Situation sozialer Start-ups. Der Ausbau des Sektors hätte auch volkswirtschaftliches Potenzial. Die WU-Experten gehen für Österreich von rund 1.200 bis 2.000 Sozialunternehmen mit Umsätzen von rund 700 Millionen Euro und 16.000 Beschäftigten aus. Das mögliche weitere Wachstum hängt auch an den politischen Rahmenbedingungen. Laut WU könnte sich die Anzahl an Social Businesses in zehn Jahren jedenfalls verdoppeln, bei optimalen Bedingungen sogar bis zu verzehnfachen. 2025 könnte es 1.300 bis 8.300 gemeinnützige Institutionen mehr geben und diese würden zwischen 20.000 und 132.000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen.

Und das zentrale Outcome?

Für die Studie hat die WU europaweit 250 soziale Innovationen sowie eine Feinanalyse von 13 Fallstudien mit Schwerpunkt in Österreich durchgeführt. Einen Mangel an Initiativen stellten wir gar nicht fest. Aber aufgrund des Fehlens einer politischen Gesamtstrategie bleiben soziale Innovatoren oft auf sich gestellt – und scheitern. Es mangelt an Zeit und Geld. Organisationen, die gemeinnützige Innovationen vorantreiben, haben zu wenig „Slack“. Damit ist gemeint, dass Ressourcen fehlen, um „innovativ“ sein zu können, also Freiräume für diese Offenheit Neues zuzulassen. Gemeinnützige Organisationen sind im „Normalbetrieb“ so dicht an ihren Kapazitätsgrenzen, dass praktisch keine Spielräume da sind.
Das zweite große Problem ist, dass in diesem Sektor die Kultur fehlt, mit Innovationsmanagern professionelle Prozesse aufzusetzen. Gute Ideen werden vom Engagement einzelner Pioniere getragen und laufen sich langfristig dann in Projekten tot. Das Überführen in die Regelfinanzierung gelingt meist nicht.

Wie kann das Gesundheitswesen zu diesem – derzeit noch fehlenden – professionellen Innovationsmanagement kommen?

Eine Transferstelle wäre erforderlich, wo Beratung und Unterstützung stattfinden können und genau dieses Know-how zur Verfügung steht. Die Interessenten müssen in die Lage versetzt werden, einen Innovationsprozess aufzusetzen, ihn zu begleiten und auch zu einer dauerhaften Finanzierung zu kommen. Nachdem das Thema derzeit auf viele politische Verantwortliche verteilt ist, fehlt es schon an der zentralen Koordination.

Wie kann es zur Förderung der Bedeutung des Gemeinwohlgedankens kommen?

Eine Abbildung der Leistungen des Sektors müsste im Bruttoinlandsprodukt vorkommen, denn dass hier Wertschöpfung passiert, kann nicht geleugnet werden. Dann braucht es eine klare politische Zuständigkeit, das führt in der Folge auch zur entsprechenden Wahrnehmung, wie beispielsweise an der OECD zu sehen ist.

Ein Vorschlag ist auch, „kreative Finanzierungssysteme“ zu erschließen. Was ist darunter zu verstehen?

In Deutschland wird beispielsweise ein geringer Prozentsatz des Gesundheitsbudgets für innovative Projekte zweckgewidmet. Ich denke, dass ein solcher Schritt – etwa in Form eines Investitionsfonds – auch in Österreich Bewegung bringen würde. Ergänzend dazu ist die Erschließung privaten Risikokapitals ein möglicher Weg. Die Einrichtung sogenannter „Social Impact Bonds“ kann privates Kapital über Anreizsysteme akquirieren. Wenn ein soziales Projekt die gemeinsam mit den staatlichen Stellen gesteckten Ziele erreicht, wird das Kapital (verzinst) zurückerstattet – ein Modell, das etwa für den Bereich der Vorsorgemedizin prädestiniert erscheint.

Soziale Innovatoren haben auch keine Mentoren. Würde das helfen?

Natürlich, eine Plattform von „Social Business Angels“ wäre durchaus denkbar. Für den Erfolg eines sozialen Start-ups ist zentral, dass es an kompetente und wohlwollende Systemkenner gerät. Wir haben mit der Studie nur einen Impuls gesetzt, jetzt gilt es, dranzubleiben, an vielen Punkten. Ich sehe die Entwicklung auch nicht so pessimistisch, es gibt schon politisch Verantwortliche, die das Thema durchaus promoten möchten. Es geht nicht um „Privat gegen Staat“. Wir sehen nur mittlerweile, dass wir viele Probleme nicht vom Staat allein geregelt bekommen. Die Zivilgesellschaft muss Hand anlegen und dafür braucht es mutige Mitstreiter. Ich glaube an die Kraft der Zivilgesellschaft, an motivierte und mutige Menschen, die Herausforderungen erkennen und Lösungskompetenzen mitbringen.