Mit den richtigen Schritten zum Ziel

„Sturzprävention durch gezielte Bewegungsförderung kann das Sturzrisiko beträchtlich senken“, betont der Bewegungswissenschaftler Mag. Harald Jansenberger. Er hat in seinem Institut in Linz ein spezielles Training im Angebot, das für ein Mehr an Sicherheit, Mobilität und Lebensqualität im Alter sorgen kann. „Wichtig sind dabei die Elemente Krafttraining, Gleichgewichtstraining, Multitasking und Verbesserung der Gangsicherheit“, fasst der Trainer für Sturzrehabilitation zusammen. Im Rahmen der INTEGRA, der Messe für Pflege, Reha und Therapie, wird Jansenberger den Workshop „Sturzprävention im Alter – Sicherheit für mehr ­Lebensqualität“ leiten und seine Erfahrungen weitergeben. „Der Workshop bietet theoretische und praktische Inputs zum Thema und beleuchtet unterschiedliche Ansätze der Sturzprävention durch Bewegungsschulung“, kündigt der Bewegungstrainer an.

Risiko-Check

Die Trainingseinheiten können als Einzelstunden oder in Kleingruppen absolviert werden. In Zusammenarbeit mit Allgemeinmedizinern, Augenärzten und Ergotherapeuten wird ein Gesamtkonzept erstellt. Am Beginn des Programms steht ein Sturzrisiko-Check. Nachdem individuelle Schwächen und Stärken in diesem Test bestimmt wurden, kann ein maßgeschneiderter Trainingsplan erstellt werden. Dieser beinhaltet die Erhebung der wichtigsten Risikofaktoren, gezieltes Training von Kraft und Gleichgewicht und anderer koordinativer Fähigkeiten, Angstabbau und Verbesserung der Selbsteinschätzung sowie Tätigkeits- und aufgabenorientiertes Training. Auf Wunsch bekommen Kunden Tipps einer Ergotherapeutin für den eigenen Wohnraum sowie ein Infogespräch mit einem Arzt über die Wirkungsweise von Medikamenten. Nach zwölf Trainingseinheiten wird der Sturzrisiko-Check wiederholt. So kann jeder Teilnehmer Veränderungen abseits von subjektiv wahrgenommenen Eindrücken in der Auswertung ablesen.

Sportlich im Alltag

Sturzprävention ist gerade im Seniorenalter ein äußerst wichtiges Thema. Doch motorische Leistungsminderungen treten bereits in der Gruppe der „späten Erwachsenen“ verstärkt auf. Das betrifft vor allem Schnelligkeits-, Kraft- und Ausdauerfähigkeiten sowie die Lern- und Umstellungsfähigkeiten. Abhängig vom Grad der Sportlichkeit und der Bewegungsfreudigkeit können Auswirkungen bereits im Bereich der Alltagsmotorik spürbar werden. Deshalb gilt schon in der Lebensphase der ab 45-Jährigen: Das Training sollte in den Alltag integriert bzw. der Alltag versportlicht werden. Gerade die sogenannten modernen „Annehmlichkeiten“ unserer Zeit, die das Leben erleichtern sollen, machen es in Wirklichkeit nicht leichter, sondern langfristig betrachtet schwerer.
Das Erleben des ersten, quasi altersbedingten Sturzes im Leben eines „späteren Erwachsenen“ (ab 65 Jahren) kann sein weiteres Bewegungsverhalten stark beeinflussen. Aufgrund früherer Stürze hat ein älterer Mensch automatisch mehr Furcht vor einem möglichen weiteren Sturz. Die Folgen sind Instabilitätsgefühl und reduzierte Aktivität, die wiederum zu Kraftverlust und eingeschränkter Mobilität führen. Daraus resultieren schließlich Gangunsicherheiten, Depressionen, Abnahme der sensomotorischen Fähigkeiten, aber auch gesellschaftliche Abschottung, kurzum ein „zu Hause sitzen bleiben“. „Da das Problem sehr viele ältere Menschen betrifft und die Behandlungskosten sturzbedingter Verletzungen und Folgen sehr hoch sind, ist Sturzprävention sowohl für den einzelnen, aber auch für das Gesundheitssystem eine wichtige Aufgabe. Dabei spielt besonders die gezielte Bewegungsförderung eine wichtige Rolle“, führt Jansenberger aus.
Für den theoretischen Teil des Workshops hat Jansenberger auch statistisches Material zusammengestellt: Ein Drittel aller über 65-jährigen Menschen stürzt mindestens einmal im Jahr. Bei Hochbetagten und Bewohnern eines Altersheims stürzen ca. 50 Prozent mindestens einmal pro Jahr. 20 bis 50 Prozent aller Stürze ziehen zu behandelnde Folgen nach sich.

Kosten von Stürzen

Die Kosten von Stürzen und sturzbedingten Verletzungen variieren sehr stark, hinzu kommen langfristige Kosten, die schwer zu erheben und zuzuordnen sind. Über 50 Prozent der Krankenhauseinweisungen bei Menschen ab 65 Jahren sind auf Stürze zurückzuführen, sechs Prozent aller Gesundheitsausgaben werden in dieser Altersgruppe durch Stürze verursacht. In der Bundesrepublik Deutschland schätzt man die jährlichen Kosten auf mehr als zwei Milliarden Euro. So bewegen sich beispielsweise die Kosten nach einer Oberschenkelhalsfraktur um die 5.000 Euro. Zusätzlich müssen noch einmal mindestens 5.000 Euro für die darauffolgende Rehabilitation aufgewendet werden. Hinzu kommt, dass nach einer sturzbedingten Verletzung der Pflegeaufwand deutlich erhöht ist, oft zieht ein Sturz auch die Einweisung in ein Pflegeheim nach sich (40 %).
Zahlen, die neben vielen anderen Vorteilen der Sturzprävention für ältere Menschen in einer immer älter werdenden Gesellschaft für sich sprechen. Jansenberger: „Es ist eine Tatsache, dass inaktive Personen – nicht zu verwechseln mit immobilen Menschen – ein erhöhtes Sturz- und Verletzungsrisiko haben. Durch eine Verminderung der körperlichen Aktivität geht eine Verminderung der körperlichen Fähigkeiten einher.“

Vorsicht bei Schwindelpatienten

Abgesehen von Tests im Hinblick auf Balance, Gehgeschwindigkeit oder Schrittlänge, die vor einem präventiven Training abgehalten werden sollten, müssen Trainer auch vielfältige andere Faktoren berücksichtigen. Vorsicht ist zum Beispiel bei sogenannten Schwindelpatienten geboten. Organische Störungen, Augenprobleme oder Krankheiten, die sich unter anderem durch Schwindel(-anfälle) äußern, müssen unbedingt medizinisch abgeklärt werden. Dazu zählen Innenohrerkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselerkrankungen, Operationen am Kopf, Schädel-Hirn-Traumen, Schleudertraumen, neurologische Erkrankungen.
Auch das Vorleben des zu Trainierenden ist entscheidend für den Erfolg eines präventiven Trainings. Wie sieht es mit der motorischen Erfahrung aus? Wie ist es um physische Faktoren bestellt, wie Kraft, Schnelligkeit, Ausdauer oder Beweglichkeit? Auch anthropometrische Faktoren – wie Körpergröße, Gewicht, Beinlänge − beeinflussen die Gleichgewichtsfähigkeit eines Menschen.

Wichtige Punkte für den Erfolg

Basierend auf mehreren Studien zur Durchführung und Wirksamkeit von Sturzpräventionsprogrammen lässt sich zusammenfassen: Balance-Übungen sollten eine
moderate bis hohe Herausforderung bieten, um das Gleichgewicht des zu Trainierenden gezielt zu schulen. Während die Standfläche sukzessiv verkleinert wird, muss bei möglichst vielfältigen Bewegungen auch das Reduzieren der Unterstützung durch die Arme forciert werden.Wie so oft entscheidet die Dosis über die Wirkung: In einer randomisierten Studie konnte bei Menschen, die dreimal pro Woche trainiert wurden, das Sturzrisiko um knapp 80 Prozent reduziert werden. Empfohlen wird eine realistische Trainingshäufigkeit von zweimal pro Woche bei einer jeweiligen Dauer von 60 Minuten. Eine Möglichkeit: wöchentlich einmal in der Gruppe und einmal zu Hause ein Training durchführen.
Auch die Dauerhaftigkeit ist für den Erfolg eines Sturzpräventionstrainings ausschlaggebend. Man geht von einer minimalen Zeitspanne von zehn bis zwölf Wochen aus, 50 Einheiten über das Jahr verteilt werden als ideal angesehen. Zusätzliches Gehen ist empfehlenswert, allerdings bei Hochrisikogruppen nur kontrolliert und mit mäßigem Tempo.
Viele Studien belegen, dass zusätzliches Krafttraining mit progressiver Steigerung der Belastung das Gangbild verbessert. Dabei sollte im Bereich der Hypertrophie mit ergänzenden Übungen für die Schnellkraft trainiert werden.
Neben einer Kombination aus Gleichgewicht- und Krafttraining dürfen sensomotorische Übungen nicht fehlen. Diese können bei 60- bis 80-Jährigen effektiver als reines Krafttraining wirken. Bei mehreren Untersuchungen konnten im Vergleich von Osteoporose-Patienten und gesunden Älteren bei beiden Gruppen, besonders aber bei Osteoporose-Patienten, deutliche Verbesserungen im somato-sensorischen System erzielt werden.
Und noch eine gute Nachricht: Gleichgewicht – sowohl im statischen wie im dynamischen Sinn – ist sehr gut trainierbar. Personen, die erst im höheren Alter mit dem Training beginnen, können ähnliche Werte erzielen wie jene, die ihr Leben lang geübt haben.
Jansenberger abschließend: „Die entsprechende Vorbeugung von Stürzen ist ein wichtiges Thema für die Lebensqualität Betroffener und für die finanzielle Entlastung des Gesundheitssystems. Durch geringe Kosten, geringen Aufwand und hohe Effektivität mit einer zu erwartenden Sturzrisikoreduktion von bis zu 50 Prozent wird die Intervention von Senioren auch zumeist positiv erlebt.“

 

Checkliste für die mobile Pflege und Angehörige

Gerade bei der Pflege von Menschen, die aufgrund von Krankheit, Alter, Medikamenteneinnahme und anderen zu Gleichgewichtsstörungen führenden Gründen vorbelastet sind, ist es besonders wichtig, die alltägliche Umgebung so zu gestalten, dass das Sturzrisiko zumindest minimiert wird. Kleine Maßnahmen und Handgriffe können schon viel bewirken.

  • Offensichtliche Sturzgefahren beseitigen bzw. kennzeichnen
  • Für gutes Licht sorgen, wo es gebraucht wird – also zum Beispiel für den nächtlichen Weg zur Toilette.
    Lichtschalter müssen gut erreichbar sein.
  • Hindernisse und Stolpergefahren beseitigen. Dazu gehören Teppiche, Kabel, Türschwellen.
  • Haltegriffe bei Bett, WC und Bad sowie Geländer für Gehwege installieren
  • Sitz- und Schlafgelegenheiten anpassen und mit Haltegriffen versehen
  • Nur sichere und verordnete Gehhilfen einsetzen
  • Auf rutschfestes, gut sitzendes Schuhwerk achten, in der Nacht vorsichtshalber Socken mit rutschfester Sohle anziehen lassen
  • Auf Kleidung, die Bewegungen nicht behindert, achten
  • Auf gewohnte Lebensweise Rücksicht nehmen und Änderungen nachhaltig besprechen
  • Risikobelastete Personen, die in der Nacht alleine zu Hause sind, unbedingt mit einem Notfall-Armband (Direktleitung zur nächsten Rettung) ausstatten